24.05.2014 |
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Erdogan abgefeiert |
Von Pascal Beucker und Anja Krüger |
Zehntausende protestieren gegen die
Rede des türkischen Ministerpräsidenten. Erdogans Fans feiern
euphorisch – sind aber in der Unterzahl. Der Kölner Ebertplatz ist überfüllt. Der
Andrang ist weitaus größer, als die Veranstalter erwartet haben.
Mehr als 50.000 Menschen sind nach Köln gekommen, um gegen den
Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan
zu demonstrieren. Viele sind mit Bussen aus Belgien, den
Niederlanden, der Schweiz oder einem anderen europäischen Land
gekommen. So wie die Frau in mittleren Jahren, die mit 100
anderen aus Großbritannien angereist ist. „Erdogan ist ein
Diktator“, sagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte.
„Er hat unsere Kollegen umgebracht“, sagt sie und meint damit
die mehr als 300 Arbeiter, die beim Grubenunglück in Soma ums
Leben kamen. Das denken hier wohl fast alle. Um das zu
zeigen, tragen viele gelbe Sicherheitshelme. Einige habe sich
die Gesichter schwarz gemalt – um an die getöteten Bergarbeiter
zu erinnern. Die Stimmung am Ebertplatz ist angespannt. Immer
wieder stimmen Demonstranten Sprechchöre auf türkisch an, in
denen sie Erdogan als Diktator beschimpfen oder zum Rücktritt
auffordern. Seit dem Morgen sammeln sich hier die
Erdogan-Kritiker. Auf der anderen Rheinseite kommen ebenfalls
seit dem Vormittag die Erdogan-Anhänger zusammen, die die Rede
des türkischen Ministerpräsidenten in der Kölner Lanxess-Arena
hören wollen. Zusammenstöße zwischen den beiden Lagern gab es
nach Angaben der Kölner Polizei nicht. In den Tagen vor der Veranstaltung aus Anlass
des zehnjährigen Bestehens der Union Europäisch-Türkischer
Demokraten (UETD), die Erdogans AK-Partei nahesteht, sah es so
aus, als würden Anhänger und Gegner des türkischen
Ministerpräsidenten etwa gleich viele Leute mobilisieren können.
Doch davon kann keine Rede sein. Die Kritiker sind heute auf der
Straße klar in der Überzahl. Das war bei den Demonstrationen der
beiden Lager nach der Niederschlagung der Gezi-Park-Proteste
nicht so. „Zehntausende sind hier, um für Demokratie und
Gleichberechtigung zu demonstrieren“, freut sich Melek Yildiz,
stellvertretende Generalsekretärin der Alevitischen Gemeinde in
Deutschland auf der Abschlusskundgebung der Erdogan-Gegner. „Wir
sagen Nein zu Erdogan“, ruft sie. Aber auch die Anhänger Erdogans sind
zahlreiche gekommen. Mehr als die Arena im rechtsrheinischen
Deutz fassen kann. Der Auftritt des türkischen Premiers ist für
kurz nach 18 Uhr Uhr angekündigt, doch schon zwei Stunden vorher
erschallt für die vor der Halle Wartenden die Durchsage, für sie
sei kein Platz mehr. Mehr als 15.000 sind drinnen, etwa Tausend
müssen draußen bleiben. Die Stimmung bei denen, die umsonst
gekommen sind, schwankt zwischen Wut und Enttäuschung. Frenetischer Jubel Um 17.20 Uhr betritt Erdogan gemeinsam mit
seiner Frau die Halle. Sie setzen sich in die erste Reihe. In
ihrem Gefolge haben sie einen ganzen Tross von
Regierungsmitgliedern und AKP-Abgeordneten dabei. Frenetischer
Jubel brandet auf, Türkeifahnen werden geschwenkt. Dann wird
erstmal gemeinsam gebetet. Um 18.25 Uhr ist es endlich soweit.
Erdogan betritt die Bühne. Der Lärm seiner Fans ist
ohrenbetäubend. Sie vergöttern ihn. „Allah sei mit Euch“,
begrüßt er seine Anhänger. „77 Millionen Brüder und Schwestern
grüßen euch!“ Nicht nur bei den ausgewiesenen
Erdogan-Gegnern im Rechtsrheinischen, auch bei viele deutschen
Politikern, ist der Auftritt auf Ablehnung gestoßen. Am Samstag
gibt es kritische Stimmen. „Es wäre besser gewesen, wenn Herr
Erdogan im Vorfeld erkannt hätte, dass er im Moment in der
Türkei wichtigere Aufgaben hat als einen Wahlkampfauftritt in
Köln“, sagt der stellvertretenden Vorsitzende der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Strobl. Sein Parteifreund, der Bundestagsabgeordnete
Heribert Hirte (CDU), darf als erster Parteivertreter bei der
Abschluss der Erdogan-Gegner am Albrecht-Dürer-Platz auf den
Wiesen zwischen Aachener Weiher und Vogelsanger Straße reden. Er
verzichtet auf scharfe Angriffe gegen Erdogan. Er nutzt die
Gelegenheit, Deutschland und seine Meinungs- und
Versammlungsfreiheit zu loben. „Sie sind ein Teil dieses
Deutschlands und darauf können sie stolz sein“, sagt er. Der Hinterbänkler hat Humor: Er wolle vor den
nächsten Wahlen in Deutschland seinen Fraktionschef Kauder
bitten, zu den 70.000 Deutschen in der Türkei zu sprechen,
kündigt er an. Nach Hirte spricht der grüne
Bundestagsabgeordnete Volker Beck, wie sein Vorredner ein
Kölner. „Merhaba Köln“ begrüßt er die Zehntausenden, unter denen
nur wenige deutschstämmige sind. „Erdogan denkt in den letzten
Jahren nur an seinen Machterhalt, deshalb ist er in Köln“, ruft
er. Schlichtes Weltbild Das Weltbild, das Erdogan seinen Anhängern in
der Arena vermittelt, ist ein schlichtes. Es gibt Gut und Böse,
dazwischen nichts. Gut ist er und seine Regierung, die die
Stimme des Volkes sprächen. Böse sind diejenigen, die ihn und
seine Regierung kritisieren – ob in der Türkei oder außerhalb. Wenn er von seinen Kritikern spricht, redet
er von „gewissen Kreisen“, „Marionetten internationaler Kreise“,
„arroganten Gruppen“ oder einfach von „Terroristen“. Sie seien
in einer „sehr negativen Allianz verbunden“, würden „schwarze
Propaganda“ betreiben und die Türkei beschimpfen. Er sei
hingegen der Garant von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
„Wenn ein Diktator wirklich vorhanden wäre, könnte doch keiner
in der Opposition so reden“, ruft er in den Saal. „Wir werden
entschlossen unseren Weg fortsetzen“, droht er. Als Erdogan zu reden begonnen hat, haben die
meisten seiner Gegner im Linksrheinischen längst den Heimweg
angetreten. Einige werden, wie die Kölnerin Gülcan Kuzey, seine
Rede am Fernseher verfolgen. „Wir sind für die moderne Türkei
auf der Straße“, sagt sie am Nachmittag und hält ihr Schild in
die Höhe. „Scher dich zum Teufel“, steht unter dem Erdogan-Bild
auf dem Schild. Deutsch-Türken als Untertanen Das sehen die Leute in der Arena ganz anders.
Sie hängen ihrem Star an den Lippen. Immer wieder wird Erdogans
rund eineinhalbstündige Rede von begeisterten Sprechchören
unterbrochen. Er erzählt zwar auch etwas von Integration und
dass es wichtig sei, die deutsche Sprache gut zu lernen. Aber er
lässt keinen Zweifel daran, dass er die Deutsch-Türken für seine
Untertanen hält. „Ihr seid Angehörige einer großen Nation“, ruft
er ihnen entgegen. Am Ende hält er vier Finger in die Höhe.
Jeder Finger stehe für die vier Grundprinzipien seiner Bewegung:
eine Nation, eine Staatsfahne, eine Heimat und ein Staat. Zum
Abschluss wird kurz vor 20 Uhr ein Loblied auf Erdogan gespielt,
das Auditorium singt inbrünstig mit. Mit Karacho nicht nur gegen Erdogan, sondern auch gegen deutsche Politiker geht es bei Sevim Dagdelen zu, Bundestagsabgeordnete der Linken. „Heuchlerisch“ findet sie die Kritik an seinem Auftritt von Politikern, die Erdogan über Jahre tatenlos einfach zugesehen haben, wie er nach und nach die Demokratie zurückgedrängt und Minderheiten immer weiter unterdrückt hat. „Die AKP-Regierung kann weiter machen wie bisher, damit muss Schluss sein“, ruft sie der Menge zu. „Wir sind nicht einverstanden mit dem Schulterschluss der Bundesregierung mit der Erdogan-Regierung.“ Das habe nichts mit deutsch-türkischer Freundschaft zu tun. „Das ist infame Kumpanei.“ |
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