24.04.2013

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taz

 Schluss mit Dumping
Von Pascal Beucker, Anja Krüger und Michael Bartsch

EINIGUNG Die Tarifpartner im Friseurhandwerk haben sich auf einen Mindestlohn geeinigt. Der gilt vorerst nur für Gewerkschafter in Betrieben, die im Arbeitgeberverband sind - soll aber allgemein verbindlich werden.

Im Salon "Haarschneider" in der Zülpicher Straße nahe der Kölner Universität sind sich Chef Jörg Nuhn und seine MitarbeiterInnen einig. "Ich finde den Mindestlohn für das Friseurhandwerk gut", sagt Nuhn und strahlt. "Ich bin generell für Mindestlöhne."

Allerdings wird sich für den Saloninhaber durch die Vereinbarung, auf die sich die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di mit der Tarifgemeinschaft des Zentralverbands des deutschen Friseurhandwerks und den Landesinnungsverbänden Anfang der Woche geeinigt haben, nichts ändern: Der Friseurmeister bezahlt seine fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohnehin übertariflich - was allerdings die Ausnahme in der Branche ist.

Die Einigung zwischen den Tarifparteien kam schneller als erwartet. Schon bei ihrer ersten Verhandlungsrunde hatten sich die UnterhändlerInnen in Würzburg nach nur vierstündigem Gespräch auf Eckpunkte für die Einführung eines branchenweiten Mindestlohns verständigt. Danach soll ab August 2013 FriseurInnen im Westen zunächst wenigstens 7,50 Euro pro Stunde gezahlt werden, ihren Kolleginnen im Osten 6,50 Euro.

Ab August 2015 soll der Stundenlohn dann auf mindestens 8,50 Euro steigen. "Aus den neuen Bundesländern kam natürlich Widerstand", sagt der Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Friseurhandwerks (ZV), Rainer Röhr. "Wir nehmen das in Kauf, wir müssen die Branche entwickeln."

Bis Ende Juni soll der Mindestentgelt-Tarifvertrag endgültig unterschrieben werden. Damit allein ist allerdings noch nicht viel gewonnen - denn der Abschluss gilt dann erst mal nur für tarifgebundene Unternehmen, womit auch nur Ver.di-Mitglieder ein Anrecht auf den vereinbarten Mindestlohn haben.

Damit würden ausgerechnet in den östlichen Bundesländern aufgrund des geringen gewerkschaftlichen Organisierungsgrads zunächst nur wenige von der neuen Regelung profitieren. "Fair für die Branche wäre es, wenn sich alle daran halten und kein ruinöser Wettbewerb über Lohnpolitik stattfinden kann", fordert Ver.di-Verhandlungsführerin Ute Kittel.

Das Ziel sowohl der Gewerkschaft als auch des Zentralverbands des deutschen Friseurhandwerks ist, dass ihre Einigung vom Bundesarbeitsministerium für allgemein verbindlich erklärt wird. Damit dies gelingt, müssen auch die noch nicht tarifgebundenen Unternehmen und Ketten der Tarifgemeinschaft beitreten, fordert Ver.di.

Bevor der Mindestlohn tatsächlich allgemein verbindlich wird, muss er einen streng formalisierten Prozess durchlaufen, sagt ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums. Der Antrag wird im Bundesanzeiger veröffentlicht, dann haben Akteure aus der Branche drei Wochen Zeit, Einspruch zu erheben - wenn die Antragsteller nicht 50 Prozent der Beschäftigten der Branche repräsentieren. Danach muss der Antrag den Tarifausschuss passieren, der aus je drei Vertretern von DGB und Arbeitnehmerverbänden besteht. "Vier Mitglieder müssen dafür stimmen", so der Sprecher. "Man muss abwarten, was passiert."

Für die CDU/CSU begrüßte der sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Karl Schiewerling die Einigung: "Das Friseurhandwerk hat bewiesen, dass die Tarifautonomie auch in einem schwierigen Umfeld funktioniert." Gerade deshalb lehne die Union einen gesetzlichen Mindestlohn weiterhin ab. Mindestlöhne seien und blieben Sache der Tarifpartner.

In Nordrhein-Westfalen hatte Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) bereits Anfang April den dortigen Tarifvertrag rückwirkend zum 1. August 2012 für allgemein verbindlich erklärt. Danach erhält eine Friseurin mit Gesellenprüfung zwischen 1.358 und 1.780 Euro brutto im Monat - und liegt damit über einem Stundenlohn von 8,50 Euro. Davon können die Friseurinnen eines Dresdner Salons nur träumen. Sie verdienen deutlich weniger. Selbstverständlich finden sie deshalb die Mindestlohneinigung in ihrer Branche gut.

Von Euphorie aber kann auch im Westen nicht die Rede sein. "Eher von Ironie angesichts der in anderen industrienahen Branchen üblichen Löhne", so eine junge Friseurin. Ganz bitter sieht es für die BerufseinsteigerInnen in Brandenburg oder Sachsen-Anhalt aus, die bei einem Stundenlohn von 3,60 Euro nach drei Ausbildungsjahren nicht einmal auf tausend Euro Brutto im Monat kommen.

Ganz entspannt sind die Dresdner Friseurinnen auch deshalb nicht, weil ihre Chefin noch am Montagnachmittag ankündigte, nun müssten die Preise für einen Haarschnitt um 20 Prozent steigen. Bei einem Personalkostenanteil von 70 Prozent sei der Mindestlohnabschluss nicht anders aufzufangen.

Christel Tempel, Ver.di-Fachbereichsleiterin für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, lässt sich aber von indirekten Drohungen mit ausbleibenden Kunden und möglichen Gewerbeaufgaben nicht beeindrucken. "Deswegen können wir nicht bei Tarifen wie vor 20 Jahren stehen bleiben - so lange spart die Branche schon!" Es sei Sache der Unternehmen, dem Kunden zu vermitteln, dass eine Frisur für 10 Euro nicht realistisch ist.

In der Bundesrepublik gibt es rund 80.000 Friseurbetriebe mit 160.000 angestellten FriseurInnen. Rund ein Drittel der Betriebe sind Kleinstunternehmen mit einem Jahresumsatz von weniger als 17.500 Euro. Insgesamt setzt die Branche rund 5,3 Milliarden Euro im Jahr um.

Daneben gibt es Friseurfilialisten. Marktführer sind hier die beiden Ketten Essanelle und Klier. Essanelle begrüßt die Einführung des Mindestlohns. Klier testet seit Anfang März in zwölf Salons in Berlin und den neuen Bundesländern den Mindestlohn von 6,50 Euro oder 7,50 Euro - was einer Lohnerhöhung von im Schnitt 30 Prozent entspricht. "Um diese Lohnerhöhungen zu finanzieren, wurden in gleichem Maße die Dienstleistungspreise angepasst", teilt das Unternehmen mit.

Jörg Nuhn findet das richtig. In seinem Salon kostet ein Haarschnitt mit Waschen und Föhnen 35 Euro. "Dafür planen wir eine Stunde Arbeitszeit ein", sagt er. VerbraucherInnen müssten sich darüber klar sein, dass es auch eine politische Entscheidung sei, wenn sie zum Billiganbieter gehen. "Klar, dass man nur wenig zahlen kann, wenn man einen Haarschnitt für 15 Euro anbietet", sagt Nuhn. Im Billigladen 150 Meter weiter gibt es dafür Haarwäsche und Schnitt - geföhnt wird selber.


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