10.10.2013

Startseite
Jungle World

 Trash als Imagewerbung
Von Pascal Beucker

Die grünen »Realos« bereiten ihre Zukunft als politische Vertretung des Neubürgertums vor.

"Trash People" in MonschauZufrieden schreitet HA Schult durch die Reihen der »Trash People«. Vor pittoresker Fachwerkhauskulisse hat der Kölner Aktionskünstler die lebensgroßen Figuren aus Konsummüll und Montageschaum auf den Marktplatz von Monschau stellen lassen. Für Schult ist es eine Rückkehr. Er müsse sich »ganz herzlich bedanken, dass die Leute in Monschau zu meiner Überraschung alle so nett geworden sind«, sagt Schult. Dabei habe er sie doch »damals so schlecht behandelt«.

Damals, das war im Sommer 1970. Da war der malerische Flecken an der belgischen Grenze für ein paar Tage Avantgarde – und wollte es doch gar nicht sein. Fassungslos reagierten die Monschauer seinerzeit auf die »Umwelt-Akzente«. Schult war einer von rund drei Dutzend Künstlern, die damals bei der einheimischen Bevölkerung einen Kulturschock auslösten: Sie färbten Bäume blau, klemmten riesige Plastikballons in die engen Gassen und verkleideten die Fassade des altehrwürdigen Markt-Cafés mit rosa Schaumstoff. Die Einwohner reagierten mit heller Empörung. Hitzköpfe zerstörten zahlreiche der im Stadtgebiet ausgestellten Werke – animiert von honorigen Bürgern, die Bierkästen spendierten. Die »Umwelt-Akzente« blieben ein einmaliges Ereignis. Einen solchen Eklat wollten die Stadtoberen nicht noch einmal erleben.

»Uns hat damals der Weitblick gefehlt«, sagt bedauernd Bürgermeisterin Margareta Ritter mit Blick auf ihre Vorgänger, die wie sie der CDU angehörten. Von den 200 »Trash People«, die seit voriger Woche in ihrer Stadt stehen, ist sie begeistert: »Monschau ist noch nie so bunt gewesen.« So ändern sich die Zeiten. Vor ein paar Jahrzehnten wurde sie noch als Provokation wahrgenommen, heute wird HA Schults zivilisationskritische Kunst zur Imagewerbung genutzt. Das hat sie mit den Grünen gemeinsam: Aus dem Bürgerschreck wurde ein potenzieller Koalitionspartner. Das Rebel­lionsmilieu, aus dem heraus sich die Partei einst gründete, hat sich zum anschlussfähigen postmaterialistischen Neubürgertum der sogenannten Lohas (»Lifestyle Of Health And Sustainability«) transformiert.

An diesem Donnerstag treffen sich Union und Grüne in Berlin zu ihrem ersten Sondierungsgespräch nach der Bundestagswahl. Auch wenn allseits betont wird, man wolle ernsthaft die Möglichkeiten einer gemeinsamen Regierungsbildung ausloten, wird es kaum zu Schwarz-Grün auf Bundesebene kommen. Die Differenzen erscheinen zwar als überwindbar. Aber ohne Rückhalt im Bundesrat und ohne die eigene Anhängerschaft behutsam auf das Experiment vorbereitet zu haben, dürften beide Seiten das Risiko derzeit als zu groß einschätzen. De facto zielen die Gespräche deshalb nicht auf die Gegenwart, sondern auf die Zukunft. Das Ziel ist sowohl für die Union als auch für die Grünen, sich neue politische Spielräume zu eröffnen. Auch für den Fall des weiteren Niedergangs der FDP will die CDU über eine Alternative zur Großen Koalition verfügen, um nicht auf Gedeih und Verderb der SPD ausgeliefert zu sein. Die Grünen wollen sich aus der sozialdemokratischen Umklammerung befreien, die mit zu ihrem schlechten Wahlergebnis beigetragen hat.

Statt eine eigenständige Richtung einzuschlagen, fielen die Grünen in Muster aus der Ära Joschka Fischers zurück. Sie ließen sich von der SPD einen aberwitzigen rot-grünen »Lagerwahlkampf« aufzwingen, der zum Scheitern verurteilt war. Denn schnell war klar, dass es für eine eigene Mehrheit von SPD und Grünen nicht reichen würde. Es war ein Wahlkampf, der durch den definitiven Ausschluss von Rot-Grün-Rot von Seiten der SPD mehr darauf zielte, die Linkspartei zu schwächen, denn die Kanzlerschaft Angela Merkels ernsthaft in Gefahr zu bringen. Den Grünen fehlte der Mut, sich dieser fatalen Strategie der SPD und ihres Kanzlerkandidaten zu widersetzen. Damit degradierten sie sich zu deren Anhängsel. Flügelübergreifend bemühen sie sich nun darum, ihre Eigenständigkeit zurückzugewinnen – wozu gehört, nach allen Richtungen hin koalitionsbereit zu sein.

Für die sogenannten Realos um den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann geht es allerdings um mehr. Sie wollen die durch den Schock des Wahlabends eröffnete Zeit nutzen, um die Grünen neu auszurichten und den innerparteilichen Machtkampf gegen den linken Parteiflügel um Jürgen Trittin final für sich zu entscheiden. Statt seriöse Ursachenforschung zu betreiben, macht die Parteirechte die vermeintlich allzu linke Ausrichtung der Grünen für das enttäuschende Abschneiden verantwortlich. »Wir haben total übersteuert in unserem Wahlkampf«, will plötzlich die farblose Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt erkannt haben. »Mit dem Steuerwahlkampf haben wir viele vergrault«, verkündet der Parteivorsitzende Cem Özdemir. »Die Grünen dürfen sich in Gerechtigkeitsfragen nicht auf die Umverteilungsfragen kaprizieren«, fordert Kretschmann. Seine Partei müsse stattdessen wirtschaftsfreundlicher werden. Ob das wirklich der Grund dafür ist, dass die Grünen gerade bei den Jungwählern zwischen 18 und 24 Jahren überdurchschnittlich schlecht abgeschnitten haben?

In Monschau sind die Verhältnisse heute schon so, wie Kretschmann und seine Kumpanen sie sich bundesweit erträumen. 12 960 Einwohner leben in dem Eifelstädtchen. Die meisten wählten schon immer konservativ. Aber inzwischen hat die Union ihr Monopol im bürgerlichen Lager verloren. Die Älteren geben zwar noch immer treu der CDU ihre Stimme, die Jüngeren jedoch den Grünen. Seit 2009 im Amt, setzt die christdemokratische Bürgermeisterin Ritter auf das Bündnis zwischen Alt- und Neubürgertum. Trotz eigener absoluter Mehrheit hat die CDU im Stadtrat mit den Grünen eine freiwillige Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Mit dem grünen Fraktionsvorsitzenden verbinde sie ein gutes Verhältnis, sagt Ritter. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Monschauer Unternehmer.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.