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Von Pascal Beucker und Anja Krüger |
EXTREM RECHTS Früher saß Siegfried Borchardt im Knast, nun sitzt er für „Die Rechte“ im Stadtrat. Einen Verbündeten hat er schon gefunden.
„Hoffentlich geht alles gut“, sagt ein
städtischer Mitarbeiter mit höchster Anspannung in der Stimme.
Heute konstituiert sich der im Mai gewählte neue Dortmunder
Stadtrat. Zum ersten Mal mit dabei: Siegfried Borchardt, genannt
„SS-Siggi“. Borchardt ist überzeugter
Nationalsozialist. Den Spitznamen mag der 60-Jährige nicht.
„SA-Siggi“ würde ihm besser gefallen. Der Mann, der aussieht wie
Hulk Hogan mit Bierbauch, kann auf eine lange wie einschlägige
Karriere zurückblicken. Sie begann mit der Gründung der
militanten Hooligantruppe „Borussenfront“ Anfang der achtziger
Jahre. Er war Kameradschaftsführer der Aktionsfront Nationaler
Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA), Kreisleiter im
Komitee Adolf Hitler (KAH) und stellvertretender
Bundesvorsitzender der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen
Arbeiterpartei (FAP). Wegen diverser Delikte, darunter
gefährliche Körperverletzung, saß SS-Siggi mehrere Jahre im
Knast. Jetzt sitzt er im Stadtrat. Bei der Kommunalwahl im Mai
kandidierte Borchardt als Spitzenkandidat für „Die Rechte“. Die
neonazistische Partei, personell weitgehend identisch mit dem
2012 verbotenen „Nationalen Widerstand Dortmund“ (NWDO), erhielt
2.101 WählerInnenstimmen. Das reichte für ein Mandat. Am Tag der konstituierenden Sitzung ist das
Rathaus für normale BürgerInnen zu. „Geschlossene Gesellschaft“
steht am Haupteingang. Ohne Zugangsberechtigung kommt niemand zu
der Veranstaltung „Vielfalt, Toleranz und Demokratie“, die die
gleichnamige Koordinierungsstelle organisiert hat. So drückt die
Stadtspitze ihr Bedauern aus, dass ab heute ein echter Nazi im
Rat sitzt. Unterschriften für ein Parteiverbot Im Foyer stehen Stände, einer von der VVN.
Gaby Brenner und ihre MitstreiterInnen sammeln Unterschriften
für ein Verbot der Partei „Die Rechte“. Es freut sie, dass die
Stadt endlich Flagge zeigt. „Ein bisschen spät“, sagt Brenner.
„Aber ich bin froh, dass die Stadt jetzt wenigstens was macht.“ Draußen treffen DemonstrantInnen ein. Das
Bündnis gegen Rechts, dem der DGB, viele Parteien,
Wohlfahrtsverbände und Kirchen angehören, hat zum Flashmob auf
dem Friedensplatz direkt vor dem Rathaus aufgerufen. Unter den
Demonstranten ist Sabine Fleiter von der evangelischen
Studierendengemeinde. Die Pädagogin war am Wahlabend im Rathaus,
als die Neonazis überfallartig anrückten. „Wir haben die Rechten schon von weitem
gehört“, berichtet Fleiter. Mit Parolen wie „Deutschland den
Deutschen“ versuchten mehr als zwei Dutzend militante Rechte
sich Zugang zu der städtischen Wahlparty zu verschaffen.
Faustschlag gegen
Abgeordnete Mit Fäusten und Pfefferspray attackierten
sie die Menschenkette, die sich ihnen in den Weg gestellt hatte.
Mit einem gezielten Faustschlag wurde die grüne
Landtagsabgeordnete Daniela Schneckenburger niedergestreckt.
Christian Gebel von der Piratenpartei, gerade frisch in den Rat
gewählt, wurde durch einen Flaschenwurf am Kopf verletzt. Unter
Polizeibegleitung zogen die Rechten schließlich ab. Der Sturm auf das Rathaus am Wahlabend hat
bundesweit für Entsetzen gesorgt. Gegen 27 Neonazis laufen nun
Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung, des
Landfriedensbruchs, Beleidigung, gefährlicher Körperverletzung
und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Die
Rechtsdezernentin der Stadt verhänge rund 30 Hausverbote für das
Rathaus und andere Gebäude. Einige hundert Leute sind an diesem
Mittwoch auf den Friedensplatz gekommen. Fast alle haben Plakate
in der Hand. Auf ihnen ist das Stadtschild von Dortmund zu
sehen: „Dortmund hat keinen Platz für Rechtsextremismus“ steht
darauf. Auf ein Signal halten es alle gleichzeitig in die Höhe.
Ein imposantes Bild, auch weil im Hintergrund an den Räumen des
Wohlfahrtsverbands Der Paritätische ein riesiges Plakat mit dem
gleichen Motiv hängt. Unbemerkt von den Leuten auf dem Platz
kommt Borchardt um kurz nach halb drei schnellen Schrittes über
einen Seiteneingang ins Rathaus. Dort stehen selbst in den
Aufzügen Securitymitarbeiter. SS-Siggi nimmt auf seinem Platz in
der letzten Reihe ziemlich in der Mitte Platz. Kameras richten
sich auf ihn, ein WDR-Reporter macht ein Interview.
Besuch vom NPD-Vertreter Borchardt bleibt bis zu Beginn der Sitzung
keine Sekunde unbeobachtet. Er blättert in den Papieren, die vor
ihm liegen. Ab und zu kommt Axel Thieme, der NPD-Vertreter im
Rat, und spricht mit ihm. Thieme hat einen Anzug und eine
Krawatte an. Er sitzt weit weg von Borchardt am rechten Rand des
Plenarsaals. Der Presseandrang ist enorm, die
Mitarbeiter der Pressestelle wirken gestresst. Sogar die
Korrespondentin der New York Times hat sich angemeldet. Punkt 15
Uhr eröffnet Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) die Sitzung.
Regularien stehen an, die Tagesordnung. Borchardt schiebt seine
Papiere hin und her, schreibt etwas. Bei der ersten Abstimmung
über die Tagesordnung bleiben seine Arme unten. Es wirkt, als
hätte er nicht richtig mitbekommen, worum es geht – als würde es
hier ein bisschen zu schnell für ihn zugehen. Dann geht es um die Sitzungsordnung. Thieme
beantragt, dass er mit dem Vertreter der „Rechten“ zusammen
sitzen kann. „Am besten vor der Tür“, kommentiert OB Sierau
(SPD) süffisant das Ansinnen. Nur der NPD-Ratsherr und Borchardt
stimmen für den Antrag. Als Thieme sich in einem kurzen
Redebeitrag über 1.000 zerstörte Plakate seiner Partei und den
angeblich herrschenden „Gesinnungsterror“ beklagt, klatscht
Borchardt als einziger.
Feierabend nach 45
Minuten Viel hat der Rat heute nicht zu tun. Eine
ganze Reihe von Tagesordnungspunkten wird vertagt. Nach einer
Dreiviertelstunde ist die mit Hochspannung erwartete erste
Ratssitzung in Dortmund vorbei. Es ist 15.47 Uhr. Wieder kommt
NPD-Mann Thieme zu Borchardt, die beiden verlassen gemeinsam den
Saal. Beim Verlassen des Rathauses nimmt SS-Siggi wieder den
Seiteneingang. Er hätte auch durchs Haupttor gehen können, die
DemonstrantInnen sind längst weg. Aber viele Polizisten sind noch da. Sie
haben ein Auge auf das Dutzend sehr junger Anhänger, die draußen
auf Borchardt gewartet haben, weil auf der Zuschauertribüne
keinen Platz mehr für die war: Die demokratischen Parteien
hatten dafür gesorgt, dass die Empore frühzeitig komplett
besetzt war. Bei seinen Kameraden hält sich Borchardt nicht
lange auf. Seine beiden Begleiter drängen zum Aufbruch. Die drei
Neonazis marschieren in aller Ruhe in Richtung Friedensplatz zur
Tiefgarage. Die nächste Ratssitzung findet am 3. Juli statt. |
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