04.04.2013

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taz

 Der Trend geht zur Spielbank
Von Pascal Beucker

VERZOCKT Im Westen waren es Musicalhäuser, im Osten Freizeitbäder, mit denen klamme Kommunen auf große Einnahmen hofften. Jetzt wollen alle Kasinos.

Ein Flughafen wie in Kassel-Calden, das hätte Niedernhausen gerade noch gefehlt. Dann hätte es vielleicht geklappt mit dem "Hollywood auf dem Lande", von dem die Stadtoberen in der kleinen hessischen Taunus-Gemeinde einst träumten - zumindest für zwei Jahre.

Mitte der 90er Jahre legten sie sich für 50 Millionen Mark ein Musicaltheater mit 1.500 Plätzen zu, das ihr Weg zum Glück werden sollte. Gebaut wurde es für Andrew Lloyd Webbers Melodram "Sunset Boulevard". Für die Produktion gingen 19,7 Millionen drauf. Ein teures Vergnügen. Doch die Stadt war überzeugt, dass sich die Investition rechnet. Nach nur fünf Jahren würde es in den Kassen nur so sprudeln.

Es kam anders. Nach 18 Monaten und 992 Vorstellungen fiel am 3. Mai 1998 zum letzten Mal der Vorhang. Es kamen doch nicht so viele Besucher wie erwartet. Knapp 200 Mitarbeiter verloren ihren Job. Zur Eröffnung des Konkursverfahrens wurden die Forderungen der Gläubiger auf 28,5 Millionen Mark beziffert. Mangels Masse stellte das Amtsgericht Idstein das Verfahren schließlich Anfang 2006 ein.

Niedernhausen ist ein Beispiel von vielen Kommunen, die in den 90ern ihr Heil in der Musicalwelle suchten. Berauscht von den Erfolgen von "Cats" in Hamburg und "Starlight Express" in Bochum sprossen allerorten Theaterneubauten aus dem Boden - kräftig subventioniert mit öffentlichen Mitteln. Auch Essen und Duisburg hofften, auf diesem Weg von ihrem Schmuddelimage wegzukommen. Ihre Ausflüge in die Musicalwelt endeten im Debakel.

Ein ähnliches Phänomen erlebte die ehemalige DDR nach der Wende mit einer Invasion der Spaßbäder. Laut einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft gibt es davon im Osten der Republik mehr als 90. Mittlerweile scheint es beispielsweise in Brandenburg kaum noch eine Ortschaft zu geben, die nicht über Sprudel-, Plantsch- und Blubberbecken verfügt. "Es gilt die Faustregel: Je trister die Lage, desto größer die Fun- und Freizeitanlage", konstatierte unlängst der Spiegel. Die Folge: Es gibt ein zu großes Angebot für eine zu geringe Nachfrage. Der Grund für diese Überkapazitäten liegt in einer absurden Förderpolitik. So flossen allein in Brandenburg bis 2005 fast 170 Millionen Euro Subventionen in Schwimmbäder.

Es ist stets das gleiche Elend, das zu solch aberwitzigen Fehlplanungen führt. Die kommunalen Kassen sind leer, und Stadtkämmerer suchen verzweifelt nach Einnahmequellen. Dabei schauen sie sich nach erfolgreichen Geschäftsmodellen in anderen Städten um - und wollen allzu häufig nicht wahrhaben, dass diese sich möglicherweise nur deshalb an einem anderen Ort rechnen, weil der Markt begrenzt ist. So entstehen teure Moden. Das Repertoire reicht von einer Inflation von Multiplexkinos über völlig überflüssige Regionalflughäfen bis hin zu überdimensionierten Müllverbrennungsanlagen. Doch Modelle, die ein großes Einzugsgebiet verlangen, können nicht funktionieren, wenn die Konkurrenz um die Ecke wartet.

Der neueste Trend sind Spielbanken. Doch kann man sich die glücklicherweise nicht ganz so einfach in seine Stadt holen. Wer den Zuschlag erhält, darüber entscheidet das jeweilige Land. Nordrhein-Westfalen hatte lange Zeit nur drei Spielbanken: in Aachen, Bad Oeynhausen und Dortmund-Hohensyburg. Vor Kurzem kam Duisburg hinzu. Jetzt soll auch noch ein Kasino in Köln entstehen. Das werde "eine weitere Besucherattraktion sein und neue Einnahmen für die Stadtkasse bringen", jubilierte Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD). Interesse an diesem bizarren Kasino-Kapitalismus angemeldet hatten auch Düsseldorf, Münster, Königswinter und Neuss. Dabei verzeichnen die staatlich konzessionierten Glücksspielhöllen seit Jahren einen stetigen Ertragsrückgang. Doch das haben Stadtkämmerer mit Zockern gemeinsam: Sie hoffen unverdrossen, dass sie irgendwann das große Los ziehen.


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