06.06.2014

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taz

 Eine Straße in Köln
Von Pascal Beucker und Anja Krüger

TATORT Zehn Jahre nach dem NSU-Anschlag in der Keupstraße soll ein Kulturfest "Zeichen der Solidarität" setzen.

Längst sind die sichtbaren Zerstörungen beseitigt. In der Keupstraße erinnert an normalen Tagen kaum mehr etwas an jene grauenhafte Explosion vor zehn Jahren. Bis auf das kleine Schild im Schaufenster des Friseursalon Özcan. "Gegen Hass und Gewalt" steht auf Deutsch und Türkisch darauf. "Eigentlich sollte es schon längst einen Gedenkstein für den Anschlag geben", sagt Yilmaz Toprak, der in dem Geschäft arbeitet, "bis es so was gibt, haben wir das Schild zur Erinnerung."

Vor dem Ladenlokal detonierte am 9. Juni 2004 eine mit 5,5 Kilogramm Schwarzpulver und etwa 800 Zimmermannsnägeln gefüllte Drei-Kilo-Gasflasche. Die selbstgebastelte Bombe verletzte 22 Menschen, vier davon schwer. Der Friseursalon Özcan wurde völlig verwüstet. Nur durch ein Wunder gab es keine Toten auf der belebten Multikultimeile im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Mülheim.

Wer hinter der Bluttat steckte, blieb lange ungeklärt. Die Behörden ermittelten in "alle Richtungen", nur nicht in die richtige. Inzwischen steht fest, dass das Attentat auf das Konto des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) geht.

An diesem Pfingstwochenende gedenkt Köln des Anschlags mit einem großen Kulturfest rund um die Keupstraße. "Ich finde das ganz okay", sagt Yilmaz Toprak. Im Aufruf zu dem Fest heißt es: "Wir möchten ein sichtbares Zeichen der Solidarität setzen." Und weiter: "Wir, die wir nicht für möglich gehalten haben, dass in unserem Land wieder rechtsradikale Mörderbanden unterwegs sind, stehen in der Verantwortung."

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich angesagt, ebenso Vizekanzler Sigmar Gabriel. Und unter dem Motto "Birlikte - Zusammenstehen" haben das Schauspiel Köln, die Interessengemeinschaft Keupstraße und die Künstlerinitiative "AG Arsch huh, Zäng ussenander!" gemeinsam rund 250 Einzelveranstaltungen auf die Beine gestellt.

Niemand hat gefragt, wie es ihnen geht

Auf der sechsstündigen Kundgebung am Pfingstmontag werden unter anderem Udo Lindenberg, Peter Maffay, BAP, Brings und Zülfü Livaneli auftreten. Auch WDR-Intendant Tom Buhrow, Senta Berger, Günter Wallraff und der 86-jährige Hardy Krüger sind mit dabei. "Das Besondere hier ist, dass viele Leute etwas zusammen machen, die sonst nichts zusammen machen", sagt Organisator Roland Temme.

Ein "Birlikte"-Plakat hängt auch in dem Juweliergeschäft von Fatma Tunc. Dank dicker Panzerglasscheiben wurde ihr Laden vor zehn Jahren nicht beschädigt, niemand aus der Familie wurde verletzt. "Aber psychisch hat uns das sehr belastet", sagt sie. "Doch niemand hat uns gefragt, wie es uns geht." Zumal seit dem Anschlag die Geschäfte sehr viel schlechter laufen. Fatma Tunc freut sich auf das Fest: "Ich hoffe, dass in Zukunft wieder mehr Kunden kommen."

Aynur Ince arbeitet in einer orientalischen Feinbäckerei. "Angsttechnisch" sei die Straße für sie kein Problem, auch für ihre türkeistämmigen Freunde nicht, sagt die junge Frau. "Aber die Deutschen, die haben Angst, in die Keupstraße zu gehen."

Die Leute in der Keupstraße haben schlimme Jahre hinter sich. Auf dem rechten Auge blind, nahmen die Fahnder die überwiegend türkeistämmigen Anwohner ins Visier. Sie überprüften per Rasterfahndung alle 25- bis 35-jährigen Männer im Viertel, hörten Telefone ab und platzierten verdeckte Ermittler. Geschäftsleute bekamen nun verstärkt die Finanzprüfung ins Haus geschickt. In den Medien wurde wild über vermeintlich mafiöse Zusammenhänge, einen Bandenkrieg, Auseinandersetzungen im Drogenmilieu, Schutzgelderpressung oder einen "Streit zwischen Türken und Kurden" spekuliert. Kaum ein rassistisches Klischee blieb unbedient. "Viele Geschäfte sind nach dem Anschlag kaputtgegangen", sagt ein türkischer Getränkehändler, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Seitdem im Herbst 2011 herauskam, wer wirklich hinter dem Anschlag steckt, hat er schon viele deutsche Politiker durch die Straße ziehen sehen.

Der türkeistämmige Mann glaubt ihnen nicht, wenn sie Verbesserungen versprechen. "Würde es hier so aussehen, wenn die Politiker wirklich etwas verbessern wollen würden?", fragt er und zeigt auf Schlaglöcher. "Wenn die wirklich was ändern wollten, dann wäre diese Straße ja wohl in einem besseren Zustand." Auch Juwelierin Fatma Tunc hat von ihnen keine hohe Meinung: "Die kommen und reden, aber sie machen nichts."

Ein großes Fest alleine wird nicht reichen, um die Wunden zu schließen.


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