05.07.2000



Asyl auf Abruf

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*   Asyl auf Abruf
Von Pascal Beucker

Der Kampf um das wirtschaftsfreundlichste Einwanderungsgesetz hat begonnen: Kommende Woche verknüpft der Bundesrat die Green-Card-Debatte mit der Einschränkung des Grundrechts auf Asyl.

Die Grünen haben allen Grund zum Jubeln. Nach dem gelungenen Atomausstieg und der umweltrettenden Ökosteuer erhält eine weitere ihrer politischen Forderungen immer prominentere Fürsprecher: Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz!

Dafür streiten nun Hand in Hand der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Manfred Kock, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann. Auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans-Peter Stihl, und DGB-Chef Dieter Schulte fordern es. CDU-Chefin Angela Merkel will darüber reden, FDP-Boss Wolfgang Gerhardt ebenfalls. Und Bundesinnenminister Otto Schily ist fest entschlossen, eine "Einwanderungskommission" einzurichten, von der er sich "konkrete Vorschläge für ein neues Regelwerk" erhofft. Ein voller grüner Erfolg auf ganzer Linie. Welcher Grüne hätte das vor zehn Jahren zu hoffen gewagt, als die Partei ihre Forderung nach offenen Grenzen auf Initiative von Daniel Cohn-Bendit zugunsten eines Einwanderungsgesetzes aufgab?

Diesen Erfolg verdanken sie nur ihrem Kanzler. Noch bei den Koalitionsverhandlungen 1998 ließ Gerhard Schröder die Grünen mit ihrer Forderung eiskalt abblitzen, obwohl sich auch ein SPD-Parteitag dafür ausgesprochen hatte. Die Frage nach einem Einwanderungsgesetz schien damit beantwortet. Doch mit seinem "Green Card"-Vorstoß vom Frühjahr, über den am 14. Juli im Bundesrat abgestimmt wird, hat die Diskussion über Zuwanderung nun einen völlig neuen Drive bekommen. "Bislang haben wir über Zuwanderung nur unter humanitären Gesichtspunkten diskutiert", erläutert der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. "Jetzt wird ganz pragmatisch diskutiert." Das sei für die SPD eine wichtige und notwendige Ergänzung.

Nicht nur für sie. Befürchteten zuvor viele, mit einem Einwanderungsgesetz sollten nur noch mehr Zerlumpte aus dem Trikont die Möglichkeit erhalten, die deutschen Städte zu bevölkern und die Sozialkassen zu plündern, stellen nun sogar Christdemokraten fest: Es gibt auch gute Wirtschaftsflüchtlinge - diejenigen, die den Standort Deutschland sichern helfen. Umdenken ist angesagt. Schließlich geht es um vitale deutsche Interessen. Noch in der vergangenen Legislaturperiode hatte die FDP vergeblich versucht, ihrem Koalitionspartner ein Einwanderungsgesetz schmackhaft zu machen, in dem sie ihren Entwurf "Zuwanderungsbegrenzungsgesetz" nannte. Heute ist eine negativ klingende Bezeichnung nicht mehr nötig. Man müsse nur "klar sagen: Wen wollen wir?" so der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz. Dann sei es zweitrangig, ob ein Gesetz "Zuwanderungsgesetz" oder "Zuwanderungsbegrenzungsgesetz" heiße. Das sieht der bayrische CSU-Innenminister Günter Beckstein genauso: "Wir brauchen mehr Zuwanderung, die uns nützt, und weniger Zuwanderer, die uns ausnützen wollen."

In einem vierseitigen Positionspapier konstatiert der Berliner Innensenator Eckart Werthebach: "Das öffentliche Interesse an einer Zuwanderung wurde auf bisher unzuträgliche Weise vernachlässigt." In der Vergangenheit hätten die Bedürfnisse der Zuwanderer zu sehr im Vordergrund gestanden. Damit müsse Schluss sein, denn das sei eine Ausländerpolitik von gestern: "Wer deutsche Ausländerpolitik noch immer als Reparationsleistung für die Rassenpolitik des Naziregimes begreift, darf sich nicht wundern, wenn ihm bald die Kontrolle über eine nur ideologisch motivierte Ausländerpolitik entgleitet." Der CDU-Politiker präferiert einen anderen Weg: "Eine gesteuerte Zuwanderung von Ausländern einer qualifizierten, gebildeten und leistungsbereiten Mittelschicht hingegen könnte helfen, der deutschen Wohnbevölkerung die Angst zu nehmen, dass Zuwanderung nur dem Ausländer nutzt und dem Gemeinwesen schadet." Zu dieser modernen Ausländerpolitik gehört für ihn selbstverständlich auch eine Änderung des Asylrechts. Es müsse als einklagbares Individualrecht abgeschafft und stattdessen "in eine Institutionsgarantie" überführt werden.

Innenminister Otto Schily hat sich in dieser Frage noch nicht entschieden. Fest steht für ihn allerdings, dass immer noch zu viele Flüchtlinge kommen, denen die Bundesrepublik kein Asyl gewähren will. "Wenn es uns gelänge, diese Zahl zu reduzieren, hätten wir Spielraum gewonnen", weiß der Ex-RAF-Anwalt. "Wir müssen unterscheiden zwischen Zuwanderung, die die Sozialkassen erheblich belastet, und Zuwanderung, die unseren wirtschaftlichen Interessen entspricht", erklärt Schily. So soll sich die von ihm initiierte "Einwanderungskommission" auch damit beschäftigen, ob und wie bei Asylverfahren der Instanzenweg verkürzt werden kann. Es gehe darum, "für den Staat Handlungsspielraum zurückzugewinnen, damit wir mehr Zuwanderung ermöglichen können, die unseren Interessen entspricht, und Zuwanderung verhindern, die unseren Interessen zuwiderläuft", gibt Schily die Richtung vor.

Das ist auch dringend nötig. Denn um die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte wird es nach Einschätzung von Heide Simonis in absehbarer Zeit einen harten Wettbewerb zwischen den europäischen Staaten geben. Auf die Verlierer dieses Wettbewerbs warteten schwierige Zeiten als Wirtschaftsstandort, so die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin. Deshalb sei es höchste Zeit, dass in der BRD die Debatte um ein Einwanderungsgesetz beginne. "Wir sind auf Zuwanderung angewiesen", sagt denn auch Dieter Philipp, der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Und das bedeutet für Philipp: "Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz."

Das in Berlin ansässige Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung (DIW) hält ein Einwanderungsgesetz für längst überfällig. "Die Probleme am Arbeitsmarkt, aber auch bei den Renten, machen eine aktive Zuwanderungspolitik notwendig", so DIW-Präsident Klaus F. Zimmermann. Allein um die Zahl der Arbeitskräfte konstant zu halten, brauche die deutsche Wirtschaft jährlich 300.000 zuwandernde Arbeitskräfte, hat er errechnet. In den zehn Jahren danach würden gar eine halbe Million pro Jahr benötigt. "Die Alternative für unser Rentensystem wäre, die Leistungen stark einzuschränken", glaubt Zimmermann.

Und die Grünen? Die scheinen sich über ihren großen realpolitischen Erfolg offensichtlich gar nicht richtig freuen zu können. Irritiert stellen die Partei fest, dass sie in der neu entflammten Diskussion keine Rolle spielt. Nun versuchen sich führende Grüne mit Attacken gegen ihren ehemaligen Parteifreund Schily wieder ins Gespräch zu bringen. Der habe "das Interesse der Bundesrepublik zu wahren und nicht nur die Interessen von Wirtschaftslobbyisten wie Hans-Olaf Henkel", kritisiert die neue Parteisprecherin Renate Künast. Der Sozialdemokrat dürfe nicht über den Umweg der Einwanderungsdebatte das Grundrecht auf Asyl in Frage stellen. "Für die Änderung dieses Grundrechts brauchen Schily und Schröder eine Zweidrittelmehrheit, aber dafür werden wir nicht die Finger heben", gibt sich die Berlinerin kämpferisch. Und auch die Bundestagsabgeordnete Angelika Beer nutzte am vergangenen Wochenende auf dem Landesparteitag der schleswig-holsteinischen Grünen die Gunst der Stunde. "Schily belastet per se die Koalition", gab sie zu Protokoll. Ganz so, als habe es den "Asylkompromiss" nie gegeben und die Bundesrepublik noch ein humanitäres Asylrecht, warnte Beer: "Ein humanitäres Asylrecht darf nicht Opfer wirtschaftlicher Intereressen werden." Der Bundeskanzler reagierte sofort. Um einem Koalitionskrach vorzubeugen beruhigte Schröder die Grünen: "Die Möglichkeit für politisch Verfolgte, hierher zu kommen, sollte im Prinzip beibehalten werden."

Ausdrücklich begrüßen die Grünen, "dass eine überparteiliche Kommission Vorschläge für eine moderne Einwanderungspolitik entwickeln soll", so die Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller. Wer in Schilys "Einwanderungskommission" sitzen wird, ist allerdings noch unklar. Schily will die Zusammensetzung in dieser Woche bekannt geben. Fest steht bislang nur, dass auch gegen den Widerstand der CDU die christdemokratische Bundestagsabgeordnete Rita Süssmuth den Vorsitz führen soll. Für die SPD werden deren Ex-Vorsitzender Hans-Jochen Vogel und für die FDP die ehemalige Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Cornelia Schmalz-Jacobsen in dem Gremium sitzen. Außerdem sollen auch der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, sowie Industrie- und Handelstages-Präsident Hans Peter Stihl, der Kommission angehören.

Wenn die Grünen entsenden werden, ist noch offen. Gerne würden sie ihre Abgeordnete Marieluise Beck schicken. Schily hält das jedoch für keinen guten Vorschlag. Verständlich. Mit der Ausländerbeauftragten müsste er sich vielleicht doch wieder über die Zerlumpten aus dem Trikont unterhalten. Und das will doch wirklich keiner.


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