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Von Pascal Beucker |
Der Bericht der
Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus beschreibt die
Fehler der Behörde im Umgang mit dem NSU. Auf die Ursache
dieser Fehler geht er jedoch nicht ein. Eingerichtet als Konsequenz aus dem
NSU-Desaster, analysierte die Bund-Länder-Kommission
Rechtsterrorismus (BLKR) die »Sicherheitsarchitektur« der
Bundesrepublik. Das Ergebnis, das Ende vergangener Woche in
Hannover präsentiert wurde, fällt mager aus. Die Kommission
hoffe »zuversichtlich, dass nach Umsetzung ihrer Vorschläge
Fehler der Vergangenheit sich zukünftig nicht wiederholen
werden«. Die Zuversicht ist unbegründet. Denn das
zentrale Problem des NSU-Komplexes wurde erst gar nicht
untersucht. Der Umstand, dass bis zur Selbsttötung von Uwe
Böhnhardt und Uwe Mundlos weder ein Zusammenhang der Taten
untereinander noch deren Verknüpfung mit Rechtsextremismus
und Rechtsterrorismus erkannt wurde, ist nicht nur
»bedrückend«, wie es im Bericht heißt, er hat vor allem
ideologische Ursachen, denen die Kommission nicht
nachgegangen ist. Über Jahre verharmlosten oder leugneten
die Geheimdienste und Ermittlungsbehörden die Gefahr durch
rassistischen Terror. Darüber findet sich kein Wort im
BLKR-Bericht, der gänzlich ohne die Begriffe »rassistisch«
und »fremdenfeindlich« auskommt. Mehr als ein Jahrzehnt lang haben die diversen Ermittlungsbehörden die Möglichkeit eines rechtsterroristischen Hintergrunds ausgeblendet. Obwohl dieser mindestens genauso nahegelegen hätte wie die sogenannte Organisationstheorie. Das hatte zur Folge, dass die Opfer selbst krimineller Verstrickungen verdächtigt wurden. »Viele Fahnder«, so schrieb noch im Februar 2011 der Spiegel, seien »davon überzeugt, dass die Spur der Morde in Wirklichkeit in eine düstere Parallelwelt führt, in der eine mächtige Allianz zwischen rechtsnationalen Türken, dem türkischen Geheimdienst und Gangstern den Ton angeben soll.« Dafür fehlten zwar die Beweise, allerdings nur, weil alle Ermittlungen »irgendwann an einer Mauer des Schweigens« endeten. Es herrsche, so wurden die Beamten zitiert, »Angst vor dem ›tiefen Staat‹, einem Netzwerk aus Ultranationalisten, Militärs, Politikern und Justiz«. Zu befürchten steht, dass nicht nur die fantasiebegabten Investigativjournalisten des Hamburger Nachrichtenmagazins damals diesen verschwörungstheoretischen Unsinn glaubten, sondern auch die Ermittler, die ihnen diese Räuberpistole erzählt haben. Dabei war die beim Polizeipräsidium
Mittelfranken in Nürnberg eingerichtete Besondere
Aufbauorganisation (BAO) Bosporus bereits Jahre zuvor nahe
dran an den tatsächlichen Motiven. Weil sie mit der
Organisationstheorie nicht weiterkam, ließ die Mitte 2005
konstituierte BAO vom Polizeipräsidium München eine
Alternativhypothese aufstellen. Im Juni 2006 wurde diese
zweite Fallanalyse präsentiert: Sie begründete die
sogenannte Serientätertheorie, wonach hinter den Morden
»missionsgeleitete männliche Täter« stünden, »die Wut und
Abneigung gegen türkisch aussehende Männer entwickelten«,
wie der BLKR-Bericht referiert. Sie seien zum Zeitpunkt der
ersten Tat im Jahr 2000 zwischen 22 und 28 Jahre alt
gewesen, besäßen eine Affinität zu Waffen und seien mobil in
der BRD unterwegs. Die Täter verfügten über Kontakte zur
rechten Szene, die sie allerdings als zu schwach ansähen.
Daher hätten sie sich aus der Szene zurückgezogen, um selbst
zu handeln. Es müsse über sie polizeiliche Erkenntnisse aus
dem Bereich rechtsmotivierter Kriminalität oder Waffen- und
Sprengstoffdelikte geben. Das Täterprofil passt perfekt auf
Böhnhardt und Mundlos. Es gibt nur eine kleine Schwäche: die
regionale Verortung. Da in der Alternativfallanalyse
Nürnberg als möglicher Ankerpunkt betrachtet wurde, forderte
die BAO Bosporus zwar im Juli 2006 eine Liste mit Personen
aus der rechtsextremistischen Szene beim bayerischen
Landesamt für Verfassungsschutz an, beschränkte ihre Anfrage
jedoch auf den Großraum Nürnberg. Die Liste bekam die BAO im
März 2007. »Durch die weiteren Ermittlungen mit dieser Liste
ergeben sich keine weiteren Ansätze«, heißt es lapidar im
Kommissionsbericht. Was nicht gerade überraschend ist. Die
Serientätertheorie wurde mehr als halbherzig verfolgt: Auf
den naheliegenden Gedanken, auch jenseits des Großraums
Nürnberg nach Personen mit einem entsprechenden Täterprofil
zu suchen, kam offenkundig niemand. Darauf geht die
Bund-Länder-Kommission aber nicht ein. Sie erwähnt, dass es schon frühzeitig
Hinweise gab, denen zufolge die untergetauchten Böhnhardt,
Mundlos und Zschäpe sich »schon auf der Stufe von
Rechtsterroristen« bewegten. Entsprechende Angaben machte
ein offenkundig mit den »Bombenbastlern« in Kontakt
stehender Neonazi bereits im September 1999 gegenüber dem
Militärischen Abschirmdienst (MAD). Darüber informierte der
MAD sowohl das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz als
auch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Im April 2000
beantragte der sächsische Verfassungsschutz eine sogenannte
G-10-Maßnahme, also die höchstmögliche Überwachungsstufe
gegen das Trio und vier weitere Neonazis, darunter auch
einen der in München derzeit vor Gericht stehenden. Es
bestünden Anhaltspunkte dafür, dass die Gruppe »schwere
Straftaten gegen die freiheitlich demokratische
Grundordnung« plane. Ihr Vorgehen ähnele »der Strategie
terroristischer Gruppen«, heißt es in dem Geheimpapier, über
das das ARD-Magazin »Report Mainz« vergangene Woche
berichtete. Das Dokument sei »der exakte Ausdruck eines
Wissens der befassten Ämter um die eminente Terrorgefahr der
drei und ihrer Unterstützer«, urteilt der Berliner
Politologe Hajo Funke. Von der G-10-Maßnahme sollen neben dem
sächsischen Innministerium zwei Landeskriminalämter und zwei
Landesverfassungsschutzämter sowie das Bundesamt für
Verfassungsschutz gewusst haben. Drei Monate wurde
überwacht, ohne nennenswerte Ergebnisse. »Auffällig« sei,
dass die Observationen zumeist punktuell ansetzten, heißt es
im BLKR-Bericht. Auf die Erstellung von längerfristig
angelegten Kontakt- und Bewegungsbildern der möglichen
Kontaktpersonen zu den Untergetauchten sei »weitgehend
verzichtet« worden. Um eine Erklärung für dieses merkwürdige
Agieren bemüht sich die Kommission nicht. Die Innenminister begrüßten den
Kommissionsbericht. Er enthalte »wertvolle und
bedenkenswerte Empfehlungen«, lobte Bundesinnenminister
Hans-Peter Friedrich (CSU). Das gelte »ganz besonders für
eine intensivere Kommunikation zwischen den einzelnen
Behörden«. Ähnlich fällt die Bewertung von
Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) aus:
»Die Ursache für die tragischen Fehlleistungen lag im
Wesentlichen darin, dass alle Sicherheitsbehörden aneinander
vorbeigearbeitet haben.« Doch das ist eine zu einfache und
zu bequeme Sichtweise, wie das Beispiel der
Alternativhypothese zur Organisationstheorie, die nicht
ernst genug genommen wurde, belegt. Auch die ausgefeiltesten
Vorschläge zur Kooperation sind völlig nutzlos, wenn keine
einzige Behörde eine Nazi-Mordserie als solche erkennt. Der BLKR-Bericht ist im Kern eine
Legitimationsschrift des Bestehenden. Zwar habe es im
Zusammenhang mit dem NSU-Komplex sowohl bei den
Verfassungsschutzbehörden als auch bei Polizei und Justiz
»Defizite« gegeben, »insbesondere in der Zusammenarbeit«,
konstatiert die Kommission. Auch hätten nach ihrer Ansicht
»eine Reihe von Sicherungsfunktionen im System versagt«.
Aber ein »generelles Systemversagen der deutschen
Sicherheitsarchitektur« kann die BLKR »nicht erkennen«. Für
»nicht geboten« hält sie deshalb auch eine Abschaffung der
Verfassungsschutzbehörden. »Nach der festen Überzeugung der
Kommission hat sich der Verfassungsschutz als Instrument der
wehrhaften Demokratie grundsätzlich bewährt«, heißt es im
Bericht. Der gelegentlich geäußerte Einwand, ein verdeckt
operierender Nachrichtendienst passe nicht in ein
demokratisches System, sei »in seiner Pauschalität nicht
zielführend«. Auch den Einsatz von V-Leuten hält die
BLKR für »unverzichtbar«. Zwar muss sie einräumen, dass »der
Einsatz menschlicher Quellen nicht zur Aufdeckung des NSU
geführt« habe, trotzdem sei »die Gewinnung wichtiger
Informationen selbst aus dem unmittelbaren Nahbereich des
Trios mit Hilfe menschlicher Quellen grundsätzlich möglich«
gewesen, was zeige, dass es sich hierbei »generell um ein
bedeutsames nachrichtendienstliches Mittel zur
Erkenntnisgewinnung« handele. Eine krude Logik. Das aus guten Gründen höchst umstrittene V-Leute-System sollte nach Ansicht der BLKR sogar noch gestärkt werden. »Durch die Gefahr der Verwirklichung von Straftatbeständen wird die Arbeit der Sicherheitsbehörden eingeschränkt«, beklagt sie. Deswegen sieht die Kommission »gesetzgeberischen Bedarf, bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen beim Einsatz menschlicher Quellen zur verdeckten Informationsgewinnung zu schaffen«. Konkret solle Staatsanwaltschaften die Möglichkeit gegeben werden, von der Verfolgung von Vergehen und Verbrechen abgesehen, die V-Leute »in Erfüllung eines nachrichtendienstlichen Auftrags« begehen. Selbst schwere Straftaten wie der Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz oder die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung könnten dann still und leise übergangen werden. |
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