21.01.2014

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 Verjährungsfrist muss unterbrochen werden
Von Pascal Beucker

UNGLÜCK Fünf Jahre nach dem Einsturz des Stadtarchivs in Köln leitet die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen 89 Beschuldigte ein, um die Verjährungsfrist nicht verstreichen zu lassen.

Es war die größte Katastrophe in der jüngeren Geschichte Kölns: Im März 2009 stürzte das Historische Stadtarchiv ein. Zwei Menschen kamen ums Leben. Der Sachschaden wird auf etwa eine Milliarde Euro beziffert. Knapp fünf Jahre später und damit kurz vor der Verjährung hat die Staatsanwaltschaft jetzt Ermittlungsverfahren gegen 89 Beschuldigte wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung, der fahrlässigen Körperverletzung und der Baugefährdung eingeleitet.

Bis heute ist nicht geklärt, was exakt am 3. März 2009 den Einsturz des sechsgeschossigen Magazingebäudes, das als das größte kommunale Archiv nördlich der Alpen galt, sowie zweier benachbarter Wohnhäuser ausgelöst hat. Fest steht nur, dass der Bau der neuen Nord-Süd-Stadtbahn verantwortlich für das Unglück auf der Severinstraße in der Kölner Südstadt ist.

Fest steht ebenfalls, dass bei dem Milliardenprojekt kräftig getrickst und getäuscht, gepfuscht und geschlampt wurde. Nach dem Motto "Es hätt noch immer jot jejange" wurden städtische Sicherheitsauflagen ignoriert, Bauprotokolle gefälscht, Brunnen illegal gebohrt, stabilisierende Stahlelemente falsch oder gar nicht montiert, zu wenig Beton in Wände eingefüllt. Aus wirtschaftlichen Interessen wurden eingeführte Kontrollinstrumente nicht angewandt.

Laut Angaben der Staatsanwaltschaft handelt es sich bei den nun Beschuldigten um Personen, die an der Planung, der Ausführung und der Leitung beziehungsweise Überwachung des Bauvorhabens „in verantwortlicher Position maßgeblich mitgewirkt haben und deren Tun oder Unterlassen für die Tatbestandsverwirklichung kausal gewesen sein könnte“. Ermittelt wird gegen Verantwortliche der bauausführenden Firmen, ihre Fachplaner und Subunternehmer. An der für Bauabschnitt zuständigen Arbeitsgemeinschaft (Arge) Los Süd waren die Baufirmen Bilfinger Berger, Wayss & Freytag und Ed Züblin beteiligt.

Darüber hinaus richten sich die Ermittlungen gegen verantwortliche Personen auf Seiten der Bauherrin, der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB), nebst ihren Fachplanern und Gutachtern. „Gegen Mitarbeiter der Stadt Köln ist ein entsprechender Anfangsverdacht nicht gegeben“, betont die Staatsanwaltschaft. Außerdem legt sie „Wert auf die Feststellung, dass die Einleitung des Ermittlungsverfahrens allein der Notwendigkeit der Unterbrechung der laufenden Verjährungsfrist geschuldet war“.  Es handele sich bei der Verdachtsprüfung um eine „vorläufige, rein kriminalistische Bewertung des Sachverhalts“.

Vor weiteren Entscheidungen ist das abschließende Ergebnis der Untersuchungen der Einsturzstelle und des in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens abzuwarten, so die Behörde. Aufschluss über die konkrete Unglückursache erhoffen sich die Ermittler von einem Besichtigungsschacht, den die KVB nach mehrfachen Verzögerungen derzeit an der Einsturzstelle errichten und der voraussichtlich im Sommer Tauchern ermöglichen soll, die mutmaßliche Schadensstelle in etwa 27 Metern Tiefe zu begutachten. Um Anklage zu erheben hat die Staatsanwaltschaft nun nochmals fünf Jahre Zeit.


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