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Von Pascal Beucker und Anja Krüger |
Ein Buch von ehemaligen
Verfassungsschützern teilt kräftig gegen die MLPD aus. Die sucht
jetzt Hilfe bei der Klassenjustiz.
Sie fordert für sich
und ihren Vorsitzenden Stefan Engel insgesamt mindestens 10.000
Euro Schadensersatz, weil sie sich auf fünf Seiten in dem Buch
„Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?“ diffamiert
sieht.
Außerdem sollen mehrere Passagen
geschwärzt werden. Was die Sache interessant macht: Bei den
beiden Autoren Harald Bergsdorf und Rudolf van Hüllen handelt es
sich um zwei ehemalige staatlich besoldete Experten zum Thema
„Linksextremismus“. Der eine war bis 2005 Referent im Thüringer
Innenministerium, der andere bis 2006 Referatsleiter im
Bundesamt für Verfassungsschutz. So zielt die Klage der Vorkämpfer für die
proletarische Weltrevolution auf den Inlandsgeheimdienst, zumal
Bergsdorf und van Hüllen nach eigenen Angaben einen Großteil der
Erkenntnisse aus Verfassungsschutzberichten bezogen haben.
Fehlende Belege der Verfassungsschützer Es ist der zweite Verhandlungstermin, zu dem
die Vorsitzende Richterin der 4. Zivilkammer, Jutta Lashöfer,
die Kontrahenten geladen hat. Es geht darum, dass sich die MLPD
nicht vorwerfen lassen will, eine „in marxistisch-leninistische
Parteiform gekleidete Sekte“ zu sein. Auch bestreitet sie, dass
sich um ihren Chef Stefan Engel „inzwischen ein massiver, an die
Vorbilder Stalin und Mao gemahnender Personenkult entwickelt“
habe. Entsprechende Aussagen finden sich schon seit Jahren in
Verfassungsschutzberichten. Doch anders als von den Beklagten
erhofft, reichten diese „Quellen“ Lashöfer beim ersten
Prozesstag Anfang Oktober vorigen Jahres nicht aus. Sie forderte
von den Beklagten, „Belegtatsachen zu konkretisieren und unter
Beweis zu stellen“. Bei einem Blick auf
Stefan Engel sind Lashöfers Zweifel nachvollziehbar. Seit ihrer
Gründung 1982 führt der gebürtige Nordbayer die MLPD an. Damit
steht er ihr inzwischen länger vor als einst Stalin der KPdSU.
In zwei Jahren hat er Mao Zedong als Vorsitzenden der KP Chinas
eingeholt. Trotzdem macht der 59-jährige gelernte Schlosser, der
sich selbst als „Arbeiterführer“ bezeichnet,
nicht gerade den Eindruck eines
gefährlichen Klassenkämpfers. Der Berufsrevolutionär ist in die Jahre
gekommen. Die grauen Haare sind unübersehbar, an beiden Ohren
trägt er ein Hörgerät. Engel hat eine hellblaue Jeans an, weiße
Strümpfe und schwarze Schuhe. Der Bauchansatz wird von seinem
roten Pullover nur mäßig überdeckt. „Wir sind ganz normale
Leute“, sagt Engel. Niemand würde ihm wohl widersprechen wollen,
wenn das „grundlegende Ziel“ seiner Partei nicht noch immer der
„revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die
Errichtung der Diktatur des Proletariats“ wäre. Nach Verfassungsschutzangaben verfügt die
MLPD über rund 2.000 Mitglieder. Wie viele es wirklich sind,
will Engel nicht verraten. Aber die Zahl sei „eher zu niedrig“,
sagt er. Rund fünfzig Anhänger sind zur Unterstützung ihres
Vorsitzenden zum Prozess gekommen.
„Eher untertrieben“ Auch Ulrich B. gehörte früher zu den Fans. Im
Gegensatz zu Stefan Engel kann er jedoch auf keine lange
revolutionäre Karriere zurückblicken. Gerademal eineinhalb Jahre
soll der 57-jährige Kölner Mitglied der MLPD gewesen sein. Im
Juni 2011 teilte er per E-mail seinen Austritt mit. Nachdem Ulrich B. im Sommer 2012 von der
Klage seiner ehemaligen Partei erfahren hat, will er sich
umgehend bei dem beklagten Verlag gemeldet haben. Seine
Botschaft:„Das ist eher untertrieben, was ihr da schreibt!“
Jetzt sitzt der vollbärtige Mann mit den zum Zopf gebundenen
grau-gelben Haaren als Kronzeuge der Beklagten im Raum C35 des
Essener Landgerichts. Was er über die vermeintlich
fürchterlichen Praktiken innerhalb der MLPD zu berichten weiß,
ist bizarr. Ulrich B. soll belegen, dass Neumitglieder,
wie in dem Buch behauptet, „mit unangekündigten Kontrollbesuchen
durch Funktionäre überzogen werden, um ihre Lebensverhältnisse
auf Einflussmöglichkeiten des Klassenfeindes zu untersuchen und
auch Lebensgefährten und Freunde entweder in die MLPD zu ziehen
oder sozial zu isolieren“. Doch die Beweisführung klappt nicht:
Er muss einräumen, nur davon gehört zu haben. Persönlich erlebt
hat der ganz in schwarz gekleidete Mann mit dem geröteten
Gesicht einen solchen Kontrollbesuch nicht: Das hätte sich für
ihn „erübrigt, weil ich mit einer Parteifunktionärin liiert
war“. Das einzige, was Ulrich B. konkret zu berichten weiß: dass
er selbst potenzielle MLPD-Interessenten in ihren Wohnungen
aufgesucht hatte: „Das nennt sich Parteiaufbauarbeit.“ Richterin
Lashöfer ist irritiert: „Was hat das mit Kontrolle zu tun?“
Klassenkampf kostet Moniert hatte die Partei auch die
Buchpassage, Mitglieder würden „unter moralischen Druck gesetzt,
die enorm ambitionierten Spendenkampagnen der Partei zu
erfüllen“. Ulrich B. stimmt der Aussage zu, das sei auch seine
„subjektive Empfindung“ gewesen. Bei der MLPD gebe es nichts
umsonst. Jede politische Aktivität sei mit finanziellen Aspekten
verbunden gewesen. Doch wie groß war der Druck auf die einzelnen
Mitglieder? „Das kennen Sie vielleicht aus der Kirche, wo einem
ja auch der Klingelbeutel unter die Nase gehalten wird“,
antwortet das ehemalige Mitglied der Kölner Gruppenleitung der
MLPD. „Die Vorgehensweise ist halt ähnlich.“ Rund zweieinhalb Stunden dauert die
Vernehmung von Ulrich B., außer einem gewissen Unterhaltungswert
hat sie nichts gebracht. „Wir gehen davon aus, dass das ein
V-Mann ist“, sagt Stefan Engel anschließend. Beweisen kann er
seine Behauptung nicht. Falls sie stimmen würde, müsste man sich
wohl noch größere Sorgen um den Inlandsgeheimdienst machen als
ohnehin schon. Nach Auffassung des
Anwalts der Beklagten, Gernot Lehr, hätte sich das Gericht die
Vernehmung des Zeugen auch sparen können – oder müssen. „Fast
alle
Äußerungen meiner Mandanten zur
MLPD sind durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt“,
sagt er. Deshalb sei eine Beweiserhebung in diesem Umfang nicht
nötig gewesen. Dass die Richterin sie angeordnet habe, sei ein
Etappensieg für die MLPD gewesen. Gleichwohl ist Medienanwalt
Lehr, der auch den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulf
vertreten hat, der Ansicht, dass der Zeuge die wichtigsten
Tatsachen bestätigt habe. Ex-Verfassungsschützer Rudolf van
Hüllen hält die MLPD jedenfalls nach wie vor für „den Prototyp
einer völlig tief gefrorenen stalinistischen Organisation“. Der
Prozess sei „ärgerlich“. Für den 11. April hat Richterin
Lashöfer die Urteilsverkündung angesetzt. Für die MLPD ist dies nicht das einzige Verfahren. Sie klagt auch gegen die Sparkasse Gelsenkirchen. Das Bankhaus weigert sich, einen Kreditantrag an die Kreditanstalt für Wiederaufbau weiterzuleiten. Mit dem günstigen Darlehen will die Partei ein Solardach auf ihrem Hauptquartier finanzieren. „Das Gericht hat einen Eilantrag mit der Begründung abgelehnt, die MLPD hätte genug Geld“, sagte MLPD-Sprecher Jörg Weidemann der taz. Demnächst kommt es zur Verhandlung. Ein Termin steht allerdings noch nicht fest. |
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