11.04.2014 |
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NACHRUF: Abrechnung auf 5.820 Seiten |
Von Pascal Beucker |
Karlheinz Deschner war über
Jahrzehnte die Stimme der religionskritischen Vernunft in
Deutschland. Nun ist er gestorben. Die herrschende Politik und die
gesellschaftlichen Verhältnisse verlangten eigentlich danach,
„dass man jeden Tag und jede Stunde auf die Barrikaden springen
müsste, um etwas zu verändern“, sagte Karlheinz Deschner einmal.
Doch seine Aufgabe als Schriftsteller sei es „eben nicht, auf
die Barrikaden zu springen, sondern zu schreiben“. Als Stimme der religionskritischen Vernunft
prangerte er unermüdlich die Institution Kirche an, deren
moralischen Anspruch er in seinem umfangreichen Werk radikal in
Frage gestellt hat. Geboren wurde Karl Heinrich Leopold
Deschner am 23. Mai 1924 in Bamberg. Als ältestes von drei
Kindern wuchs er in einem gottesfürchtigen Elternhaus auf. Sein
katholischer Vater und seine vom Protestantismus zum
Katholizismus konvertierte Mutter schickten ihn nach der
Grundschule zunächst in ein Franziskanerseminar, dann als
Internatsschüler zu den Karmelitern und den Englischen Fräulein.
Wie die gesamte Klasse meldete er sich nach der Reifeprüfung
1942 als Kriegsfreiwilliger. Seine Erlebnisse im Krieg ließen
ihn zum überzeugten Pazifisten werden. Nach dem Ende der Nazi-Zeit studierte
Deschner an der Uni München Forstwissenschaften, dann in Bamberg
und Würzburg Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte.
1951 schloss er sein Studium mit einer Dissertation zum Dr. phil
ab. Im selben Jahr heiratete er seine Lebensgefährtin, die
geschiedene Elfi Tuch. Was das Ende seiner Zugehörigkeit zur
katholischen Kirche bedeutete. Denn Deschner heiratete eine
Geschiedene – ein Sakrileg, das der seinerzeitige Bischof von
Würzburg mit der Exkommunikation der beiden ahndete. Nachdem Deschner in der zweiten Hälfte der
fünfziger Jahre zwei Romane und die vielbeachtete literarische
Streitschrift „Kitsch, Konvention und Kunst“ veröffentlicht
hatte, erschien 1962 sein Buch „Abermals krähte der Hahn“. Unter
dem biblischen Titel setzte er sich auf 700 Seiten erstmals
kritisch mit der Kirchenhistorie auseinander – und landete einen
Bestseller. Er hatte sein Lebensthema gefunden. Mit dem Rowohlt-Verlag vereinbarte Deschner
1970 die „Kriminalgeschichte des Christentums“. „Ich möchte das
Werk zu einer der größten Anklagen machen, die je ein Mensch
gegen die Geschichte des Menschen erhoben hat“, schrieb er in
seinem Exposé. Das ist ihm gelungen. Jahrelang an der
Armutsgrenze balancierend, tippte er sich unermüdlich auf seiner
Olympia-Schreibmaschine seine Wut über die Verlogenheit des
Christentums vom Leib. Ursprünglich als einzelnes 350-Seiten
Buch geplant, entstand eine 5.820 Seiten starke
Generalabrechnung mit der „Religion der Nächstenliebe“. Der
letzte der 10 Bände erschien im vergangenen Jahr. „Oft, wenn ich aus Dschungeln von Papier und Lüge, dem ganzen Wust und Wahnsinn heiliger Scheußlichkeiten, kurz nur, gehetzt durch Geldnot, Arbeitswut, in die Luft der Täler, Höhen, die grüne Freiheit draußen tauchte, kam ich mir wie ein Verrückter vor“, hat der unermüdliche Streiter einmal geschrieben. „So verging meine Zeit, die auf Erden mir gegeben war.“ Mit 89 Jahren starb Karlheinz Deschner am Dienstagmorgen um 8 Uhr in seiner Heimatstadt Haßfurt. |
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