29.03.2013

Startseite
taz

 MLPD will keine Sekte sein
Von Pascal Beucker und Anja Krüger

Ein Buch von ehemaligen Verfassungsschützern teilt kräftig gegen die MLPD aus. Die sucht jetzt Hilfe bei der Klassenjustiz.

MLPD-Chef Stefan EngelDen Kampf für die Diktatur des Proletariats führt die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) nicht mit der Waffe in der Hand, sondern mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch unterm Arm. Am Gründonnerstag hat das Landgericht Essen über die Klage der marxistisch-leninistischen Kleinpartei gegen zwei Buchautoren und den Verlag Ferdinand Schöningh verhandelt.

Sie fordert für sich und ihren Vorsitzenden Stefan Engel insgesamt mindestens 10.000 Euro Schadensersatz, weil sie sich auf fünf Seiten in dem Buch „Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?“ diffamiert sieht.  Außerdem sollen mehrere Passagen geschwärzt werden.

Was die Sache interessant macht: Bei den beiden Autoren Harald Bergsdorf und Rudolf van Hüllen handelt es sich um zwei ehemalige staatlich besoldete Experten zum Thema „Linksextremismus“. Der eine war bis 2005 Referent im Thüringer Innenministerium, der andere bis 2006 Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz.

So zielt die Klage der Vorkämpfer für die proletarische Weltrevolution auf den Inlandsgeheimdienst, zumal Bergsdorf und van Hüllen nach eigenen Angaben einen Großteil der Erkenntnisse aus Verfassungsschutzberichten bezogen haben.

Fehlende Belege der Verfassungsschützer

Es ist der zweite Verhandlungstermin, zu dem die Vorsitzende Richterin der 4. Zivilkammer, Jutta Lashöfer, die Kontrahenten geladen hat. Es geht darum, dass sich die MLPD nicht vorwerfen lassen will, eine „in marxistisch-leninistische Parteiform gekleidete Sekte“ zu sein. Auch bestreitet sie, dass sich um ihren Chef Stefan Engel „inzwischen ein massiver, an die Vorbilder Stalin und Mao gemahnender Personenkult entwickelt“ habe. Entsprechende Aussagen finden sich schon seit Jahren in Verfassungsschutzberichten. Doch anders als von den Beklagten erhofft, reichten diese „Quellen“ Lashöfer beim ersten Prozesstag Anfang Oktober vorigen Jahres nicht aus. Sie forderte von den Beklagten, „Belegtatsachen zu konkretisieren und unter Beweis zu stellen“.

Bei einem Blick auf Stefan Engel sind Lashöfers Zweifel nachvollziehbar. Seit ihrer Gründung 1982 führt der gebürtige Nordbayer die MLPD an. Damit steht er ihr inzwischen länger vor als einst Stalin der KPdSU. In zwei Jahren hat er Mao Zedong als Vorsitzenden der KP Chinas eingeholt. Trotzdem macht der 59-jährige gelernte Schlosser, der sich selbst als „Arbeiterführer“ bezeichnet,  nicht gerade den Eindruck eines gefährlichen Klassenkämpfers.

Der Berufsrevolutionär ist in die Jahre gekommen. Die grauen Haare sind unübersehbar, an beiden Ohren trägt er ein Hörgerät. Engel hat eine hellblaue Jeans an, weiße Strümpfe und schwarze Schuhe. Der Bauchansatz wird von seinem roten Pullover nur mäßig überdeckt. „Wir sind ganz normale Leute“, sagt Engel. Niemand würde ihm wohl widersprechen wollen, wenn das „grundlegende Ziel“ seiner Partei nicht noch immer der „revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats“ wäre.

Nach Verfassungsschutzangaben verfügt die MLPD über rund 2.000 Mitglieder. Wie viele es wirklich sind, will Engel nicht verraten. Aber die Zahl sei „eher zu niedrig“, sagt er. Rund fünfzig Anhänger sind zur Unterstützung ihres Vorsitzenden zum Prozess gekommen.

„Eher untertrieben“

Auch Ulrich B. gehörte früher zu den Fans. Im Gegensatz zu Stefan Engel kann er jedoch auf keine lange revolutionäre Karriere zurückblicken. Gerademal eineinhalb Jahre soll der 57-jährige Kölner Mitglied der MLPD gewesen sein. Im Juni 2011 teilte er per E-mail seinen Austritt mit.

Nachdem Ulrich B. im Sommer 2012 von der Klage seiner ehemaligen Partei erfahren hat, will er sich umgehend bei dem beklagten Verlag gemeldet haben. Seine Botschaft:„Das ist eher untertrieben, was ihr da schreibt!“ Jetzt sitzt der vollbärtige Mann mit den zum Zopf gebundenen grau-gelben Haaren als Kronzeuge der Beklagten im Raum C35 des Essener Landgerichts. Was er über die vermeintlich fürchterlichen Praktiken innerhalb der MLPD zu berichten weiß, ist bizarr.

Ulrich B. soll belegen, dass Neumitglieder, wie in dem Buch behauptet, „mit unangekündigten Kontrollbesuchen durch Funktionäre überzogen werden, um ihre Lebensverhältnisse auf Einflussmöglichkeiten des Klassenfeindes zu untersuchen und auch Lebensgefährten und Freunde entweder in die MLPD zu ziehen oder sozial zu isolieren“. Doch die Beweisführung klappt nicht: Er muss einräumen, nur davon gehört zu haben. Persönlich erlebt hat der ganz in schwarz gekleidete Mann mit dem geröteten Gesicht einen solchen Kontrollbesuch nicht: Das hätte sich für ihn „erübrigt, weil ich mit einer Parteifunktionärin liiert war“. Das einzige, was Ulrich B. konkret zu berichten weiß: dass er selbst potenzielle MLPD-Interessenten in ihren Wohnungen aufgesucht hatte: „Das nennt sich Parteiaufbauarbeit.“ Richterin Lashöfer ist irritiert: „Was hat das mit Kontrolle zu tun?“

Klassenkampf kostet

Moniert hatte die Partei auch die Buchpassage, Mitglieder würden „unter moralischen Druck gesetzt, die enorm ambitionierten Spendenkampagnen der Partei zu erfüllen“. Ulrich B. stimmt der Aussage zu, das sei auch seine „subjektive Empfindung“ gewesen. Bei der MLPD gebe es nichts umsonst. Jede politische Aktivität sei mit finanziellen Aspekten verbunden gewesen. Doch wie groß war der Druck auf die einzelnen Mitglieder? „Das kennen Sie vielleicht aus der Kirche, wo einem ja auch der Klingelbeutel unter die Nase gehalten wird“, antwortet das ehemalige Mitglied der Kölner Gruppenleitung der MLPD. „Die Vorgehensweise ist halt ähnlich.“

Rund zweieinhalb Stunden dauert die Vernehmung von Ulrich B., außer einem gewissen Unterhaltungswert hat sie nichts gebracht. „Wir gehen davon aus, dass das ein V-Mann ist“, sagt Stefan Engel anschließend. Beweisen kann er seine Behauptung nicht. Falls sie stimmen würde, müsste man sich wohl noch größere Sorgen um den Inlandsgeheimdienst machen als ohnehin schon.

Nach Auffassung des Anwalts der Beklagten, Gernot Lehr, hätte sich das Gericht die Vernehmung des Zeugen auch sparen können – oder müssen. „Fast alle  Äußerungen meiner Mandanten zur MLPD sind durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt“, sagt er. Deshalb sei eine Beweiserhebung in diesem Umfang nicht nötig gewesen. Dass die Richterin sie angeordnet habe, sei ein Etappensieg für die MLPD gewesen. Gleichwohl ist Medienanwalt Lehr, der auch den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulf vertreten hat, der Ansicht, dass der Zeuge die wichtigsten Tatsachen bestätigt habe. Ex-Verfassungsschützer Rudolf van Hüllen hält die MLPD jedenfalls nach wie vor für „den Prototyp einer völlig tief gefrorenen stalinistischen Organisation“. Der Prozess sei „ärgerlich“. Für den 11. April hat Richterin Lashöfer die Urteilsverkündung angesetzt.

Für die MLPD ist dies nicht das einzige Verfahren. Sie klagt auch gegen die Sparkasse Gelsenkirchen. Das Bankhaus weigert sich, einen Kreditantrag an die Kreditanstalt für Wiederaufbau weiterzuleiten. Mit dem günstigen Darlehen will die Partei ein Solardach auf ihrem Hauptquartier finanzieren. „Das Gericht hat einen Eilantrag mit der Begründung abgelehnt, die MLPD hätte genug Geld“, sagte MLPD-Sprecher Jörg Weidemann der taz. Demnächst kommt es zur Verhandlung. Ein Termin steht allerdings noch nicht fest.


© Pascal Beucker & Anja Krüger. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen bei den AutorInnen. Direkte und indirekte Kopien sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der AutorInnen.