12.01.2000



Wählt Thälmann!

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*   Wählt Thälmann!
Von Pascal Beucker

Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Gemeinsam mit Republikanern und CDU weigert sich die Essener SPD, einen Slogan aus dem Jahr 1932 unter Denkmalschutz zu stellen.

Ein Unglück, wie das in Bochum-Wattenscheid in der vergangenen Woche, und schon wäre das Problem gelöst. Nur ein kleiner Stolleneinbruch, und die Sache wäre erledigt. Das dürfte sich manch einer in der Bezirksvertretung IV im Norden von Essen wohl insgeheim wünschen, wenn er an das alte Zechenhaus in der Röckenstraße denkt. Denn auf der Wand des Hauses stehen zwei Wörter, die für Ärger sorgen.

Knapp 70 Jahre stehen sie nun schon da. Den Nationalsozialismus haben sie überdauert, auch die antikommunistische Adenauer-Ära und die sozialdemokratische Bauwut in den siebziger Jahren. Während zeitgenössische Graffiti manchmal nicht einmal den nächsten Tag erleben, blieben diese zwei Worte wie durch ein Wunder von allen Reinigungs- oder Renovierungsaktionen verschont: »Wählt Thälmann.« Die Wahlkampfparole aus längst vergangenen Tagen erregt nun im Essener Stadtteil Katernberg die Gemüter: Handelt es sich bei der Wand-Inschrift um ein schützenswertes Denkmal oder um einen Fall für die Fassadenreinigung?

Eine Flugblattverteilerin der DKP hatte die Aufschrift auf der Vorderfassade des Hauses entdeckt. Wer auch sonst? Im Ruhrgebiet kann die kleine Partei, die in der Essener Hoffnungstraße ihre Parteizentrale hat, immer noch den einen oder anderen Anhänger vorweisen. Bei den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen im Herbst letzen Jahres ergatterte sie durch den Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde immerhin ein Kreistags- und sieben Stadtratsmandate. Doch insgesamt sieht es eher trostlos für die bundesweit rund 6500 Aufrechten aus, von denen nicht wenige »Teddy« Thälmann noch persönlich erlebt haben dürften und deren letzter prominenter Neuzugang Karl-Eduard von Schnitzler war. Was ihnen vor allem bleibt, ist Nostalgie und das Sinnieren über bessere Tage im Dienste der Weltrevolution - an damals, als das Kommunistische noch vor dem Deutschen im Parteinamen stand und die KPD das war, was die DKP immer sein wollte: eine Massenpartei. Und dann diese Entdeckung: Thälmann lebt! Klassenbewusst, auf einer roten Ziegelwand in einer alten Bergarbeitersiedlung.

Erinnerungen werden wach: Das waren noch Zeiten, als Essen eine rote Hochburg war! »Jeder Ruhrkommunist muss ein revolutionärer Maurer und Zimmermann sein, der hilft, dass die Säule Ruhrgebiet so fest und unerschütterlich wird, dass sie ein solch granitenes Fundament bildet, dass diese Säule unzerbrechlich ist«, rief damals »Teddy« seinen Genossen in Essen zu. Er vergaß zu erwähnen, wie wertvoll auch revolutionäre Maler sein können. Der Aufforderung »Wählt Thälmann«, die ein unbekannter kommunistischer Wahlkämpfer mit einer äußerst widerstandsfähigen Farbe - einer Mischung aus Heringslake und roter Mennige - an die Häuserwand malte, folgten bei der Reichpräsidentenwahl am 13. März 1932 in Essen stolze 22,2 Prozent der Wähler.

Das lag deutlich über dem Reichsdurchschnitt. Da landete der KPD-Chef nur bei 13,2 Prozent. Nach dem Machtantritt der Nazis wurde Ernst Thälmann am 3. März 1933 verhaftet und verbrachte elfeinhalb Jahre in Einzelhaft. Am 18. August 1944 ermordete ihn die SS auf Weisung Heinrich Himmlers im KZ Buchenwald.

Kann es wirklich sein, dass »Wählt Thälmann« alle Zeitläufte unbeschadet überstand? »Wir waren uns zunächst selbst nicht sicher und haben dann erst einmal auf gut Glück einen Antrag auf Denkmalschutz gestellt«, sagt Patrik Köbele, der in Essen wohnende Bezirksvorsitzende der DKP Ruhr-Westfalen. Die Inschrift aus der Endphase der Weimarer Republik sei »Beleg des Kampfes der Arbeiterbewegung im Essener Norden gegen den herannahenden Faschismus«, schrieb die linke Folkloretruppe in ihrem Antrag an das Essener Amt für Denkmalschutz. Schließlich habe die KPD im Wahlkampf um das Reichspräsidentenamt 1932 die Orientierung vertreten: »Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg« - und deshalb ihren seit 1925 amtierenden Vorsitzenden Ernst Thälmann als Gegenkandidaten nominiert. Somit sei die Inschrift »als zeitgeschichtlicher Beleg von großer historischer Bedeutung und schützenswert«.

Ist »Wählt Thälmann« authentisch oder nicht? Gutachter machten sich ans Werk. Das Ergebnis: Die Aufschrift stammt tatsächlich aus der Endphase der Weimarer Republik. Daran bestehe »kein Zweifel«, so Horst Hahn vom Rheinischen Amt für Denkmalpflege. Auch die Essener Denkmalbehörde bestätigte die Authentizität der Inschrift, die irgendwann um 1932 an die Häuserwand gemalt wurde. In seinem Gutachten wertete das Denkmalpflegeamt das Graffito als »seltenes Zeitzeugnis für die Geschichte der Weimarer Republik«. Es sei daher zu schützen.

Nun musste die zuständige Bezirksvertretung im Essener Norden entscheiden. Doch hier bissen DKP und Denkmalschützer auf Granit: »Wählt Thälmann« - nicht mit uns, entschied Mitte Dezember letzten Jahres eine große Koalition aus CDU, SPD und »Republikanern«. Man könne doch kein ganzen Haus unter Denkmalschutz stellen, nur weil da eine verblasste Schrift auf einer Ziegelwand stehe, urteilten die Kommunalpolitiker. Und: Wer unbedingt ein Denkmal für Kommunisten wolle, so ein CDU-Bezirksvertreter, der solle doch »in den Osten gehen«.

Die SPD-Vertreter argumentierten pragmatisch: Bei einer solchen Entscheidung müsse man auch an den Eigentümer des leer stehenden Hauses denken. Der heißt Viterra, besser bekannt unter dem früheren Namen Veba-Immobilien. Aber wie hätten sich die Sozis auch anders entscheiden sollen, hatten sie doch schon 1932 gegen Thälmann und für Hindenburg gestimmt. Nur der Vertreter der linken Bürgerliste Nord stimmte für Thälmann; Grüne sind in der Bezirksvertretung nicht vertreten. »Schade, hier wäre ein Teil Geschichte zu dokumentieren, der mal nicht nur in Schulbüchern steht, sondern mit dem man sich vor Ort wunderbar auseinandersetzen kann«, kommentierte Essens oberste Denkmalschützerin, Petra Beckers, »ein bisschen enttäuscht« den Beschluss.

Doch so schnell wollen die Urenkel Thälmanns nicht klein beigeben. »National und international«, so kündigte Köbele an, werde die DKP »über diese unglaubliche Dreistigkeit, diese skandalöse Koalition in der Essener Bezirksvertretung VI informieren«. Die Ablehnung sei »nicht nur ein Schlag ins Gesicht aller Antifaschisten, sondern belegt auch, wie überragend wichtig heute Konzerninteressen für die Partei sind, die einstmals stolz den Namen Sozialdemokraten trug«, erzürnt sich der 37jährige. Die SPD habe sich damit »zumindest in Essen-Katernberg vom letzten Rest von antifaschistischem Geschichtsbewusstsein verabschiedet«.

Noch bleibt eine Hoffnung für die Genossen aus der Hoffnungsstraße: Ilse Brusis. Denn als nordrhein-westfälische Ministerin für Arbeit, Soziales, Stadtentwicklung, Kultur und Sport könnte sich die Sozialdemokratin über den Beschluss der Bezirksvertretung hinwegsetzen und »Wählt Thälmann« doch noch zum Denkmal erklären. Vielleicht erinnert sie sich ja daran, dass Thälmann 14 Jahre lang SPD-Mitglied war. Aber möglicherweise erledigt sich das Problem auch mit dem nächsten Stolleneinbruch. Wattenscheid liegt schließlich nur um die Ecke.


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