07.11.2013 |
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Ruhe im Vorgarten |
Von Pascal Beucker |
Volkszorn ist en vogue: Selbst dort,
wo mehrheitlich Rot-Rot-Grün gewählt wird, will man keine
Ausgegrenzten haben. Aktuell zu erleben in Münster. Noch sind sie gar nicht da. Doch die Nachbarn
sind schon alarmiert. „Dieses Viertel wird jetzt zum neuen
sozialen Brennpunkt in Münster“, steht auf einem Flyer, der
Anfang dieser Woche in ihren Briefkästen gelandet ist. „Gewalt,
Drogen, Lärm, Alkohol, Vermüllung und Belästigungen stehen uns
ins Haus“, warnen die unbekannten Verfasser. Ob es um eine Flüchtlingsunterkunft, ein
Obdachlosenheim oder eine Fixerstube geht: Solcherlei Pamphlete
zur Mobilisierung des Volkszorns sind in jüngster Zeit en vogue
geworden. Der deutsche Michel will keine Ausgegrenzten und
Ausgestoßenen in seiner näheren Umgebung. Man bleibt lieber
unter sich. Der Kiez oder das Veedel soll „sauber“, sprich:
homogen bleiben. Das Ungewöhnliche in diesem Fall: Diesmal
trifft die unfreundliche Begrüßung eine Zeitschrift. draußen! heißt das Blatt – und es ist ein
Straßenmagazin. Der Zorn der anonymen Flugblattautoren zielt auf
die Verkäufer: Obdachlose, Hartz-IV-Empfänger und osteuropäische
Armutsflüchtlinge. „Durch eine finanzkräftige Interessenslobby
und eine linke Mehrheit im Stadtrat braucht diese Gruppe sich
eigentlich an keinerlei Gesetze, Regeln und Pflichten zu
halten“, wird in dem Flyer gehetzt. „Da stehen unglaubliche
Behauptungen drin“, sagt draußen!-Redakteur Carsten Scheiper
empört. Seit 1994 existiert das Straßenmagazin. Ein
Jahr später entstand der gemeinnützige Trägerverein. Heute wird
das Blatt, das sich nicht ganz unbescheiden als „die
Medienalternative für Münster und das Münsterland“ bezeichnet,
von einer vierköpfigen Redaktion erstellt, die von zahlreichen
freien Mitarbeitern unterstützt wird.
Vorurteile gegenüber
Verkäufern Die Auflage beträgt 9.000 Exemplare. Laut
Selbstdarstellung dient das Magazin der „Hilfe zur Selbsthilfe
für Wohnungs- und Langzeitarbeitslose sowie Alg-II-Empfänger“.
Zu den rund 80 Verkäufern gehören darüber hinaus Migranten aus
Rumänien und Bulgarien. „Inzwischen sind die bei uns ganz gut
integriert“, sagt Scheiper. Mehrere Familien würden sich mit dem
Zeitungsverkauf über Wasser halten, berichtet er. Allerdings
würden gerade die osteuropäischen Verkäufer immer wieder auf
erhebliche Vorurteile stoßen. Ihren Sitz hat die Zeitschrift derzeit am
Berliner Platz im Bahnhofsviertel. Doch die Verhältnisse im
dritten Stock eines Bürohauses sind beengt. Deshalb suchte das
draußen!-Team seit Längerem nach neuen Räumen in der Innenstadt.
Größer und vor allem ebenerdig sollten sie sein, weil einige der
obdachlosen Verkäufer schlecht zu Fuß sind. Außerdem sollten sie
die Möglichkeit bieten, an die Verkäufer täglich ein Mittagessen
auszuteilen. „Wir haben lange suchen müssen“, sagt Scheiper.
Immer wieder gab es Absagen. Nicht selten aufgrund von
Vorbehalten gegen ein Straßenmagazin, ist er überzeugt. „Aber
das sagt Ihnen ja keiner ins Gesicht.“
Redaktion erstattete
Strafanzeige Schließlich fand sich doch noch ein passendes
Ladenlokal. Das neue Domizil in der Von-Kluck-Straße, das im
Dezember bezugsfertig sein soll, befindet sich etwa 800 Meter
Fußweg von den bisherigen Redaktionsräumen entfernt im Zentrum
Münsters. Das Viertel gilt als rot-rot-grüne Hochburg: Bei der
vergangenen Bundestagswahl holten SPD, Grüne und Linkspartei in
dem Wahlbezirk, in dem die Von-Kluck-Straße liegt, zusammen fast
63 Prozent der abgegebenen Stimmen. Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien hatten hingegen nichts zu melden: Die NPD, Die Rechte, Pro Deutschland und Republikaner erhielten keine einzige Stimme; die AfD kam auf 17 von insgesamt 1.662 Stimmen. Das klingt beruhigend. Wäre da nicht dieser Flyer. Das draußen!-Team hat inzwischen Strafanzeige erstattet. Aus der Politik gebe es eine große Solidarität, berichtet Scheiper. Aber auch mehrere der künftigen Nachbarn hätten sich bei der Redaktion gemeldet und ihre Empörung über das Traktat bekundet. |
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