30.08.2000



Immer geradeaus

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Von Pascal Beucker

Die kleine Welt der großen Finanzinstitute ist sein Zuhause: Ein Porträt des IWF-Chefs Horst Köhler.

Rund 20 000 Bankangestellte und Geschäftsleute, 11 000 Polizisten, 1 600 Soldaten und - so erwartet es das tschechische Innenministerium - bis zu 50 000 Demonstranten werden ihn am 23. September in Prag begrüßen. Auf der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank wird Horst Köhler seinen ersten großen Auftritt als IWF-Chef haben. Vielleicht wird er dann kurz in sich gehen und sagen: Ich habe es geschafft!

Etwas anderes als die kleine Welt der großen Banken und Finanzen hat der im besetzten Polen geborene Bauernsohn seit seiner Studienzeit nicht gesehen. Eine gerade Laufbahn führte ihn nach oben. Nach Abitur und Wehrdienst studiert Köhler ab 1965 Wirtschaftswissenschaften an der Universität Tübingen. 1969 macht er seinen Abschluss als Diplom-Volkswirt und bekommt einen Job als wissenschaftlicher Referent am Tübinger Institut für angewandte Wirtschaftsforschung. Von dort wechselt er 1976 in die Grundsatzabteilung des sozial-liberalen Bundeswirtschaftsministeriums und promoviert im Jahr darauf mit einer Arbeit über die Arbeitsmarktwirkungen des technischen Fortschritts zum Dr. rer. pol.

Offensichtlich mit einem guten Gespür ausgestattet, wechselt Köhler 1981 vor dem Crash der SPD/FDP-Bundesregierung in die Staatskanzlei der schleswig-holsteinischen Landesregierung. Da der alleinregierende Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg viel Wert auf das richtige Parteibuch legt, wird Köhler Mitglied der CDU - und sichert sich so sein Comeback in Bonn. Denn nach dem Regierungswechsel 1982 nimmt ihn Stoltenberg mit ins Bundesfinanzministerium. Hier fungiert Köhler zunächst als Redenschreiber, wird dann Leiter des Ministerbüros und 1987 Abteilungsleiter in der Grundsatzabteilung des Ministeriums.

1989 geht Stoltenberg, Theo Waigel kommt, und Köhler bleibt. Er übernimmt die Leitung der Abteilung »Geld und Kredit« und ist maßgeblich an den Verhandlungen über eine Wirtschafts- und Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR beteiligt. Als Anfang 1990 Hans Tietmeyer in das Direktorium der Deutschen Bundesbank wechselt, wird Köhler Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er ist zuständig für die Grundsatzabteilung des Ministeriums, die Währungspolitik, die Finanzbeziehungen zur EG und für die Treuhandanstalt. Und er wird der wichtigste Berater Helmut Kohls in allen internationalen Wirtschafts- und Finanzfragen.

Kohl setzt ihn darüber hinaus als diplomatischen Unterhändler (»Sherpa«) bei Weltwirtschaftsgipfeln und anderen Konferenzen ein. So verhandelt Köhler mit den Russen über die Zahlungen für den Abzug der Roten Armee aus Deutschland, auch die deutsche Mitfinanzierung des Golf-Kriegs wird von ihm bearbeitet. Ebenso ist er am Maastricht-Vertrag über die Europäische Währungsunion beteiligt. Dabei präsentiert sich Köhler als Verfechter der Euro-Einführung und setzt gleichzeitig auf die Notwendigkeit einer verstärkten politischen Integration - ganz wie der Kanzler.

Ein »Schatz« sei er, hat Kohl über seinen Berater gesagt. Und der erwies dem Kanzler während der gemeinsamen Zeit Loyalität. Trotzdem haftet Köhler das Image an, er sei stets politisch unabhängig gewesen. So wird kolportiert, er habe in seinem Ministerium als einziger vor der Staatsverschuldung gewarnt. Auch seine offensichtlichen Sympathien für den sächsischen Ministerpräsidenten und Kohl-Feind Kurt Biedenkopf dienten diesem Image, dass dem Christdemokraten unter Gerhard Schröder noch nützlich sein sollte.

Im Oktober 1992 kündigt Köhler seinen Wechsel in das Amt des Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) an, den er Mitte 1993 vollzieht. Seinen Umstieg begründet der Vater von zwei Söhnen mit familiären Motiven, wahrscheinlicher ist jedoch, dass er zu diesem Zeitpunkt seine politischen Karrierechancen für ausgereizt hält.

Fünf Jahre steht er dem Verband vor, der für Köhler eine Schnittstelle zwischen Politik und Bankengeschäft darstellt. Und er verliert nie den Kontakt zu anderen politischen Ebenen. So greift Kohl im Januar 1998 auf ihn zurück und lässt den Offizier der französischen Ehrenlegion an der Spitze einer Delegation nach Indonesien reisen, um die Frage nach möglicher deutscher Hilfe bei der Finanzkrise zu klären. Nur vier Monate später nominiert Waigel Köhler für das Amt des Präsidenten der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) in London, zu deren Chef er am 23. Juli 1998 gewählt wird - einstimmig.

Dass Köhler nun sein Karriereziel erreicht haben könnte, daran zweifelten bereits damals nicht wenige. Köhler betrachte die EBWE nur als Durchgangsstadium für ein höheres Ziel - den Chefsessel beim IWF, wurde gemunkelt. Und tatsächlich: Als im Herbst letzten Jahres die Diskussion um die Nachfolge für Michel Camdessus begann, der seinen Rücktritt für Februar 2000 angekündigt hatte, wurde Köhler als möglicher Kandidat gehandelt.

Doch Gerhard Schröder entschied sich zunächst für seinen Finanzstaatssekretär Caio Koch-Weser. Nachdem der aber am Veto der USA gescheitert war, blieb dem Sozialdemokraten nur noch die Möglichkeit zur Schadensbegrenzung. Und die hieß: Horst Köhler. Er sei bereit, wenn die große Mehrheit ihn wolle, soll der 57jährige gesagt haben. Die Mehrheit stand: Am 13. März 2000 nominierten ihn die 15 EU-Finanzminister einstimmig als ihren Kandidaten und zwei Tage später gaben auch die USA, Russland und Japan ihre Zustimmung. Am 23. März wurde Köhler zum neuen IWF-Generaldirektor gewählt, Anfang Mai trat er sein neues Amt an.

Seine erste größere Rede Anfang August vor dem Washingtoner National Press Club war eher konventionell. »Ich glaube wirklich, dass der Fonds in der Vergangenheit überzogen hat und sich neu konzentrieren muss«, so Köhler. Sein Ehrgeiz sei es »nicht, immer mehr Programme für immer mehr Länder aufzulegen«. Doch seine Ideen für eine Reform des IWF hielt er bewusst vage, um Ärger mit einem der 182 Mitgliedsländer zu vermeiden.

Köhler wird den Wegen seines Vorgängers Michel Camdessus nicht folgen. Der gläubige Katholik hat sich inzwischen der Armen und Schwachen erinnert. Zusammen mit einer Gruppe des Vatikan setzt er sich für einen Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt ein. Die christliche Kampagne richtet sich gegen die Weltbank und seinen alten Arbeitgeber IWF. Und damit auch gegen Horst Köhler.


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