Neues Deutschland
12.08.2014

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  »Sie werden es einsehen«
Von Pascal Beucker und Anja Krüger 

Die israelische Friedensbewegung ist erstaunlich zuversichtlich, dass dieser Krieg ein Umdenken bewirken wird.

Ohne Frieden kein unbefangener Sommer: Eine kleine Minderheit in Israel glaubt an den Dialog. Die junge Moran Chen organisiert Treffen zwischen Palästinensern und Israelis – in Deutschland.

Moran Chen hat in diesen Tagen viel zu tun. Gerade kommt die 32-Jährige von dem letzten Vorbereitungstreffen mit etwa 20 jungen Israelis. Am Mittwoch werden sie gemeinsam nach Deutschland aufbrechen. Zu einem Seminar mit jungen Palästinensern aus der Westbank. Moran Chen gehört zu der israelischen Friedensorganisation »Breaking Barriers«, die zu diesen Treffen im Rheinland seit 2002 einlädt. »Es ist emotional und auch technisch hart, so etwas in diesen Zeiten zu organisieren«, sagt sie. Erschöpfung und Anspannung sind ihr anzumerken. Aber auch eine ungeheure Entschlossenheit und Stärke. »Das ist mein Weg, dafür zu kämpfen, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern endet.«

Seit acht Jahren ist Moran Chen bei »Breaking Barriers« aktiv. In diesem Jahr ist vieles anders. »Einige Teilnehmer konnten nicht zu den Vorbereitungstreffen kommen, weil sie zur Armee eingezogen waren«, berichtet die Politikwissenschaftlerin. Die jungen Israelis wollen gleichaltrige Palästinenser treffen, aber sie haben auch Angst davor – mit der sie bei den Vorbereitungstreffen umzugehen lernen sollen. »Das ist in jedem Jahr so«, sagt sie. Dieses Mal sind jedoch Beklommenheit und Furcht besonders groß. »Aber nur, wenn wir das überwinden, wird sich etwas ändern zwischen Israelis und Palästinensern«, ist Chen überzeugt.

Diejenigen, die sich in Israel für eine Verständigung mit den Palästinensern einsetzen, haben es derzeit besonders schwer. In den Straßen Jerusalems und Tel Avivs sind viele israelische Fahnen zu sehen, die Verbundenheit mit der Regierung zeigen. Angesichts des wochenlang anhaltenden Raketenbeschusses der Hamas und anderer palästinensischer Terrorgruppen befürwortet die überwiegende Mehrheit der israelischen Gesellschaft die harten Schläge gegen den Gaza-Streifen ohne Wenn und Aber. »Viele Israelis wollen nicht wissen, wie viele Menschen in Gaza gestorben sind«, glaubt Moran Chen. Wer versuche, Mitgefühl oder Empathie zu wecken, stoße auf Ablehnung. »Wir sind eine kleine Minderheit«, weiß sie. Die Regierung versuche, Israelis und Palästinenser in zwei separate Gruppen zu spalten – wie mit der großen Mauer zwischen den Gebieten in der Westbank und Israel. »Diese Trennung müssen wir überwinden«, sagt die Friedensaktivistin. Vor Ort hält sie eine unbefangene Begegnung von Israelis und Palästinensern für nicht möglich. Deshalb finden die Friedensseminare in der Bundesrepublik statt.

Sich in Israel gegenwärtig für eine Aussöhnung mit den Palästinensern einzusetzen, erfordert bisweilen Mut. Eine Friedensdemonstration mit rund 7000 Teilnehmern auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv Mitte Juli wurde von rechten Schlägern angegriffen. Die Demo musste schließlich abgebrochen werden: Raketenalarm. Am vergangenen Samstag demonstrierten wieder mehrere hundert Menschen auf dem Rabin-Platz für einen Waffenstillstand. Einige von ihnen zogen danach durch die Stadt und hängten Transparente mit einer Rakete auf, die zu einer Schreibfeder wird. Darauf werden die israelische Regierung und die Hamas zum sofortigen Waffenstillstand aufgefordert.

»Es gibt keine Alternative zu einem friedlichen Zusammenleben«, sagt Moran Chen. »Die Raketen auf Israel zeigen, dass wir verletzlich sind.« Auch wenn das Abwehrsystem Iron Dome verhindert hat, dass die Raketen der Hamas die großen Städte treffen – die Sirenen, die die Menschen mahnen, Schutz in Bunkern oder Treppenhäusern zu suchen, zeigen Wirkung. Denn sie produzieren Angst. Der Iron Dome funktioniert zwar, aber in Tel Aviv besteht Gefahr durch herabfallende Raketenteile. Auch sie können tödlich sein. Israel bleibt verwundbar.

Trotz der innergesellschaftlichen Polarisierung hofft Moran Chen auf ein Umdenken: »Sowohl die Regierung als auch die Mehrheit der israelischen Gesellschaft werden einsehen, dass es einen politischen Wandel hin zu einer friedlichen Lösung im Konflikt mit den Palästinensern geben muss.« Den wird es nur geben, wenn beide Seiten aufeinander zugehen. »Wir brauchen eine Zwei-Staaten-Lösung, wir müssen mit der anderen Seite reden«, fordert sie. Das sei auch den Israelis klar geworden. »Solange es keinen Frieden gibt, werden die Menschen in Israel keinen unbefangenen Sommer mehr haben können.« Seit der Nacht von Sonntag auf Montag ruhen die Waffen. Zunächst für 72 Stunden. Mit großer Anspannung verfolgen die Israelis die Verhandlungen in Kairo um einen dauerhafteren Waffenstillstand.

Neben ihrer Arbeit bei »Breaking Barriers« arbeitet Moran Chen als Konfliktmanagerin mit Jugendlichen. Vor fünf Monaten bekam sie ihr erstes Kind. Ihr graut vor der Vorstellung, dass auch ihr Sohn eines Tages in den Krieg ziehen muss.


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