13.03.2014

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 Der Wachhund Gottes hat ausgebellt
Von Pascal Beucker

Mit Joachim Meisner hat ein unerbittlicher Gotteskrieger das Amt des Erzbischofs von Köln aufgegeben. Dass er unabsichtlich zur Säkularisierung der Stadt beigetragen hat, ist seine größte Leistung.

Kardinal Joachim MeisnerEs war eine schöne Feier. Zumindest für diejenigen, die so etwas mögen. Am Sonntag nach Aschermittwoch schauten Tausende römisch-katholische Schäfchen verzückt auf die etwa 60 Kardinäle und Bischöfe aus dem In- und Ausland, die ihre feinen purpurnen Gewänder angelegt hatten. Auch die etwa 430 Priester und Diakone ließen sich optisch nicht lumpen. Durch den dicht gefüllten Hohen Dom zu Köln wehten Weihrauchschwaden. Joachim Meisner, zu dessen Ehren das Pontifikalamt stattfand, bedankte sich bei den Anwesenden: »Ihr seid mit mir gegangen durch dick und dünn.«

Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, lobpreiste den Abschiednehmenden, er sei »ein unbeirrbarer Zeuge Christi und seiner Kirche«, der mit klaren Worten »die Lehre der Kirche verteidigt« habe. Der Domchor intonierte fromme Lieder, sogar Nordrhein-Westfalens protestantische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sang kräftig mit. Bei ihrer Stellvertreterin war das ohnehin eine Selbstverständlichkeit: Sylvia Löhrmann (Grüne) ist Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Auf der weltlichen Festveranstaltung zuvor im altehrwürdigen Gürzenich, Kölns feiner Stube bzw. Festhalle, war Meisner von Löhrmann als »Kirchenmann mit großer Geistes- und Wortgewalt« gelobt worden. Kein kritischer Ton kam ihr über die Lippen – wie auch sonst keinem der ungefähr 1 000 geladenen Gäste. Ganz nach dem lateinischen Sprichwort »De mortuis nil nisi bene« fielen die publizistischen Würdigungen ebenfalls erstaunlich milde aus. Sie verbinde mit ihm »durchaus so einiges«, schwärmte Alice Schwarzer in der Kirchenzeitung des Erzbistums.

Dabei ist der 80jährige Kardinal, der als Erzbischof ein Vierteljahrhundert lang die katholischen Geschicke in der Domstadt bestimmt hat, nur in den längst verdienten Ruhestand getreten. Die Alternativkarnevalisten der Kölner Stunksitzung waren weniger pietätvoll. Sie brachten Meisner am Veilchendienstag ein letztes Ständchen. »Wenn man die Zeit zusammenfasst, hat Köln ihn größtenteils gehasst«, reimten sie. »Jetzt ist er fott, es ist so weit, es siegt doch die Gerechtigkeit.«

Meisners Berufung nach Köln 1989 war eine wichtige Entscheidung in der restaurativen Personalpolitik von Karol Wojtyła, der als Papst Johannes Paul II. weltweit ihm gefällige Kleriker auf die Bischofsstühle brachte. Der aus Polen stammende glühende Antikommunist wusste, dass er sich auf den gebürtigen Schlesier verlassen konnte, als er Meisner gegen den erbitterten Widerstand des Domkapitels zum Kölner Bischof ernannte. Was der Pontifex Maximus im Großen vollführte, praktizierte Meisner im Kleinen. Mit harter Hand regierte der »Unstern von Köln« (Süddeutsche Zeitung). Meisner versetzte unbotmäßige Priester, gängelte und drangsalierte Theologen und Laien und erließ Redeverbote. Der als liberal geltenden Karl-Rahner-Akademie strich er ebenso das Geld wie der Katholischen Arbeitnehmerbewegung. Über das Häuflein Friedensbewegter, das Jahr für Jahr unverdrossen gegen seinen Soldatengottesdienst demonstrierte, sagte er: »Die Verrückten sterben nicht aus.«

Obskure rechtskatholische Gruppen fanden hingegen stets ein offenes Ohr bei ihm. Unter Meisners Episkopat konnten sie sich prächtig entfalten: vom Geheimbund Opus Dei, dessen Deutschlandzentrale in Köln sitzt, über die Legionäre Christi und die Priesterbruderschaft St. Petrus bis zum Neokatechumenalen Weg. Den kinderreichen Anhängern dieser sektenähnlichen Gemeinschaft bescheinigte Meisner unlängst: »Eine Familie von euch ersetzt mir drei muslimische Familien.« Mitglieder der erzkonservativen Marianischen Männerkongregation verabschiedeten sich am Sonntag auf der Domplatte mit einem Transparent mit der Aufschrift »25 Jahre in Köln – Danke Kardinal Meisner«.

Das Kölner Erzbistum ist die reichste Diözese Deutschlands und gilt als eine der reichsten weltweit. Genau beziffern lässt sich das nicht. »Derzeit ist das Vermögen des Erzbistums Köln nicht öffentlich«, heißt es lapidar von der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Bekannt ist nur, dass allein der Erzbischöfliche Stuhl über ein vorwiegend aus Immobilienbesitz bestehendes Vermögen von mehr als 166 Millionen Euro verfügt. Der jährliche Haushalt des Erzbistums liegt bei knapp einer Milliarde Euro. Die Kirchensteuereinnahmen belaufen sich nach Abzug der Gebühren der Finanzverwaltung auf etwa 525 Millionen Euro. Zum Erzbistum gehören 582 Kindergärten, 46 freie Schulen aller Schulformen, 54 Krankenhäuser, 148 Altenpflege- und Altenheime, zahlreiche Jugend- und Familienbildungsstätten und mit dem Domradio sogar ein eigener Radiosender. Insgesamt sind über diverse Rechtsträger etwa 50 000 Menschen im kirchlichen Dienst beschäftigt.

Davon wird allerdings der überwiegende Teil nicht aus der Kirchensteuer bezahlt. So deckt die Caritas ihre Personalkosten aus Pflegesätzen und öffentlichen Zuschüssen. Auch für des Erzbischofs Gehalt muss nicht sein Verein aufkommen: Das an die Besoldung eines Staatssekretärs gekoppelte Salär speist sich aus Landesmitteln. Auch Anders- und Ungläubige mussten so das eigentümliche Treiben Meisners mitfinanzieren.

Dabei war die intellektuell unterkomplexe Weltsicht des »Wachhundes Gottes« (Meisner über Meisner) selbst für zahlreiche Katholiken eine Zumutung. Mit seinem Hang zur verbalen Entgleisung sorgte er immer wieder zielsicher für Aufregung. Chronisch wetterte er gegen Lebensweisen und -vorstellungen, die nicht seinem traditionalistischen christlichen Wertekanon entsprachen. Wenn es gegen das aus seiner Sicht Böse in der Welt ging, war Meisner kaum eine NS-Analogie zu geschmacklos und abwegig.

So fühlte sich Meisner vom sogenannten Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgericht 1995 an die Nationalsozialisten erinnert, die auch schon Kreuze aus Schulen verbannt hätten: »Als sie ihr schauriges kreuzloses Werk begannen, stürzten sie die ganze Welt ins Unglück.« Abtreibungen waren für ihn der »Babyholocaust«. Die Abtreibungspille RU 486 stellte er in eine Reihe mit dem zum millionenfachen Judenmord benutzten Gas Zyklon B: Es wäre »eine unsägliche Tragödie, wenn sich am Ende dieses Jahrhunderts die chemische Industrie ein zweites Mal anschicken würde, in Deutschland ein chemisches Tötungsmittel für eine bestimmte gesetzlich abgegrenzte Menschengruppe zur Verfügung zu stellen«. Homosexualität sei ein »Gift«, befand er, das man »ausschwitzen« müsse.

Viele Äußerungen Meisners waren empörend, die meisten klangen jedoch nur unfreiwillig komisch. Die Kombination aus trotzig vorgetragener kindlich-naiver Frömmigkeit und seiner unbändigen Leidenschaft, wild mit Metaphern zu jonglieren, ließ ihn Sätze erschaffen, wie sie das Blödelquartett Insterburg & Co. nicht besser hätte formulieren können. »Der Seelenkrebs einer Negativmalaria, der depressiven Kritiksucht, scheint wie eine geistige Epidemie über der Kirche und über Deutschland zu liegen«, befand er zum Beispiel. Kaum weniger erheiternd: »Ich meine, es ist schon mehr als tragisch, dass der Mensch genau in dem Augenblick zur Droge griff, als man ihm den Glauben an den Himmel als ›Opium für das Volk‹ diffamiert hat.«

Meisners bemerkenswert schlichtes Weltbild resultiert aus seiner Diaspora in der kirchenfeindlichen, mehrheitlich protestantisch geprägten DDR. Hier die Heilsgemeinschaft, da der Rest der Welt – diese klare Aufteilung bestimmt Meisners Denken und Handeln. Wie zu seiner Zeit als Weihbischof in Erfurt und dann als Erzbischof im damals noch geteilten Berlin sei es auch in Köln der Glaube gewesen, »der mich nicht in Hoffnungslosigkeit versinken ließ«, schrieb Meisner in seinem diesjährigen »Fastenhirtenbrief«. Nicht nur unter dem staatlich verordneten Atheismus in der DDR sei das Leben für Christen sehr schwer gewesen: »Danach in einem weithin gelebten Materialismus voller Pluralität, verbunden mit einem praktischen Atheismus des Westens, war und ist es eigentlich nicht anders.«

Der »Widerstandskämpfer Gottes« (wieder Meisner über Meisner) glaubt fest daran, der Mensch habe »eigentlich nur eine Alternative: entweder Bruder in Christus zu sein oder Genosse im Antichrist«. Deswegen zelebrierte er auch so gerne den jährlichen Soldatengottesdienst im Kölner Dom. »Einem gottlobenden Soldaten kann man guten Gewissens die Verantwortung über Leben und Tod anderer übertragen, weil sie bei ihm gleichsam von der Heiligkeit Gottes abgesegnet sind«, verkündete er dort. »In betenden Händen ist die Waffe vor Missbrauch sicher.« Am Rande des Soldatengottesdienstes 2007 verriet Meisner dem damaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU): »Wenn wir nicht die Bundeswehr gehabt hätten, hätten am Rhein die roten Fahnen gehangen. Das wäre nicht aufzuhalten gewesen.«

Das meinte er ernst, wie auch alles andere, das ihm entfuhr. Denn Meisner ist eine Art Katholiban, ein unerbittlicher Gotteskrieger, der die moderne pluralistische und säkulare Gesellschaft mit Inbrunst bekämpft. Seine Vorstellung von Kirche ist eine von Befehl und Gehorsam. »Ein Mensch auf den Knien ist etwas ganz Großes«, sagte er in seiner Predigt am Sonntag. Für Wojtyła und seinen Nachfolger Joseph Ratzinger war Meisner deshalb genau der richtige Mann am richtigen Ort.

Seine Kölner Schäfchen zeigten sich weniger begeistert. In Scharen suchten sie das Weite. Während seiner Amtszeit verabschiedeten sich in Deutschlands größtem Erzbistum mehr Gläubige von der katholischen Kirche als in allen anderen deutschen Diözesen. Im einst tiefkatholischen Köln liegt der katholische Bevölkerungsanteil mittlerweile nur noch bei 40 Prozent. Meisner hat zur Säkularisierung der Stadt beigetragen. Wer ihm nachfolgt, ist noch nicht entschieden.


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