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Von Pascal Beucker |
Hunderte demonstrieren gegen die Redaktionsabwicklung der Westfälischen Rundschau. Die Leser der betroffenen Zeitung erfahren davon nichts. Eine Redaktion wird abgewickelt, aber die Leser
sollen es nicht mitbekommen. Wer sich am Wochenende auf den
Internetseiten der Westfälischen Rundschau (WR) umschaute, konnte
dort allerlei mehr oder weniger Interessantes finden – nur nichts in
eigener Sache. Keine Silbe über die Demonstration, die am Samstag
für den Erhalt des traditionsreichen Blattes durch Dortmund zog. Die
WAZ-Gruppe will nicht, dass in ihren Zeitungen kritisch über die
geplanten „Umstrukturierungen“ berichtet wird. Am vergangenen Dienstag hatte die
WAZ-Geschäftsführung bekannt gegeben, dass sie künftig keinen Bedarf
mehr an einer eigenständigen WR-Redaktion hat und das Blatt ab
Februar lieber mit Fremdinhalten füllen lässt. 120 WR-Mitarbeiter
verlieren ihren Arbeitsplatz. Hinzu kommen rund 150 freie
Journalisten, die die WR als Auftraggeber verlieren werden. Der Protest dagegen ist groß. „Eine Zeitung ohne
Redaktion ist keine Zeitung!", empörte sich nicht nur der
nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Andreas Meyer-Lauber. In den
Zeitungen des WAZ-Konzerns erfährt man davon jedoch nichts. Wie es
heißt, sollen extra vom Verlag abgestellte Kontrolleure darüber
wachen, dass nichts Unbotmäßiges erscheint. Selbst fertig gebaute
Seiten sollen in den Mülleimer wandern. In einer Mail gab der stellvertretende
WR-Chefredakteur Lars Reckermann am vergangenen Donnerstag die
Anweisung, dass „aus übergeordnetem Interesse“, aber auch „mit Blick
auf Verhandlungen, die zumindest noch einigen Kollegen die
Möglichkeit geben könnten, weiterzuarbeiten“, im Lokalen
„Berichterstattungen die WR betreffend nicht stattfinden“ dürften.
In der Redaktion herrsche ein Klima der Angst und Verunsicherung,
berichtet ein Insider. DGB sieht Zensur Entsprechend der Direktiven von oben berichteten
weder die WR noch die anderen Blätter der WAZ-Gruppe über
Pressekonferenzen zur geplanten WR-Abwicklung, die der DGB in mehren
Städten veranstaltete. Als „Zensur“ bezeichnete der DGB die
Nichtberichterstattung: „Wenn die neue Ausrichtung in der WAZ darin
besteht, statt informierendem Journalismus Maulkörbe zu verteilen,
steht nicht nur die Anzahl der Redaktionen auf dem Spiel“,
kritisierten die Vorsitzenden der DGB-Regionen Dortmund-Hellweg und
Ruhr-Mark, Jutta Reiter und Jochen Marquardt, in einer gemeinsamen
Erklärung. In seinem Schreiben an die Lokalredaktionen hatte
WR-Vizechef Reckermann versprochen, dass wenigstens im
überregionalen Mantel Stellungnahmen zum geplanten Redaktionsabbau
abgedruckt würden. Tatsächlich sollten unter der Überschrift „Hohe
Anteilnahme an Redaktions-Schließung“ die empörten Reaktionen von
Bürgermeistern, Landtags- und Bundestagsabgeordneten sowie von
NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider eigentlich bereits am
Donnerstag auf Seite 3 erscheinen. Doch zu sehen bekamen sie nur
jene wenigen Leser, die die WR per Post zugeschickt bekommen. In
allen anderen Ausgaben mit einem späteren Drucktermin war die Seite
kurzerhand ausgetauscht worden. Die Verlagsführung soll die
„Unausgewogenheit“ von Meinungen moniert haben. Entsprechend der Zensurlinie des Hauses unerwähnt
bleibt auch ein Offener Brief, den der WR-Betriebsrat an die
WAZ-Geschäftsführung geschrieben hat. Darin fordert die
Arbeitnehmervertretung, die angekündigte Schließung der WR-Redaktion
wieder rückgängig zu machen. Der Betriebsrat bezweifelt die vom
WAZ-Konzern angegebenen Verlustzahlen und glaubt, „dass politische
Hintergründe zu dieser falschen und katastrophalen Entscheidung
geführt haben“. An der von den Journalistengewerkschaften dju und DJV organisierten Demonstration gegen den geplanten Kahlschlag bei der WR nahmen am Samstag in Dortmund laut Veranstalterangaben rund 1.200 Menschen teil, darunter auch NRW-Medienministerin Angelica Schwall-Düren. „Demokratie braucht vor allem im Lokalen Meinungsvielfalt, insofern ist die Schließung der WR-Redaktionen nicht nur eine unternehmerische Entscheidung“, appellierte sie an die gesellschaftliche Verantwortung der WAZ-Gruppe. |
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