25.02.2000



Junge hatte ganzen Stadtteil im Griff

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Aachener Nachrichten

*   Junge hatte ganzen Stadtteil im Griff
Von Pascal Beucker

Modellversuch mit jungen Schwerkriminellen.

Beinahe jede größere Stadt kennt das Phänomen: Kinder, die noch nicht strafmündig, schon schwerkriminell geworden sind. Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und das Kölner Jugendamt suchen neue Wege im Umgang mit diesen besonders Schwierigen.

Ziel des von dem Koblenzer Professor Christian Schrapper wissenschaftlich begleiteten dreijährigen Modellprojekts ist es, anhand von Kölner Fallbeispielen konkrete Handlungsansätze und geeignete Betreuungsformen zu entwickeln und zu erproben, die dann von allen Jugendhilfeeinrichtungen im Rheinland übernommen werden können.

Es geht um Extremfälle: Um immer wieder – beispielsweise durch Raubüberfälle – straffällig werdende Kinder, bei denen alle Maßnahmen der Resozialisierung gescheitert sind. "Diese 10- bis 13-jährigen Jungen und – seltener – Mädchen bringen die Fachleute in der Jugendhilfe an ihre Grenzen, denn sie werden von den üblichen Hilfsangeboten nicht mehr angesprochen und erreicht", erklärt Schrapper. Nach den Erfahrungen der 90-er Jahre handelt es sich dabei um eine sehr kleine Gruppe. "Es gibt nicht mehr als fünf solcher Extremfälle pro Jahr – aber die sind besonders problematisch", erläutert der Kölner Jugendamtsleiter Joachim Henkel.

Vor vermeintlich einfachen Lösungen warnt Markus Schnapka, Leiter des Dezernates Landesjugendamt/Schulen im Landschaftsverband. Weder die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalter noch die Unterbringung in geschlossenen Anstalten könnten das Problem lösen. Neben der Bekämpfung der Ursachen von Kriminalität, zum Beispiel durch Maßnahmen gegen (Jugend-)Arbeitslosigkeit, sei eine gelungene intensive "Erziehungshilfe" der beste und auch ökonomischste Schutz, den sich die Öffentlichkeit wünschen könne, so Schnapka. Die könne in geschlossenen Einrichtungen nicht gelingen. "Wir setzen hier auf Menschen statt auf Mauern", so der LVR-Landesrat.

"In so genannten Fallkonsultationen mit möglichst allen bisher in einem ‚Fall’ tätigen Fachkräften untersuchen wir die Vorgeschichte und die derzeitige Lebenssituation eines konkreten Kindes sowie die bisherigen Hilfen", beschreibt Schrapper den seit dem 1. April 1999 laufenden 350.000 Mark teuren Modellversuch. Bislang wurden die Fälle von vier Jungen im Alter zwischen elf und 15 behandelt.

"Einer von ihnen hatte den ganzen Stadtteil im Griff", so Schrapper. Als Antwort, was er mal werden wolle, habe ein Junge geantwortet: "Ich will ein großer Verbrecher werden." Alle vier seien "Grenzgänger zwischen den Systemen Jugendhilfe und Psychiatrie" und stammten aus zerrütteten Familien, die schon seit langem von der Jugendhilfe betreut würden.

Nun gehe es darum, die diagnostische Kompetenz der Fachkräfte zu verbessern. "Eine Jugendhilfe, die vorrangig Störungen beseitigen soll, aber nicht verstehen kann, woher diese Störungen kommen, kann auch nicht erfolgreich sein", sagt der Koblenzer Professor.


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