12.11.2013

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taz

 Das letzte Urteil
Von Pascal Beucker

ZEITGESCHICHTE Im Prozess gegen die Ex-Revolutionäre-Zellen-Aktivistin Sonja Suder wird heute das Ergebnis erwartet. Die Anklage wackelt.

RZ-ProzessDas wohl letzte große Strafverfahren gegen die Revolutionären Zellen (RZ) steht vor dem Abschluss. Das Landgericht in Frankfurt am Main will am heutigen Dienstag sein Urteil gegen die noch verbliebene Angeklagte Sonja Suder verkünden. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Die Verteidigung der 80-jährigen Rentnerin plädiert auf Freispruch.

Es geht um drei Sprengstoff- und Brandanschläge, an denen die Angeklagte beteiligt gewesen sein soll. Am 22. August 1977 riss eine Bombe ein Loch in die Außenfassade des Firmengebäudes von MAN in Nürnberg. Das Industrieunternehmen betreibe „Beihilfe zur Herstellung südafrikanischer Atombomben“, begründeten die linksterroristischen RZ die Tat. Nur eine Woche später wurde ein Sprengsatz beim Pumpenhersteller Klein, Schanzlin & Becker im rheinland-pfälzischen Frankenthal deponiert, dem die RZ Zulieferungen für Atomkraftwerke vorwarf. Der Anschlag misslang. Hinzu kommt eine Brandstiftung im Heidelberger Schloss im Mai 1978, ausgegeben als Protest gegen die Abrisspolitik der Stadt. Menschen kamen bei keiner der Taten zu Schaden.

Als der Prozess am 21. September 2012 begann, saß neben Sonja Suder noch ihr Lebensgefährte Christian Gauger auf der Anklagebank. Beide waren nach jahrelangen juristischen Scharmützeln 2011 aus Frankreich, wo sie 1978 untergetaucht waren, nach Deutschland ausgeliefert worden. Das Verfahren gegen den 72-jährigen Gauger wurde im Sommer wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit eingestellt.

Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft Suder, die seit rund 26 Monaten in Untersuchungshaft sitzt, auch wegen des Überfalls auf das Hauptquartier der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) in Wien im Dezember 1975 anklagt. Drei Menschen waren damals getötet worden.

Ihren Vorwurf der Beihilfe zum Mord stützte die Anklage auf Aussagen des Ex-RZ-Mitglieds Hans-Joachim Klein, der 2001 wegen seiner Beteiligung an dem Angriff auf die Opec-Konferenz zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Laut Klein war Suder als Logistikerin involviert. Weil seine Einlassungen vor Gericht jedoch „zu viele Widersprüche“ enthielten, ließ Staatsanwalt Bernd Rauchhaus den Mordvorwurf gegen Suder fallen.

Auch das Fundament für die noch verbliebenen Beschuldigungen wackelt. Die Anklage basiert auf unter fragwürdigen Bedingungen zustande gekommenen Aussagen des Ex-RZ-Mitglieds Hermann Feiling vom Sommer 1978. Bei der Vorbereitung eines Bombenanschlags auf das argentinische Konsulat in München war Feiling ein selbst gebastelter Sprengsatz auf dem Schoß explodiert. Ihm mussten beide Beine amputiert und die Augen entfernt werden.

Keine 24 Stunden nach der Notoperation begannen Ermittler noch auf der Intensivstation mit der Vernehmung des mit Schmerzmitteln vollgepumpten Schwerstverletzten. Später widerrief Feiling: Seine Aussagen, die auch Suder belastet hatten, seien „das Ergebnis einer Behandlung, die den Namen Folter verdient“.

Im Gegensatz zur Verteidigung hält die Staatsanwaltschaft Feilings Aussagen, die im Prozess verlesen wurden, dennoch für verwertbar. Wie das die Frankfurter Schwurgerichtskammer sieht, wird entscheidend dafür sein, ob es zu einer Verurteilung Suders kommt.


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