16.04.2014 |
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Kalle will weiterkämpfen |
Von Anja Krüger und Pascal Beucker |
Der Kölner Mieter Karl-Heinz Gerigk wurde vor die Tür gesetzt, obwohl er stets Miete gezahlt hatte. Ein Protokoll eines Vorgangs, der kein Einzelfall ist.
Er ist ein Kölner Urgestein und zur
Galionsfigur eines Kampfes in den Metropolen geworden. In
Hamburg, Frankfurt und Berlin wenden sich stadtpolitische
Gruppen gegen Zwangsräumungen und Stadtaufwertung. Sie
befürchten, dass bald nur noch Reiche in den Zentren wohnen
dürfen. Der Kölner Mieter Karl-Heinz Gerigk, genannt Kalle, ist
zur Symbolfigur dieser Bewegung geworden. Am Mittwoch kam der
Gerichtsvollzieher zu ihm. Nach 32 Jahren wurde seine Wohnung,
für die er immer Miete zahlte, zwangsgeräumt – wegen angeblichen
Eigenbedarfs. Lesen Sie hier das Protokoll eines ganz
alltäglichen Akts. +++ 1.45 Uhr: Kalle Gerigk
will sich an der Tankstelle die neue Ausgabe der Lokalzeitung
kaufen. Als er zurückkommt, ist die Polizei da. Sie will ihn
heute aus seiner Wohnung werfen. Die Beamten wollen nicht noch
mal ein Desaster wie im Februar erleben, als sie unverrichteter
Dinge bei Kalle Gerigk abziehen musste. Auch für heute haben
Gruppen Widerstand angekündigt. Parole: „Alle für Kalle!“ +++ 2.35 Uhr: Auf Twitter
kommt die erste Meldung: „ALARM! Cops sind bereits mit
Hundertschaft vor Ort.“ +++ 5.05 Uhr: Unterstützer
der Initiative „Alle für Kalle“ sammeln sich vor der Absperrung. +++ 6.00 Uhr: Vor und in der
Wohnung von Kalle Gerigk befinden sich ein ZDF-Team und rund 15
Unterstützer. Sie kamen schon am Vorabend. Jetzt installieren
die Unterstützer eine Lautsprecheranlage. +++ 6.20 Uhr: Gerigk geht
die Treppen hinunter, wirft einen Blick in den Keller, in dem
sich mehrere ihm unbekannte Personen aufhalten. Dann geht er vor
den Eingang zu den Journalisten. „Ich gehe hier erhobenen
Hauptes hinaus.“ Erst einmal geht er aber zurück in seine
Wohnung. +++ 6.50 Uhr: Eine Nachbarin
schiebt ihr Fahrrad am Haus vorbei. „Das ist ja wie beim Tatort
hier“, sagt sie. +++ 6.53 Uhr: Draußen stehen
rund 200 Demonstranten hinter Drängelgittern. +++ 6.58 Uhr: Aktivisten im
Hausflur richten sich auf den Treppenstufen vor Gerigks Wohnung
ein. Sie sitzen auf Isomatten und Schlafsäcken. „Alle für Kalle,
Wohnen für alle“ steht auf einem Transparent. Für sie ist das
heute wieder ein Kampftag. Es geht nicht nur um Kalle, es geht
ihnen auch um all die anderen. +++ 7.05 Uhr: Gerigks
Wohnung ist fast leer, in der Küche stehen zwei rote
Klappstühle, in einem Zimmer liegt eine Matratze. „Egal wie es
ausgeht, wir haben wahnsinnig viel erreicht“, sagt Gerigk. Er
wirkt sehr angespannt. +++ 7.15 Uhr: Von der Bühne
draußen dringt die Stimme von Rolly Brings ins Haus. Der Kölner
Liedermacher hat ein Lied für Gerigk geschrieben: „Heute trifft
es Kalle: Sim-sala-bim-bamba-saladu-saladim / Pass auf: Schon
morgen trifft es dich!“ Im Hausflur vor Gerigks Wohnung klappt
eine Frau einen kleinen schwarzen Stuhl aus. Sie isst eine
Mandarine. +++ 7.17 Uhr: Ein
Gerichtssprecher bestätigt: Der Gerichtsvollzieher ist im Haus.
Im Keller wartet er auf seinen Einsatz. +++ 7.39 Uhr: Draußen macht
der „DJ der guten Laune“ seinem Künstlernamen alle Ehre. Der
Mann mit dem grauen Haar legt ein Lied auf. Es stammt von der
legendären niederländischen Band Bots und heißt: „Was wollen wir
trinken“. Kaffee wäre nicht schlecht. +++ 8.19 Uhr: Ein weißer
Möbelwagen fährt vor, hält direkt neben dem Eingang zur
Fontanestraße 5. Die Türen werden geöffnet, zu sehen sind
Umzugkartons. +++ 8.24 Uhr: Polizisten
fordern die Blockierer im Haus zum Aufgeben auf. Die wollen das
nicht. +++ 8.27 Uhr: Der erste
Blockierer wird von Polizisten die Treppen hinuntergetragen.
„Die Häuser denen, die drin wohnen“, rufen die Demonstranten
draußen. Immer mehr Polizisten gehen ins Haus. +++ 8.41 Uhr: Weitere
Blockierer werden aus dem Haus getragen. Einige beschweren sich,
dass die Polizei zu ruppig mit ihnen umgeht. +++ 8.55 Uhr: Das
Treppenhaus ist leer geräumt. Im Hauseingang erscheinen
Karl-Heinz Gerigk und der Gerichtsvollzieher. Gerigk übergibt
seine Wohnungsschlüssel. +++ 8.56 Uhr: Es ist vorbei. +++ 9.10 Uhr: Kalle Gerigk
kommt zu den Journalisten. Er sei sehr „gerührt“ über den vielen
Zuspruch. Jetzt wolle er erst einmal bei Freunden übernachten.
Doch seine Ansage ist klar: Gegen Gentrifizierung will Gerigk
weiterkämpfen. „Das Problem ist riesengroß!“ Dann will er
wissen, ob den Sitzblockierern etwas passiert ist. „Ist jemand
verletzt?“ Tatsächlich hat ein Aktivist eine Platzwunde am Kopf
erlitten. Er muss ärztlich behandelt werden, bestätigt ein
Polizeisprecher. +++ 9.47 Uhr: Ein
Gerichtssprecher erklärt Vollzug – und die Räumung für beendet. +++ 10.40 Uhr: Das
Landgericht Köln teilt in einer Pressemitteilung mit:
„Gerichtsvollzieher räumt Wohnung im Agnesviertel“. Der anonyme
Satz passt ins Bild: Kalle Gerigk ist nur einer von vielen. +++ 12.03 Uhr: Mit einer Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz endet die Spontandemonstration, die Gerigks Unterstützer nach der Zwangsräumung gleich ausriefen. Georg Kümmel von der Initiative „Recht auf Stadt“ gibt die Parole aus, die nun für alle gelten soll: „Das war heute nicht das Ende.“ Auch Kalle will weiter kämpfen. |
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