12.02.2013

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taz

 Komplett an den Realitäten des Lebens vorbei
Von Pascal Beucker

KATHOLIZISMUS Der Kirche kommen ihre Schäfchen abhanden. Doch die Verantwortlichen sehen immer noch keinen Reformbedarf.

Erzbischof Joachim Kardinal MeisnerEs war ein Brandbrief, den Joachim Meisner in der vergangenen Woche an seine Gemeinde schrieb. Eine "Katholikenphobie" will Kölns Erzbischof ausgemacht haben. "Die Häme und die Aggression, mit der Teile der Öffentlichkeit - und damit auch der öffentlichen Meinung - uns begegnen, macht mich sehr betroffen", heißt es in seinem Schreiben. Keine Religion oder Konfession werde derart gezielt öffentlich angegriffen wie die katholische Kirche.

Nur wenige Tage zuvor hatte Gerhard Ludwig Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation und vormalige Bischof von Regensburg, gar von einer "künstlich erzeugten Wut" gegen Katholiken berichtet, "die gelegentlich schon heute an eine Pogromstimmung erinnert".

Solch verbale Entgleisungen sind Ausdruck einer tiefen Verunsicherung. Der katholischen Kirche schwimmen die Felle davon. Doch ändern wollen ihre höchsten Funktionäre nichts. "Die Entschiedenheit der katholischen Positionen zum Lebensschutz, zu Ehe und Familie sowie eine deutliche Repräsentanz durch Personen wie den Papst und die Bischöfe polarisieren in der Gesellschaft immer stärker", grämt sich Meisner.

Doch das ist es nicht allein: Die zahlreichen Missbrauchsfälle und jetzt auch noch der Fall eines von katholischen Krankenhäusern abgewiesenen mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers haben dem Image schwer geschadet. Einer grundlegenden Reformierung verweigern sich jedoch Bischöfe wie Meisner entschieden. Und bisher sahen sie sich in ihrer starren Haltung vom Papst bestätigt.

Immer noch stellen Katholiken knapp ein Drittel der deutschen Bevölkerung. Aber die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt seit Jahren signifikant. Seit der Wiedervereinigung 1990 schrumpfte die Mitgliederzahl der Katholischen Kirche von 28,2 Millionen auf 24,5 Millionen im Jahr 2011. Nicht nur weil jährlich mehr Katholiken bestattet werden, als durch Taufen dazukommen, geht es kontinuierlich bergab. Allein seit Beginn der Papstzeit von Joseph Ratzinger 2005 traten rund 820.000 Bundesbürger aus dem Verein aus. Im Jahr 2011 verzeichnete die Deutsche Bischofskonferenz exakt 126.488 Austritte. Neuere Zahlen liegen bislang nicht vor, aber es spricht nichts für eine Tendenzumkehr.

Die Katholische Kirche in Deutschland gliedert sich in 27 Bistümer, die in sieben Kirchenprovinzen zusammengefasst sind. Während sich die Papstjünger im Süden und Westen der Republik noch einer recht komfortablen Basis erfreuen, sieht es im Norden und vor allem im Osten düster aus. So beträgt der Anteil der Katholiken an den Einwohnern in der Region des Bistums Passau stolze 89 und in Regensburg 71 Prozent, in Trier 60 Prozent und in Aachen immerhin noch 55 Prozent. In Hamburg und Berlin liegt der katholische Bevölkerungsanteil hingegen bei 7 Prozent, in Magdeburg und Dresden-Meißen sogar nur bei 3 Prozent.

Doch auch in ihren Hochburgen kann sich die katholische Kirche ihrer Schäfchen nicht mehr sicher sein, zu weit entfernt hat sie sich von den Lebensrealitäten. Laut einer Allensbach-Umfrage von 2009 bezeichnen sich 17 Prozent der Katholiken in der BRD als "gläubige Kirchennahe", 37 Prozent als "kritische Kirchenverbundene". Fast 50 Prozent der Mitgliedschaft bezeichnen sich als distanziert, unsicher oder nicht religiös.

Ihren sichtbaren Ausdruck findet diese Entfremdung in der Beteiligung an religiösen Veranstaltungen. Nahmen 1980 im Erzbistum Köln noch 21,26 Prozent der Mitglieder das Gottesdienstangebot wahr, sind es inzwischen nur noch 10,35 Prozent. Das Kölner Erzbistum ist mit gut 2,1 Millionen Katholiken die mitgliederstärkste Diözese Deutschlands. Aber 15.269 Taufen und Wiederaufnahmen standen im Jahr 2011 auch hier 32.194 Austritte und Bestattungen gegenüber. In der einst erzkatholischen Domstadt liegt der katholische Bevölkerungsanteil mittlerweile nur noch bei 40 Prozent.

Keiner der bundesdeutschen Bischöfe repräsentiert die sterile Rückwärtstheologie des Vatikans so konsequent wie der 79-jährige Meisner. Aber es wäre ein Irrtum, zu glauben, der "Gotteskrieger vom Rhein" (Spiegel) mit dem schlichten katholischen Weltbild sei nur eine nicht weiter ernst zu nehmende Randerscheinung in seiner Kirche.

Das Gegenteil ist richtig - auch wenn Meisner in der Deutschen Bischofskonferenz mit ihrem moderaten Vorsitzenden Robert Zollitsch bis heute als nicht mehrheitsfähig gilt. Denn die Zeiten, als Meisner und sein 2000 verstorbener Fuldaer Kollege Johannes Dyba hier noch als bizarr-orthodoxe Außenseiter weitgehend isoliert waren, sind längst vorbei. Das Kräfteverhältnis hat sich mit den Jahren dank der konsequenten Personalpolitik seines Freundes Joseph Ratzinger und dessen heutzutage merkwürdig verklärten Vorgängers Karol Wojtyla gewandelt. Gegen theologische Modernisierungstendenzen zeigte sich Meisner bislang stets immun: "Die Kirche muss mehr auf den Heiligen Geist als auf den Zeitgeist hören."


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