08.12.2014

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taz

 Welche Lehren aus der Geschichte?
Von Pascal Beucker

APPELL 65 Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft warnen vor Krieg und fordern eine andere Russlandpolitik. Marieluise Beck von den Grünen hält dagegen: sich an die Seite der Ukraine stellen.

Der Unterzeichnerkreis ist illuster, das Anliegen ehrenwert. In einem gemeinsamen Aufruf unter dem Titel "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" werben 65 Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft für eine Politik der Deeskalation im Verhältnis mit Moskau.

Zwar wolle niemand Krieg, aber "Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf ihn zu, wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten", heißt es in dem Appell.

Unterschrieben haben ihn zahlreiche Politiker aus Union, SPD und FDP, darunter Exbundespräsident Roman Herzog, Exbundeskanzler Gerhard Schröder und die frühere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer. Die Grüne gehört neben dem ehemaligen Verteidigungsstaatssekretär Walther Stützle (SPD) und dem einstigen Kanzleramtsberater Horst Teltschik (CDU) zu den Initiatoren.

"Bei Amerikanern, Europäern und Russen ist der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen", so der Appell. "Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin, nicht zu erklären."

In dieser "verfahrenen Situation" sei es Aufgabe der Bundesregierung, zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufzurufen: "Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik", heißt es weiter. Das gehe nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. Wer nur Feindbilder aufbaue und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiere, verschärfe die Spannungen. "In diesem Moment großer Gefahr für den Kontinent trägt Deutschland besondere Verantwortung für die Bewahrung des Friedens", appelliert der Aufruferkreis. Die Medien werden aufgefordert, "ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher".

Unterzeichnet haben des Weiteren die früheren Ministerpräsidenten Klaus von Dohnanyi, Eberhard Diepgen und Manfred Stolpe, der letzte DDR-Regierungschef Lothar de Maizière sowie der liberale Exbundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch. Die Schauspieler Mario Adorf, Klaus Maria Brandauer und Hanna Schygulla sind ebenso dabei wie Regisseur Wim Wenders, der Kabarettist Georg Schramm, der Liedermacher Reinhard Mey und der Fotograf Jim Rakete, der Theologe Friedrich Schorlemmer und die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann.

Nicht vertreten sind hingegen Vertreter der Linkspartei. Sie wurden wohl schlicht nicht gefragt. Als "wichtigen Beitrag, der dem Nachdenken Vorrang vor blindem Russland-Bashing gibt", begrüßte die Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping am Sonntag den Aufruf. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht wieder in einen Kalten Krieg gegen Russland verfallen", sagte Kipping der taz.

Die Parteizentralen von CDU und SPD hüllten sich hingegen in Schweigen. Aus "zeitlichen Gründen" sei ein Statement nicht möglich, beschied die SPD-Pressestelle. Er kenne den Aufruf "schlichtweg nicht", teilte CDU-Generalsekretär Peter Tauber am Sonntag mit. Auch die Bundesregierung wollte sich am Wochenende nicht äußern.

Empört reagierte die grüne Bundestagsfraktion: "Beunruhigend ist es, wenn nicht nur Putin zu den außenpolitischen Grundsätzen des 19. Jahrhunderts zurückkehrt, sondern diese auch in Deutschland formuliert werden", sagte die Sprecherin für Osteuropapolitik, Marieluise Beck. Die Unterzeichner des Aufrufs seien "von einer erschreckenden Geschichtsvergessenheit, wenn sie die deutsch-russische Achse beschwören und dabei über die Interessen und das Schicksal der Länder zwischen Berlin und Moskau hinweggehen".

In diesem Zusammenhang erinnerte Beck an den Molotow-Ribbentrop-Pakt: "Wer diesen dunklen Teil der deutschen Geschichte ausblendet und sich nicht an die Seite der Ukrainer stellt, die jetzt Opfer einer imperialen Aggression aus dem Kreml werden", der zeige, "dass es in der historischen Erinnerung viele weiße Flecken gibt", sagte sie.


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