02.08.2000



Die Wehrwölfe von Wehrhahn

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Jungle World

*   Die Wehrwölfe von Wehrhahn
Von Pascal Beucker und Marcus Meier

Düsseldorf ganz rechts: Eine prügelnde »Reichswehr«, Drohungen gegen russische Aussiedler und ein Neonazi-Treffpunkt, der nur wenige hundert Meter vom Ort des Bombenanschlags entfernt ist. Juden sind hier nicht sehr beliebt.

Trostlos sieht es an der S-Bahn-Station Düsseldorf-Wehrhahn aus. Trostlos wie immer. Nicht viel erinnert noch an das schreckliche Geschehen. Die Absperrungen sind wieder beseitigt, die Polizei hat ihre Spurensuche beendet, und auch die Kamerateams sind längst wieder abgezogen.

Die Stelle, an der der Mülleimer mit der Bombe stand, ist notdürftig ausgebessert worden. Wüsste man nicht, wie das Loch in das Geländer gerissen wurde, man käme nicht darauf. Zu rostig und verfallen sehen die Gitter der Brücke über die Bahngleise aus.

Doch genau hier passierte es: Am Donnerstag vergangener Woche explodierte um 15.05 Uhr eine Rohrbombe und verletzte zehn Menschen zum Teil lebensgefährlich. Alle Opfer, sieben Frauen und drei Männer im Alter zwischen 24 und 50 Jahren, besuchten die Sprachkurse der »Wirtschaftsschule Welling« in der Birkenstraße im Düsseldorfer Stadtteil Flingern.

Jeden Morgen um acht Uhr kamen sie in die Schule und verließen sie wieder um 15 Uhr in Richtung der fünf Minuten Fußweg entfernten S-Bahn-Station. Von dort wollten die Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion auch am Donnerstag nach Hause, nach Hilden, Düsseldorf, Erkrath, Solingen und Duisburg fahren. Wurden sie Opfer eines gezielten Anschlages?

Die Sprachschul-Gruppe sei ein »Hauptermittlungsansatz«, so der Sprecher der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft, Johannes Mocken. Seine Behörde ermittle »gezielt und vorrangig in Richtung ausländerfeindlich beziehungsweise antisemitisch motivierte Tat«. Dies ergebe sich allerdings nicht aus den bisher gewonnenen Erkenntnissen, sondern daraus, dass alle Opfer Ausländer und zum Teil Juden seien. Aber ebenso werde in andere Richtungen ermittelt: »Auch die Tat eines Verrückten schließen wir nicht aus.« Sechs der aus der Ukraine, Russland und Aserbaidschan stammenden Menschen sind Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Wuppertal oder Düsseldorf.

Rund 100 Hinweise sind inzwischen bei den Ermittlern eingegangen. Doch nach Mockens Aussage sind darunter bislang keine brauchbaren gewesen. Und auch Polizeisprecher Lothar Sprick konstatiert: »Wir haben noch immer keine heiße Spur.« Zudem erschwerten zahlreiche Trittbrettfahrer die Ermittlungsarbeit, wie beispielsweise jener Angehörige der Berliner Bereitschaftspolizei, von dessen Telefonanschluss aus wenige Stunden nach dem Düsseldorfer Anschlag die makabre Drohung beim Polizeipräsidium Potsdam einging, es werde auch in Berlin Tote geben.

Auch die kriminaltechnischen Untersuchungen des Sprengsatzes waren, schenkt man den Angaben Glauben, bislang nicht sehr ergiebig. Es soll sich um einen Metallbehälter mit »flaschenähnlichen Hälsen an den Enden« gehandelt haben, heißt es. Verlässliche Angaben zur Form und Größe der Bombe gebe es zur Zeit noch nicht. Unklar sei bisher auch die Art des Sprengstoffes. Ebenso wisse man noch nicht mit Gewissheit, ob es sich um eine selbstgebastelte Bombe handle oder nicht.

Vor allem über den verwendeten Zündmechanismus gebe es noch keine Erkenntnisse. Vergleiche der bislang gesicherten Spuren mit den Unterlagen des Bundeskriminalamtes über vorangegangene Attentate hätten jedoch ergeben, dass diese Art von Sprengsatz bei früheren Bombenattentaten bisher offenbar nicht benutzt worden sei. »Der Abgleich hat nichts ergeben«, sagte Mocken.

Am Tag nach dem Anschlag blieb die »Wirtschaftsschule Welling« geschlossen. Norbert Kuge schickte die 130 Schüler wieder nach Hause. »Es hätte keinen Sinn gehabt, Unterricht abzuhalten«, sagte das Geschäftsleitungsmitglied der privaten Sprachschule. »Die meisten Schüler sind völlig geschockt.« Die Schule habe noch nie fremdenfeindliche Anrufe oder Drohungen bekommen, so Kuge. Die Nachrichtenagentur dpa zitierte hingegen eine 42jährige Russin: »Wir wurden hier schon öfter angemacht. Russen und Juden sind hier nicht sehr beliebt.«

Bislang habe sich noch keiner der Sprachschüler bedroht gefühlt, erzählt Deutschlehrerin Olga Pankratz. »Doch der Anschlag hat alles verändert.« Tatjana L., ihre beste Schülerin, hat es getroffen. Seit Juni besuchte die 26jährige den vom Arbeitsamt finanzierten Deutschkurs. Frau Pankratz hat den Knall unweit der Schule zwar gehört, »aber ich habe mir nichts dabei gedacht«. Erst am Abend habe sie erfahren, was passiert war.

Immerhin: Tatjana L. ist inzwischen außer Lebensgefahr. Das grenzt an ein Wunder und ist nur dem Umstand zu verdanken, dass sich eine Rettungsstation in unmittelbarer Nähe des Unglücksorts befindet. Ärzte und Sanitäter konnten sehr schnell zur Stelle sein. Bei der Detonation wurde der Ukrainerin ein Bein abgerissen. Beinahe wäre die im fünften Monat Schwangere am Tatort verblutet.

Ihr Baby hat Tatjana L. verloren. Der Embryo wurde von einem Bombensplitter im Mutterleib getötet. Tatjanas Mann Michail L. kämpfte noch am Wochenende mit dem Tod. Im Splitterhagel wurde ihm der Bauch aufgerissen. Der 28jährige erlitt schwerste Bauch- und Brustkorb-Verletzungen.

Tatjana und Michail L. gehören der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf an. Sie sind vor einigen Monaten als jüdische Kontingentflüchtlinge nach Deutschland gekommen, wie viele andere seit 1989. Damals wurde das Abkommen über die jüdischen Kontingentflüchtlinge aus Osteuropa geschlossen. Bis dahin zählte die Synagogengemeinde gerade mal 1 500 Mitglieder. Inzwischen sind es 6 300. »Damit leben heute in Düsseldorf mehr Glaubensbrüder als vor dem Holocaust«, berichtet der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, selbst ein Düsseldorfer.

Zwar ist auch die Düsseldorfer Gemeinde immer wieder Ziel antisemitischer anonymer Anrufe, Briefe und E-Mails, aber bisher habe man sich nicht unmittelbar bedroht gefühlt. Die Jüdische Gemeinde in der Nachbarstadt Duisburg sah sich hingegen erst am Dienstag vergangener Woche mit einer telefonischen Bombendrohung konfrontiert. Glücklicherweise falscher Alarm: Die Polizei konnte auf dem geräumten Gelände nichts finden. Der Vorstand der Düsseldorfer Jüdischen Gemeinde traf sich nach dem Attentat vom Donnerstag zu einer Sondersitzung. Wahrscheinlich habe Ausländerfeindschaft die Tat motiviert, sagte der Vorstandsvorsitzende Esra Cohn. »Ob es zudem einen antisemitischen Hintergrund gibt - das wollen wir nicht hoffen«.

Tatsache ist, dass Düsseldorf als eine Hochburg des Rechtsextremismus in den alten Bundesländern gilt. Der Verfassungsschutz hat hier »gefestigte rechtsextreme Strukturen« ausgemacht. Erst am 3. Juli waren zwei Migranten am S-Bahnhof Düsseldorf-Derendorf, zwei Stationen von der Haltestelle Wehrhahn entfernt, von mehreren Mitgliedern und Sympathisanten der Neonaziband »Reichswehr« zusammengeschlagen worden.

Die »Kameradschaft Düsseldorf« war bei fast allen überregionalen Neonaziaufmärschen der letzten Jahre mit eigenen Abordnungen vertreten und betreibt seit 1994 das »Nationale Infotelefon Rheinland«. Zwei Mitglieder der zehn bis fünfzehnköpfigen Gruppe um ihren Anführer Sven Skoda nahmen schon 1992 und 1993 am Training der von einem rechten V-Mann geleiteten Solinger Kampfsportschule teil, in der auch drei der vier Brandstifter von Solingen und eine große Zahl von Kadern der Nationalistischen Front trainierten. In der diesjährigen März-Ausgabe des von der Kameradschaft herausgegebenen »Düsseldorfer Beobachters« wurde zudem ein als »Wehrwolf« bezeichneter Neonazi als Held bejubelt, der im Juli 1997 gemeinsam mit zwei weiteren Tätern einen Brandanschlag auf ein Aussiedlerwohnheim in der Region verübt hatte, bei dem nur durch Zufall niemand getötet worden war. Die Täter hatten vor der Tat sämtliche Feuerlöscher aus dem Heim entfernt.

Ein von den Neonazis der »Kameradschaft« regelmäßig frequentierter Anlaufpunkt - der »Survival Security & Outdoor»-Laden des für gewaltsame Aktionen bekannten und vorbestraften Ralf S. - befindet sich nur wenige hundert Meter vom Ort des Splitterbombenattentats entfernt.

Der Koordinierungskreis antifaschistischer Gruppen in Düsseldorf und Umland, Antifa-KOK, hat nun für den kommenden Samstag zu einer Demonstration gegen »Nazi-Terror« aufgerufen. Politik und Behörden hätten die neonazistische Szene in der Landeshauptstadt jahrelang verharmlost oder einfach ignoriert.


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