04.07.2013 |
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Die zerschnittenen Blutspuren |
Von Pascal Beucker |
Während einer Ausstellung über
Graphic Novels hängt eine muslimische Studentin zwei Exponate ab
– eins zerstört sie sogar. Ihr Motiv scheint antiisraelisch zu
sein. An der Universität Duisburg-Essen tobt ein
Karikaturenstreit. Weil sie zwei Poster in einer Ausstellung
über aktuelle Graphic Novels für anstößig hielt, schritt eine
muslimische Studentin zur Selbsthilfe und hängte die
umstrittenen Exponate ab. Und nicht nur das: Offenkundig aus
antiisraelischen Motiven heraus zerstörte sie eines der beiden
Plakate. Daraufhin wurde die Comic-Ausstellung in der
Universitätsbibliothek vorzeitig beendet – aus Protest gegen die
erfolgte Zensur. Jetzt wird an der Hochschule über
Wissenschafts- und Meinungsfreiheit diskutiert. Steine des
Anstoßes sind zwei Plakate in der Ausstellung „What Comics can
do! – Recent Trends in Graphic Fiction”, die seit dem 23. Mai im
Foyer der Uni-Bibliothek auf dem Campus Essen gezeigt wurde.
Ausgestellt wurden studentische Poster aus der Anglistik, in
denen die Erzähltechniken und Inhalte von zwölf Graphic Novels
erläutert wurden. Darunter befanden sich auch eine Collage mit
verschiedenen Szenen aus dem Orient-Comic „Habibi“ des
US-Comickünstlers Craig Thompsons sowie ein Plakat, das sich mit
dem Buch „Blutspuren” der israelischen Zeichnerin und
Illustratorin Rutu Modan befasst. Zunächst hatten sich Mitte
Juni einige muslimische Studierende lautstark darüber mokiert,
dass neben einer gewalttätigen Sexszene aus Thompsons „Habibi“
das Wort „Allah“ in arabischer Kalligrafie montiert war. Dies
verletzte ihre religiösen Gefühle, beklagten sie und forderten
die Entfernung des Bildes. Während die Bibliotheksleitung noch
überlegte, wie sie mit dem Protest umgehen will, schritt eine
Studentin zu Tat. Zuerst hängte sie am 17. Juni auf eigene Faust
die Thompson-Collage ab. Doch dabei beließ es die angehende
Gesellschaftswissenschaftlerin nicht. Anders als von mehreren
Zeitungen wie der WAZ oder der Welt berichtet,
die sich offenkundig auf eine entsprechende Veröffentlichung in
der AStA-Publikation ak[due]ll bezogen, ging es der
jungen muslimischen Frau nicht nur um Thompsons „Habibi“ und die
vermeintliche Verletzung ihrer religiöser Gefühle. Denn ein
zweites Plakat erregte bei ihr noch größeren Unmut.
Als anstößig empfundene
Bildinhalte Am 24. Juni ging sie nach Informationen der
taz gegen eine Collage mit Motiven aus Rutu Modans Werk
„Blutspuren” vor. Mit einer Schere schnitt die Studentin von ihr
als anstößig empfundene Bildinhalte aus dem Plakat heraus und
übergab den Torso der Bibliotheksleitung. Daraufhin wurde die
Ausstellung vorzeitig abgebrochen. „Eine teilzensierte Ausstellung hätte als
Eingeständnis einer Schuld gewertet werden können, was auf jeden
Fall vermieden werden sollte“, begründet der geschäftsführende
Direktor des Instituts für Anglophone Studien, Christoph Heyl,
die Entscheidung. Auf der zerstörten Collage stand weder das
Wort „Allah“, noch zeigte sie eine Sexszene. Stattdessen ist
darauf eine Friedensdemonstration in Israel zu sehen, bei der
auf einem Transparent die Aufschrift „Shalom“ zu lesen ist. Auch wenn die Hochschule selbst angibt,
derzeit noch über die Motive der Studentin zu rätseln: Es liegt
mehr als nahe, dass ihrer Aktion ein handfestes
antiisraelisches, wenn nicht antisemitisches Motiv zugrunde lag.
Rutu Modans mehrfach preisgekrönte Graphic Novel „Exit Wounds“,
die 2008 unter dem Titel „Blutspuren“ auch auf deutsch erschien,
spielt vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts und der
Bedrohungssituation der in Israel lebenden Menschen durch
palästinensische Selbstmordattentäter. Es handele sich um eine „glänzend erzählte
Geschichte“, urteilte seinerzeit die Frankfurter Allgemeine
Zeitung. „Mit kühlem Understatement im Stil der
franko-belgischen Tradition ist die Geschichte gezeichnet,
zurückhaltend und klar konturiert coloriert“, schrieb die
taz in einer Rezension. Die in Tel Aviv lebende
Mitgründerin des israelischen Künstlerkollektivs Actus Tragicus
zeige in ihrem Buch „die Konsequenzen eines Lebens mit einer
ständig latent im Alltag vorhandenen Bedrohung“.
Eindringliches Gespräch Die Hochschulleitung hat nun angekündigt, mit
der Studentin ein eindringliches Gespräch zu führen.
„Weitergehende juristische Schritte behalten wir uns vor“,
betonte Uni-Rektor Ulrich Radtke. Ihr eigenmächtiges Verhalten
sei in keiner Weise zu rechtfertigen. „An einer Universität darf
es keine Denkverbote geben“, betonte Radtke. Schließlich sei die
Universität ein Ort der Toleranz und Wissenschaftsfreiheit. „Es entspricht dem Wesen des wissenschaftlichen Diskurses, auch gegensätzliche Standpunkte auszuhalten“, sagte der Professor. Deswegen will die Hochschule jetzt ein wissenschaftliches Kolloquium zum Thema „Hochschule und Meinungsfreiheit“ organisieren. |
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