01.02.2014

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 Zwei Bier für den Alkoholiker
Von Pascal Beucker

Mit Zangen und Müllbeuteln und zwei Bier sollen schwerstabhängige Alkoholiker demnächst in Essen die öffentlichen Plätze säubern. Vorbild der Aktion ist Amsterdam. Die Obdachlosenhilfe ist entsetzt.

Die Stadt Essen will neue Wege im Umgang mit der Trinkerszene auf ihren öffentlichen Plätzen gehen. Sozialdezernent Peter Renzel (CDU) plant, Schwerstalkoholabhängige als Putzkolonne einzusetzen. Dafür sollen sie Bier, Tabak und ein kleines Taschengeld erhalten. Die „Fördermaßnahme“ startet voraussichtlich im Mai. Als Vorbild dient ein Modellversuch in Amsterdam.

Seit zwei Jahren setzt die niederländische Metropole in zwei Stadtvierteln Süchtige zur Säuberung von Parks und Plätzen ein. Zu „Dienstbeginn“ um 9 Uhr erhalten sie zwei Dosen Bier und, falls gewünscht, eine Tasse Kaffee. Mit Zangen, Müllbeuteln und Westen der lokalen Müllentsorgung ausgestattet sowie begleitet von einem Sozialarbeiter, geht es dann auf den ersten von bis zu vier einstündigen Rundgängen, an deren Ende jeweils eine weitere Büchse Grolsch spendiert wird.

In der Mittagspause gibt es eine warme Mahlzeit von einer lokalen Suppenküche. Außerdem bekommen sie noch täglich ein halbes Päckchen Tabak und 10 Euro. Wer wiederholt zu spät erscheint, kriegt nur 5 Euro. Derzeit gibt es zwei derartige Beschäftigungsprojekte für insgesamt 30 Alkohol- und Drogenabhängige, für die die staatlich finanzierte Stiftung De Regenboog pro Person und Tag 19 Euro ausgibt.

Anlass für die Projektinitiierung waren massive Anwohnerbeschwerden über Szeneansammlungen in Parkanlagen im West- und im Ostviertel Amsterdams. Als er von dem Modell hörte, „habe ich natürlich am Anfang auch geschluckt“, sagte Essens Sozialdezernent Renzel der taz. „Aber dahinter steht ein fachlich überzeugendes Konzept.“ Es gebe eine „hohe Akzeptanz bei den Nutzern und eine hohe Zufriedenheit der Anwohner über die Säuberung des Quartiers“.

Unter Federführung der „Suchthilfe direkt Essen“, einer städtischen Gesellschaft, und in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter soll das Experiment nun auch in Essen ausprobiert werden. Zunächst sind zehn bis zwölf solcher „Gemeinwohlarbeitsplätze“ für Schwerstabhängige geplant. Die Ausgabe von Bier sei dabei nicht als Entlohnung zu verstehen, sondern diene nur „als Instrument, um die Menschen im Projekt zu halten“, betonte Renzel. „Sonst wären sie nicht in der Lage, die Arbeit auszuführen.“ Insgesamt soll die sich auf dem Willy-Brandt-Platz und zwei weiteren „neuralgischen Plätzen“ tummelnde Trinkerszene rund 100 Personen umfassen.

Der Christdemokrat erhofft sich zwar von dem Versuch einen „Einstieg in weitere Hilfen“, denn mit dem Projekt könne „bei den Klienten Vertrauen geschaffen werden“. Außerdem würde ihnen eine „feste Struktur“ gegeben. Gleichwohl handele es sich jedoch „in keiner Weise um ein therapeutisches Projekt“.

Vorrangiges Ziel sei es, die Vermüllung der Plätze zu reduzieren und Alkoholabhängige zu einem regelkonformeren Verhalten zu bringen. Laut Renzel soll das Projekt zunächst auf ein Jahr angelegt sein und „engmaschig evaluiert“ werden. Gleichzeitig setze die Stadt jedoch weiterhin auch auf ordnungsrechtliche Maßnahmen, um die „Spielregeln“ friedlichen Zusammenlebens in der City durchzusetzen.

Die Essener Grünen begrüßen den städtischen Vorstoß. „Der Vorschlag einer Freibierausgabe für fegende Trinker hat durchaus eine Chance verdient“, sagte die Grüne Ratsfrau Elisabeth van Heesch-Orgaß. Allein mit Verboten bekomme man das Problem des Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit nicht in den Griff, es müssten auch soziale Hilfsangebote geschaffen werden.

Scharfe Kritik kommt hingegen von der Obdachlosenhilfe linker Niederrhein. „Es kann nicht angehen, dass eine Stadt Schwerstalkoholabhängige ohne nennenswerte Bezahlung für sich arbeiten lässt und dann auch noch mit Suchtmitteln versorgt“, sagte Geschäftsführer Horst Renner der taz. „Das ist schon harter Tobak.“ Es sei zwar „sehr sinnvoll“, den Betroffenen eine feste Tagesstruktur zu geben – aber ohne die Ausgabe von Alkohol. Stattdessen fordert Renner eine ordentliche Bezahlung „mindestens im Rahmen des Mindestlohns“. Das müsse sich eigentlich auch eine Stadt wie Essen leisten können.


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