22.05.2013 |
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Reichstag und Butterstulle |
Von Pascal Beucker und Anja Krüger |
WÄHLERPFLEGE
Dreimal im Jahr können Bundestagsabgeordnete Besucher für eine
Stippvisite nach Berlin laden. Was machen diese Polittouris da? Auf dem Parkplatz vor dem Berliner
Hauptbahnhof warten zahlreiche Reisebusse. Die Besuchergruppe,
die gerade mit dem ICE 859 aus dem Westen der Republik
angekommen ist, muss aufpassen, nicht den falschen zu erwischen.
Zettel in den Windschutzscheiben weisen den Weg. Auf ihnen
prangen Namen von Bundestagsabgeordneten. Die knapp 40 Frauen
und Männer aus dem Zug steigen bei „Birkwald“ ein. Woche für Woche spielt sich das gleiche
Schauspiel ab: Als wären nicht ohnehin schon genug Touristen in
der Stadt, schlängeln sich auch noch Dutzende von
Abgeordnetenbesuchergruppen durch die unzähligen Baustellen
Berlins. Doch was machen diese Polittouris da eigentlich? Ein
viertägiger Selbstversuch gibt Auskunft. Die kleine Gruppe aus dem Rheinland ist auf
Einladung des Linkspartei-Abgeordneten Matthias W. Birkwald nach
Berlin gekommen. Sie wird im Bus von Sabine Wiehmert begrüßt.
„Die Programmpunkte sind Pflichttermine“, sagt die Mitarbeiterin
des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung streng.
„Nicht, dass Sie
denken, das ist freiwillig hier.“ Diesem Irrtum war unlängst
eine gute Bekannte erlegen, die sich auf vier schöne Urlaubstage
mit ihrer Freundin gefreut hatte - und dann irritiert
feststellen musste, dass es sich nicht nur der Ankündigung nach
um eine „politische Informationsfahrt“ handelte, zu der sie das
Büro des Grünen Volker Beck eingeladen hatte. Dreimal im Jahr kann ein Abgeordneter bis zu
50 Besucher zur Stippvisite in die Bundeshauptstadt einladen.
Kost und Logis übernimmt das Bundespresseamt. 23,6 Millionen
Euro stehen dafür im Haushalt zur Verfügung. Besonders in
Vorwahlzeiten nutzen Parlamentarier gerne die Trips für
„politisch Interessierte“ als Instrument der Wahlkreispflege.
„In dieser Woche sind rund 60 Besuchergruppen im Rahmen der
Informationsfahrten in Berlin“, gibt das Bundespresseamt
Auskunft.
Standardrepertoire Stadtrundfahrt Das ist auch für das Programm verantwortlich. Zum Standardrepertoire gehört eine Stadtrundfahrt, „an politischen Punkten orientiert“, und ein Besuch des Reichstags. Dort trifft die Reisegruppe auch „ihren“ Abgeordneten: Im Fraktionsraum der Linkspartei referiert Birkwald über Rentenpolitik. Egal, welche Frage ihm gestellt wird, immer wieder kommt der rentenpolitische Sprecher auf sein Lieblingsthema zurück. Darüber könnte er Stunden sprechen, sagt der 51-Jährige. Aber er hat nur eine einzige - und überzieht die Zeit. Als er ausgeredet hat, ist es zu spät für das
angekündigte Gruppenfoto auf der Dachterrasse des Reichstags.
Ein schnelles Bild vor dem Fraktionsraum muss reichen.
Presseamtsmitarbeiterin Wiehmert drängelt: Es wartet schon die
Führung durch das Berliner Abgeordnetenhaus. Im dortigen
Festsaal wurde 1919 die KPD gegründet. Offizieller Zweck der Informationsfahrten ist
es, Bürgern die Funktions- und Arbeitsweise von Parlament,
Bundesrat und Bundesregierung näher zu bringen und vertiefte
Einblicke in die neuere deutsche Zeitgeschichte zu ermöglichen.
„Die
einzelnen Programmpunkte, die wir dem Bundespresseamt
vorschlagen, orientieren sich an der jeweiligen Gruppe, die wir
einladen“, erläutert Gisela Stahlhofen, die
Wahlkreismitarbeiterin Birkwalds. Mal werden verdiente
Parteiaktivisten bedacht, mal sozial benachteiligte Jugendliche,
mal Hartz-IV-Empfänger, die sich sonst keine Reisen leisten
können. „Das nächste Mal kommen IG-Metall-Gewerkschafter“, sagt
Stahlhofens Kollege Udo Spitzl-Zimny. Diesmal ist der Kreis eher ungewöhnlich: Es
handelt sich in der Mehrzahl um frühere Jungdemokraten. Wie die
Grünen-Vorsitzende Claudia Roth oder der
SPD-Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer war auch der
Linksparteiler Birkwald in seinen jungen Jahren Mitglied der
radikaldemokratischen Jugendorganisation, die sich nach dem
Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 von der FDP getrennt
hat und seitdem parteiunabhängig ist. Die
PR-Frau kommt ins Schwitzen Das Altersspektrum der Teilnehmer reicht von
Mitte 30 bis Mitte 70. Mitglied der Linkspartei sind nur wenige,
bürgerrechtlich orientiert jedoch alle. Deshalb gibt es für sie
Informationsgespräche beim Bundesbeauftragten für Datenschutz
und Informationsfreiheit sowie im Bundesinnenministerium, wo die
nach wie vor äußerst disputfreudigen Alt-Jungdemokraten die
PR-Frau des Ministerium schwer ins Schwitzen bringen. Am letzten Tag stehen mehrere Führungen „auf
den Spuren jüdischen Lebens rund um den Hackeschen Markt“ auf
dem Programm. Am Donnerstagabend geht es zurück ins Rheinland.
Als Wegration gibt es ein Lunchpaket vom Restaurant
Butterstulle. Ohnehin bestand all die Tage nie die Gefahr, zu verhungern. Frühstück im Hotel, dann mittags und abends Essen in wechselnden Restaurants: Die Bundestagsreisen sind offenkundig auch ein Beitrag zur Förderung der Berliner Gastronomie. „Wenn ich zurück in Köln bin, habe ich mindestens zwei Kilo zugenommen“, sagt eine Teilnehmerin zum Abschluss. Das gilt leider nicht nur für sie. |
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