08.02.2000



Der Tag nach der Katastrophe in Brühl

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Aachener Nachrichten

*   Der Tag nach der Katastrophe in Brühl
Von Pascal Beucker

Die Bergungsarbeiten sind sehr schwer.

Brühl. Eine beklemmende Ruhe herrscht im kleinen Brühl am Tag danach. Der Kontrast könnte nicht größer sein. Friedlich scheint es zuzugehen auf dem Schloss Augustusburg und dem dazugehörigen Schlosspark mit seinen unzähligen Maulwurfhügeln. Ruhig ist es. Zu ruhig.

Trügerische Idylle

Die Idylle ist trügerisch. Denn direkt hinter dem Schloss liegt der Brühler Bahnhof. Hier hat sich in der Nacht zum Sonntag eine furchtbare Katastrophe abgespielt. Immer noch bietet sich auf den Gleisen ein Bild der Verwüstung.

Schaulustige in Sichtweite

Die Polizei hat den Bahnhof weiträumig abgesperrt. Trotzdem haben sich mehrere Dutzend Schaulustige in 200 Meter Entfernung von dem Unglücksort versammelt, die einen Blick auf die Unglücksstelle erhaschen wollen.

Fassungslose Anwohner

Ein graumelierter Mann mit Schiebermütze hat gar ein Fernglas mitgebracht, um einen besseren Blick auf die geborstenen Waggons des Nachtexpress D203 aus Amsterdam, der nie in seinem Zielort Basel ankam, werfen zu können. Anwohner stehen fassungslos dabei. "Furchtbar", sagt eine ältere Frau zu ihrem Nachbarn. "Und ich habe nichts gehört, weil ich so gut geschlafen habe."

Bergung auf Hochtouren

Acht Tote sind bis Montag geborgen worden. Am Sonntag war noch von neun Toten gesprochen worden. "Da sind wohl Leichenteile falsch zugeordnet worden", erklärt THW-Sprecher Dieter Karg. Die Bergungsarbeiten laufen weiter auf Hochtouren. Denn bislang haben die Rettungsmannschaften nicht alle zertrümmerten Waggons absuchen können. Möglicherweise machen die Helfer dabei noch weitere schreckliche Funde.

Schwierige Bergung

"Die Bergungsarbeiten sind sehr, sehr viel schwieriger als wir vermutet haben", berichtet Karg. "Wir wollten weiter sein, als wir jetzt sind." Doch die Waggons sind zu sehr ineinander verkeilt. Einer liegt schräg auf der Seite. "Der ist gespannt wie eine Feder." Deshalb müsse er vorsichtig in mehrere Teile zerlegt werden, bevor ihn die großen Kräne heben könnten.

"Wir können nur hoffen"

"Wir können derzeit nur hoffen, dass wir nicht noch mehr Opfer finden", sagt der Kölner Polizeisprecher Theo Reinke. Berichte, nachdem es sich bei allen Toten, sieben Männer und eine Frau, um Deutsche handele und drei davon aus dem rheinland-pfälzischen Lahnstein stammten, will Reinke nicht bestätigen.

Identität bekannt

Zwar seien die Leichen inzwischen "nahezu identifiziert", zunächst sei es jedoch "erstes Gebot, die Angehörigen zu informieren". Das sei noch nicht geschehen. Deshalb könne die Identität erst später öffentlich gemacht werden.

149 Verletzte

Auch die Zahl der Verletzten musste am Montag korrigiert werden - leider nach oben. Zunächst ging die Polizei von rund 100 Verletzten aus, nun sind es 149. Während 60 Leichtverletzte nach ambulanter Behandlung wieder entlassen werden konnten, werden 89 weiter in Kliniken behandelt, unter ihnen zehn Schwerstverletzte, von denen einer immer noch in Lebensgefahr schwebt.

Mit Blessuren überlebt

Maria Blum hingegen hat Glück gehabt. Auch sie war eine der rund 300 Passagiere in dem verunglückten Zug. Den Unfall hat sie wie durch ein Wunder ohne größere Blessuren überstanden. Die Schweizerin konnte sich alleine aus ihrem Abteil befreien.

"Riesiges Glück"

"Wir hatten einfach riesiges Glück", sagt die zierliche Frau mit leiser Stimme. Die Nacht hat sie im Krankenhaus verbracht, nun ist sie zu dem Ort des Schreckens zurückgekommen. Immer noch kann sie kaum begreifen, was da geschehen ist.

"Ich dachte nur noch, der fährt aber schnell - dann war es auch schon passiert." An den genauen Ablauf erinnert sie sich nicht mehr. Aber das sei "eher ruckartig" gewesen.

Ein letzter Blick

Die Mittvierzigerin blickt ein letztes Mal auf die Unglücksstelle. Sie hat genug gesehen. Freunde sind aus ihrer Heimatstadt Luzern gekommen, um sie abzuholen. "Ich will jetzt nur noch nach Hause", sagt Maria Blum zum Abschied.


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