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Von Pascal Beucker |
GERECHTIGKEIT Statt in Chile im Knast zu sitzen, wohnt der Colonia-Dignidad-Arzt in Krefeld. Dagegen demonstrieren Aktivisten.
"Funa" stammt aus dem chilenischen Spanisch. In dem Andenstaat benutzen Menschenrechtsgruppen das Wort für "anprangern", wenn sie vor die Häuser der Täter ziehen, um über Verbrechen der Pinochet-Diktatur (1973-1990) aufzuklären. "Die Täter wollen das Vergangene vergangen sein lassen, die Opfer können das nicht", sagt Dieter Maier, der die Funa in Krefeld organisiert. Der Journalist beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Machenschaften der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad, die das Terrorregime in Chile tatkräftig unterstützt hatte. "Deutschland darf kein sicherer Rückzugsort für Menschen werden, die in anderen Ländern in die Repression einer Militärdiktatur verwickelt waren, und Krefeld sollte nicht wortlos dabei zuschauen." Hartmut Hopp war die rechte Hand des Sektengründers Paul Schäfer. Der Arzt leitete das Krankenhaus und galt als eine Art "Außenminister" der evangelikalen Sekte. Er soll in engem Kontakt zu Augusto Pinochet und dem chilenischen Geheimdienstchef Manuel Contreras gestanden haben, dessen Geheimpolizei DINA die Colonia Dignidad als Folterzentrum genutzt hatte. Inzwischen ist Hopp in Chile Angeklagter in Verfahren wegen Mordes an politischen Gefangenen und wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Verurteilt wurde er bereits wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Am 25. Januar 2013 verurteilte ihn der Oberste Gerichtshof Chiles zudem als Mittäter von systematischem sexuellem Missbrauch von Kindern rechtskräftig zu 5 Jahren Haft. Doch vollstreckt werden konnte das Urteil nicht: Im Mai 2011 floh Hopp nach Deutschland. Seitdem lebt er in Krefeld. Die ihm vorgeworfenen Taten bestreitet Hopp. In einer Stellungnahme, die er nach seiner Flucht nach Krefeld veröffentlichte, spricht er von "Verleumdungen". Er sieht sich als unschuldig Verfolgter: "Soweit es sich um Behauptungen chilenischer Behörden handelt, die mich solcher Taten bezichtigen wollen, stellen sie eine flagrante Verletzung meiner Rechte dar." 2013 jährt sich der Putsch in Chile zum vierzigsten Mal. Eng mit den neuen Machthabern verbandelt, brachen für die antikommunistische Colonia Dignidad mit dem Sturz des Sozialisten Salvador Allende am 11. September 1973 goldene Zeiten an. Für die Ärztin Ruth Kries hingegen brach eine Welt zusammen. Nur einen Tag nach dem Staatsstreich ließen die Militärs ihren Mann Hernan Henriquez Aravena, einen Unterstützer Allendes, "verschwinden". Es heißt, er wurde erschossen. Was genau mit dem linken Arzt geschah, weiß die mittlerweile 69-Jährige nicht. Sie selbst floh im Dezember 1973 mit ihren vier Kindern nach Frankfurt am Main, wo sie bis heute lebt. "Es ist unerträglich, die Mörder auf der Straße zu sehen", erklärt Kries, warum sie auch nach dem Ende der Diktatur nicht in ihre alte Heimat zurückgekehrt ist. Nicht minder unerträglich findet sie, dass die Colonia Dignidad, die sich inzwischen "Villa Baviera" nennt, immer noch existiert - nicht zuletzt dank der großzügigen Unterstützung Deutschlands. Kries hat keinerlei Verständnis dafür, dass mithilfe deutscher Gelder aus dem einstigen Horrorcamp eine Touristenattraktion werden soll. "Das ist eine Schande", empört sie sich. Seit 2008 erhielt die Siedlung mit ihren rund 160 überwiegend deutschstämmigen Bewohnern mehr als 1,1 Millionen Euro aus Mitteln des Haushalts des Auswärtigen Amtes für angebliche "Projekte zur Förderung der Integration der VB in die chilenische Gesellschaft".
Die Colonia Dignidad
Die
Anfänge: 1961 flieht der
evangelikale Prediger Paul Schäfer mit mehr als drei Dutzend
Familien nach Chile. In Deutschland ermittelte da bereits die
Staatsanwaltschaft wegen Kindesmissbrauchs gegen den ehemaligen
Jugendpfleger. Schäfer gründet im Süden Chiles die Colonia
Dignidad, die "Kolonie der Würde". Die Siedlung umfasst rund
30.000 Hektar und ist von der Außenwelt hermetisch abgeschottet.
Der
Sektenchef: Paul Schäfer,
1921 geboren, kommt aus einfachen Verhältnissen. Es gelingt ihm,
ganze Familien mit seiner Verheißung vom Leben in einer
urchristlichen Gemeinde um sich zu scharen, zum Teil entführt er
auch Kinder nach Chile. In der Colonia Dignidad missbraucht
Schäfer über Jahrzehnte Dutzende von Jungen. Erst Mitte der
1990er Jahre wendet sich das Blatt gegen ihn: Chilenische Eltern
verklagen Schäfer wegen Kindesmissbrauchs. Schäfer taucht unter
und wird erst 2005 in Argentinien verhaftet. 2006 wird er zu 20
Jahren Gefängnis verurteilt. Er stirbt 2010 in chilenischer
Haft.
Zwangsregime und Folter: Die
KoloniebewohnerInnen werden nach Geschlechtern getrennt,
Schläge, Freiheitsentzug und Folter mit Elektroschocks sind an
der Tagesordnung. Die BewohnerInnen arbeiten zudem Jahrzehnte
ohne Bezahlung in der Landwirtschaft, der Bäckerei, im
Krankenhaus oder der Gaststätte der Kolonie. Während der
chilenischen Militärdiktatur (1973-1990) wurden in der Siedlung
Diktaturgegner gefoltert. In Deutschland erfahren Öffentlichkeit
und Parlament ab Mitte der 1970er Jahre davon, dass in der
Kolonie Folter und Missbrauch stattfinden. Doch etliche
Politiker sowie unter anderem der deutsche Botschafter in
Santiago, Erich Strätling, halten lange Zeit ihre Hand über die
Colonia.
Die
Siedlung heute: Nach Schäfers
Flucht erodieren die Strukturen. Heute nennt sich die Siedlung
Villa Baviera (Bayerisches Dorf) und wirbt mit urdeutschem
Brauchtum, Bier, Essen und Übernachtungsmöglichkeiten um
Feriengäste. Etliche Verbrechen sind bis heute nicht
aufgearbeitet, die Opfer nicht entschädigt. |
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