19.12.2013

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 Jahre wie diese
Von Pascal Beucker

Nach der Zustimmung der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag stand der Großen Koalition nichts mehr im Weg. Am Dienstag wurde die Regierung für die 18. Legislaturperiode vereidigt.

Vor Rührung bekam Sigmar Gabriel feuchte Augen. »Ich war lange nicht mehr so stolz, Sozialdemokrat zu sein«, schwärmte der SPD-Vorsitzende am Samstag. Der Mitgliederentscheid über die Große Koalition sei »ein Fest innerparteilicher Demokratie, ein Fest der Demokratie selbst« gewesen, tönte er bei der Verkündung des Abstimmungsergebnisses in Berlin. »Bei uns wird nicht von Basisdemokratie geredet, wir leben sie.« Ob sich Gabriel auch so überschwänglich geäußert hätte, wenn das Ergebnis anders ausgefallen wäre?

Das Votum hätte deutlicher kaum ausfallen können. Bei einer Abstimmungsbeteiligung von 77,86 Prozent haben sich 256 643 SPD-Mitglieder für die Koalition mit der Union entschieden. Nur 80 921 Genossen stimmten dagegen. Damit kann sich Gabriel auf eine Dreiviertelmehrheit stützen, die seinen Weg an der Seite der alten und neuen christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel mitträgt. Es ist ein Triumph, für den er hart gearbeitet hat – und der ihn nun zum stärksten SPD-Vorsitzenden seit langer Zeit macht. »Imperator Gabriel« titelt bereits die FAZ.

Sein Kalkül ist aufgegangen. Gabriels Orientierungspunkt war lange vor den Bundestagswahlen die Große Koalition gewesen. Sonst hätte er sich nicht für Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten entschieden. Sonst hätte er nicht im Wahlkampf die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Koalition definitiv ausgeschlossen. Wer die kleine linke Konkurrenz mehr bekämpft als die schwarz-gelbe Regierung, dem bleibt nur noch die Rolle des Juniorpartners der Union. Allerdings war ihm auch bewusst, wie tief nach den desaströsen Erfahrungen mit der letzten Großen Koalition der Widerwillen innerhalb der Sozialdemokratie gegen diese Konstellation ist.

Mit einem rhetorischen Meisterstück ist es ihm gelungen, zunächst die Parteinomenklatura und dann die einfachen Mitglieder in Mithaftung für seinen Kurs zu nehmen: Auf der einen Seite stand die aberwitzige Überhöhung mehr oder weniger sozialdemokratischer Erfolge bei den Koalitionsverhandlungen, auf der anderen Seite die Warnung vor Neuwahlen, die die SPD im Chaos und der Bedeutungslosigkeit versinken lassen könnten. Es hat funktioniert, die Parteiräson hat gesiegt. Der gemeine sozialdemokratische Parteisoldat steht stramm, wenn ihm die Führung den Marsch bläst.

1,6 Millionen Euro ließ sich die SPD-Führung ihr Vorhaben kosten, sich von der Basis das Bündnis mit der Union absegnen zu lassen. So eindeutig der Mitgliederentscheid auch ausgefallen ist, hat er doch einen Schönheitsfehler. Denn mit dem immer wieder beschworenen Willy-Brandt-Motto »Mehr Demokratie wagen« hatte das gewählte Verfahren nur formal zu tun. Wer es mit dem postulierten Anspruch der »Beteiligungspartei« ernst meint, darf nicht allein auf Propaganda setzen, sondern muss eine offene Debatte ermöglichen, so wie es die FDP bei ihren Mitgliederentscheiden zu ihrer Haltung zum großen Lauschangriff 1995 und dem Euro-Rettungsfonds ESM 2011 getan hat. Dazu gehört, auch denen, die von der Vorstandslinie abweichen, eine Artikulationsmöglichkeit in den an die Mitglieder gerichteten Parteipublikationen einzuräumen. Das traute man sich in der SPD jedoch nicht, stattdessen waren sämtliche »Mitgliederbriefe« ebenso wie die Parteizeitung Vorwärts stramm auf Zustimmung ausgerichtet, auch auf den Internetseiten gab es nur Pro ohne Contra. Für ablehnende Stimmen war auf sämtlichen Funktionärsebenen ebenso wenig Platz. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die zunächst den Anschein erweckt hatte, als würde sie die Große Koalition ablehnen, schwenkte rechtzeitig um. Mit dem Dortmunder Marco Bülow wagte es ein einziger SPD-Bundestagsabgeordneter, öffentlich seine Ablehnung zu bekunden. Umso erstaunlicher sind die 23,95 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen, die sich trotzdem gegen das anvisierte schwarz-rote Bündnis aussprachen. Auch das ist ein Ergebnis des Mitgliederentscheids: In den Parteigremien fehlt es dieser nicht gerade kleinen Minderheit offenkundig an angemessener Repräsentanz.

Immerhin ist es der SPD gelungen, mit dem Budenzauber, den sie in den vergangenen drei Monaten inszeniert hat, vergessen zu machen, dass die Partei am 22. September ihr zweitschlechtestes Wahlergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik erhalten hat. Mittlerweile scheint die Bundestagswahl so weit zurückzuliegen, dass kaum ein Genosse sich mehr daran erinnert, wer sie gewonnen und wer sie verloren hat. Steinbrück und sein »Kompetenzteam« sind längst Geschichte. Den Kanzlerkandidaten servierten die Wähler ab, sein Schattenkabinett erledigte die Partei. Nicht einmal dort, wo sie es aufgrund der Ressortverteilung gekonnt hätte, setzte die SPD auf die »Kompetenz« von Steinbrücks Kreis: Statt der früheren saarländischen Wirtschafts- und Finanzministerin Christiane Krajewski griff sich der Parteivorsitzende Gabriel das Ressort für Wirtschaft und Technologie. Im Ressort Arbeit und Soziales stach Generalsekretärin Andrea Nahles den Gewerkschafter Klaus Wiesehügel aus, dem der Posten versprochen worden war. Mit der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Manuela Schwesig als neuer Familienministerin schaffte es eine einzige aus Steinbrücks Mannschaft in Merkels Kabinett. Mit dem bayerischen SPD-Landesvorsitzenden Florian Pronold und der ehemaligen Justizministerin Brigitte Zypries wurden zwei weitere immerhin noch parlamentarische Staatssekretäre. Der Rest ging leer aus.

Das »Kompetenzteam« des Kanzlerkandidaten hat sich ebenso als Luftnummer erwiesen wie der gesamte Wahlkampf Steinbrücks. Wenn es darauf ankommt, setzt die SPD-Führung lieber auf – sich selbst: Ob Gabriel, Nahles, Schwesig, Barbara Hendricks als Umweltministerin oder Aydan Özoğuz als Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration – sie alle gehören der engeren Parteispitze an. Hinzu kommen noch der bisherige Bundestagsfraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier als Außenminister und der saarländische SPD-Landesvorsitzende Heiko Maas als Minister für Justiz und Verbraucherschutz. Dessen Berufung war die einzige wirkliche Überraschung auf sozialdemokratischer Seite. Der 47jährige Volljurist zählt zum linken Parteiflügel, hat als Stellvertreter von CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer großkoalitionäre Zuverlässigkeit bewiesen und gilt zudem als ein Vertrauter Gabriels. Jedenfalls ist er ähnlich pragmatisch veranlagt: Ein vergleichbarer Widerstand, wie ihn seine Vorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung leistete, ist von ihm nicht zu erwarten.

Das lange geheim gehaltene Personaltableau der SPD ist sorgsam austariert. Die Geschlechterquotierung sollte eingehalten werden, die drei Strömungen innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion – Seeheimer Kreis, Netzwerker und Parlamentarische Linke – wollten angemessen vertreten sein und es galt, landsmannschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen. So verdankt die bisherige SPD-Bundesschatzmeisterin Hendricks ihr Ministeramt dem Umstand, dass sie aus Nordrhein-Westfalen stammt. Sie besitzt einige Regierungserfahrung, von 1998 bis 2007 diente sie den SPD-Finanzministern Lafontaine, Eichel und Steinbrück als Parlamentarische Staatssekretärin. Als Umweltministerin wird sie nicht viel zu melden haben, nachdem die Energiewende nicht mehr in ihrem Ressort angesiedelt ist, sondern im Wirtschaftsministerium Gabriels. »Wir haben es jetzt mit dem schwächsten und eher handlungsunfähigsten Umweltministerium zu tun, das wir je vorgefunden haben«, kritisierte der frühere grüne Umweltminister Jürgen Trittin im Deutschlandfunk.

Um Befürchtungen zu entkräften, dass er die Energiewende ausbremsen wolle, hat sich Gabriel für einen klugen Schachzug entschieden. Entgegen üblicher Gepflogenheiten hat er sich mit Rainer Baake einen Grünen als beamteten Staatssekretär für Energie an die Seite geholt. Der ehemalige Hauptgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe gilt als Experte in Klima- und Energiefragen und verfügt über Regierungserfahrung: Er war Staatssekretär unter Trittin und handelte dort das Atomausstiegsgesetz von 2002 mit aus. Baake ist nicht der einzige Grüne in der schwarz-roten Koalition. Gerd Billen, bisher Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, soll sich künftig als Staatssekretär im Justizministerium um den Verbraucherschutz kümmern. Offenkundig wollen sich die SPD-Strategen ihren grünen Wunschkoalitionspartner warmhalten.

Die auf den ersten Blick überraschendste Personalie bot jedoch die CDU mit der Berufung Ursula von der Leyens als Verteidigungsministerin. 35 Jahre nach der Ernennung von Hans Apel (SPD), dem ersten »ungedienten« Verteidigungsminister, erhält mit ihr erstmalig eine Frau das Amt. Bei genauerem Hinsehen erscheint die »genderpolitische Sensation« (Taz) jedoch weit weniger erstaunlich. Aus Sicht der CDU dürfte die Wahl sogar alternativlos gewesen sein. Nachdem die SPD frühzeitig und mit Vehemenz das Arbeits- und Sozialministerium für sich reklamiert hatte, galt es, eine adäquate Anschlussverwendung für die bisherige Amtsinhaberin zu finden.

Für die machtbewusste und innerparteilich starke von der Leyen  – im Wahlkampf war sie bei den CDU-Untergliederungen gefragt wie sonst nur Merkel und Schäuble  – wäre alles andere als die Übernahme eines »klassischen« Ressorts einer Degradierung gleichgekommen, weshalb auch das Gesundheitsministerium für die gelernte Ärztin nicht in Frage kam. Da Wolfgang Schäuble bei den Finanzen gesetzt war, blieben aus den CDU-Ressorts nur noch Inneres und Verteidigung. Im Unterschied zu allen anderen Ministerien gibt es jedoch im Innen- wie auch im Justizministerium eine Einstiegshürde: Zur Tradition der beiden »Verfassungsressorts« gehört es, dass der Ressortchef Rechtswissenschaften studiert und auch das zweite Staatsexamen abgelegt haben sollte. So blieb für die 55jährige nur das Wehrressort, weswegen der promovierte Jurist Thomas de Maizière zurück ins Innenministerium zu wechseln hatte.

De Maizière dürfte der Wechsel nicht unlieb gewesen sein, gab der Vertraute Merkels doch als Verteidigungsminister eine nicht gerade glückliche Figur ab. Noch im Sommer sah er sich wegen der Euro-Hawk-Affäre mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Von der Leyen geht mit der Übernahme ihres neuen Amtes ein Karriererisiko ein. Sie habe einen »Mordsrespekt vor der Aufgabe«, bekundet sie. Für die Meisterin der Symbolpolitik ist der Grad zwischen »Kanzlerin der Reserve« und Absturz schmal. Das Verteidigungsministerium sei im doppelten Sinne des Wortes »das Himmelfahrtskommando unter den Ministerien«, konstatiert die FAZ: »Man kann sich dort in die Luft sprengen, aber auch für Höheres empfehlen.«

Friedlicher dürfte die deutsche Außenpolitik unter Verteidigungsministerin von der Leyen nicht werden. »Wenn man sieben Kinder hat, will man nicht, dass sie in den Krieg gehen«, sagte Gregor Gysi bei »Jauch«. Das mag stimmen. Nur: Das war bei ihren Vorgängern Scharping, Struck, Jung und de Maizière mit ihren jeweils drei Kindern sowie bei Karl-Theodor zu Guttenberg, der zwei Töchter hat, nicht anders. Sie schickten die Kinder anderer Eltern in den Krieg.


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