13.09.2000



Hessisches Trio Kriminale

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*   Hessisches Trio Kriminale
Von Pascal Beucker

Zwei altgediente Kameraden und ein adliger Schatzmeister: Man versteht sich aufs Betrügen in Roland Kochs CDU.

Da mussten die Herzen der deutschen Industrie-Kapitäne höher schlagen: als Landesvorsitzenden einen vierfach im Krieg verwundeten Wehrmachtssoldaten, dem man jederzeit zutrauen konnte, in der nächsten Minute wieder gen Osten zu marschieren. Dazu einen Schatzmeister aus altem, ja uraltem deutschen Adel. Und als Dritten im Bunde einen Heimatvertriebenen, der zunächst den Landesgeschäftsführer und später den Generalsekretär abgab. Das war schon ein unwiderstehliches Trio Kriminale, das die hessische CDU über Jahre hinweg führte.

Es war eine bewegte, eine kämpferische Zeit. Damals, 1968, als ein dynamischer Fuldaer Oberbürgermeister den Vorsitz der Christdemokraten in Hessen übernahm: Alfred Dregger. Der räumte erst mal auf: mit der Verschlafenheit der auf die Oppositionsrolle abonnierten Hessen-CDU, mit überflüssigem Sozialklimbim, den Anhänger der katholische Soziallehre verbreiteten, und mit unnötiger Liberalität.

Stattdessen war Kampf mit allen Mitteln angesagt, so wie er es schon als Hauptmann Hitlers gelernt hatte. »Wer so daherkommt, der schießt auch«, urteilte Frankfurts SPD-Oberbürgermeister Rudi Arndt über das Plakat, mit dem Alfred Dregger 1970 in den Landtagswahlkampf gezogen war. Dregger war erfolgreich: Auch wenn es nie zum Ministerpräsidentenamt reichte, brachte er die CDU binnen acht Jahren von 26 auf 47 Prozent.

Zu Dreggers Erfolgsrezept gehörte eine gute Personalwahl. 1970 holte er sich den 30jährigen Manfred Kanther als Landesgeschäftsführer an seine Seite. Der gebürtige Schlesier und DDR-Flüchtling war groß, blond und genauso reaktionär und nationalistisch wie sein Chef. 1976 wurde das Triumvirat komplettiert: Dregger machte Casimir Johannes Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg zum Landesschatzmeister; zwei Jahre später wurde er zudem noch Kassenwart der Frankfurter CDU.

Goldene Zeiten für die hessischen Christdemokraten brachen an. Ein warmer Geldregen prasselte plötzlich über der Partei hernieder: Im Durchschnitt über vier Millionen Mark nahm der Prinz pro Jahr an Spenden ein. Denn er hatte beste Kontakte: Die Hochfinanz ging bei ihm ein und aus und mit dem Hochadel war er auf Du und Du.

Schließlich galt es für die Wittgensteins schon immer, Großes zu vollbringen. Nach dem Krieg erst recht: Legal, illegal, scheißegal - um Hessen vom Sozialismus zu befreien, brauchte man einfach Geld. Viel Geld. Wie das akquiriert werden konnte, dafür hatte bereits Sayn-Wittgensteins Vorgänger Walter Löhr den Weg gewiesen. Mitte der sechziger Jahre hatte der zusammen mit Josef Schröder, einem Pater der Steyler Mission in St. Augustin bei Bonn, ein ausgeklügeltes Spendensystem entwickelt.

Das Prinzip war einfach: Für eine gespendete Mark bekam der Geldgeber eine Quittung über das Fünffache ausgestellt. So konnten sich die »Gönner« das Geld vom Finanzamt wiederholen. Dem Flick-Konzern dienten solche Spenden zur »Pflege der Bonner Landschaft«, wie es der Flick-Generalbevollmächtigte Eberhard von Brauchitsch bezeichnete. Flick war großzügig: 12,3 Millionen vermachte er den Mönchen. Es war ein einträgliches Geschäft für alle Beteiligten. Allerdings mit einem Schönheitsfehler: Es war illegal.

Der Schwindel flog auf: Bereits 1975 wurde die erste »Geldwaschanlage« enttarnt, weitere kamen ans Licht. Ende der siebziger Jahre entdeckte der Leiter der Steuerfahndungsstelle St. Augustin auch die Spur zu den umtriebigen Mönchen. Klaus Försters Ermittlungen mündeten in Politikerrücktritten, Prozessen wegen Steuerhinterziehung, im Flick-Untersuchungsausschuss des Bundestages - und in einer Änderung des Parteienfinanzierungsgesetzes. Auch Sayn-Wittgenstein wurde verurteilt. 135 000 Mark Strafe musste er zahlen, weil ihm nachgewiesen werden konnte, dass er als Schatzmeister der Frankfurter CDU Geld von der »Ackermann-Gemeinde« angenommen hatte, einer der anderen Spendenwaschanlagen.

Hessen war in Not. Und in der Not wurden der inzwischen zum CDU-Landesgeneralsekretär aufgestiegene Kanther und Schatzmeister Sayn-Wittgenstein erfinderisch. Sie transferierten 1983 über 20 Millionen Mark, deren Herkunft bis heute nicht geklärt ist, in die Schweiz. CDU-Steuerberater Horst Weyrauch war ihr Treuhänder. Das Geld wurde über eine Stiftung in Liechtenstein verwaltet, der ihre Erfinder den Namen »Zaunkönig« gaben. Es sei darum gegangen, die CDU »in umkämpfter Zeit schlagkräftig zu erhalten«, rechtfertigte sich Kanther Anfang dieses Jahres gegenüber dem CDU-Präsidium. Dregger will wie sein Nachfolger Walter Wallmann nicht in den Deal eingeweiht worden sein.

In den folgenden Jahren bediente sich Hessens CDU immer wieder aus ihrer Schweizer »Kriegskasse« und verbuchte das Geld in ihren Rechenschaftsberichten unter der Rubrik »sonstige Einnahmen«. Außer Kanther, der 1991 CDU-Landesvorsitzender wurde, dem treuen Prinzen und Weyrauch soll niemand gewusst haben, woher das Geld stammte. Intern war nur vom »Honigtopf im Süden« die Rede.

Als Ende letzten Jahres doch noch einer - wenn auch kein Christdemokrat, sondern der Spiegel - nachfragte, hatte Sayn-Wittgenstein die passende Antwort parat. Das Geld stamme, so der Geschäftsführende Gesellschafter des Frankfurter Instituts für Gemeinwohl, aus anonymen Vermächtnissen. »Prinz Wittgenstein vermutet die Vermächtnisgeber in Kreisen deutschstämmiger jüdischer Emigranten, in denen er sehr bekannt und angesehen ist«, ließ Sayn-Wittgenstein im Dezember vergangenen Jahres den damaligen CDU-Generalsekretär Herbert Müller erklären. Eine perfide Lüge, die den Deutschnationalen Dregger und Kanther wohl niemand abgenommen hätte - dem Prinzen schon. Schließlich wuchs er als Stiefsohn eines jüdischen Unternehmers auf.

1998 war der Wendepunkt in den Politkarrieren des hessischen Dreigestirns. Dregger, der 1982 in die Bundespolitik gewechselt war, wurde von seiner Partei nicht mehr für den Bundestag aufgestellt. Kanther gab den Landesvorsitz an seinen politischen Ziehsohn Roland Koch weiter und beschränkte sich nach der Wahlniederlage der CDU auf ein Hinterbänklerdasein im Bundestag. Sayn-Wittgenstein verzichtete auf eine erneute Kandidatur als Landesschatzmeister.

Die Zeit für Jüngere war gekommen. Und die machten ihren Altvorderen alle Ehre: Nur ein Jahr später gewann Koch die Wahl in Hessen - mit einer rassistischen Unterschriftenkampagne gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft, wie sie sich Dregger nicht besser hätte ausdenken können. Und mit den Millionen, die Kanther und Sayn-Wittgenstein beiseite geschafft hatten.

Dass sie irgendwann noch mal die Vergangenheit einholen könnte, hätten die drei Ruheständler wohl nicht für möglich gehalten. Bis heute kann Kanther nicht verstehen, was über ihn hereingebrochen ist. »Ich werde die Treibjagd beenden«, verkündete der »Schwarze Sheriff« trotzig, als er sein Bundestagsmandat im Januar niederlegen musste.

Ausgerechnet gegen ihn, der als Bundesinnenminister am liebsten jeden kleinen Ladendieb für Jahre hinter Schloss und Riegel gebracht hätte, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Untreue und Betrugs - und gegen Sayn-Wittgenstein. »Solange alles gut geht, ist man der Feine. Wenn es einmal schief gelaufen ist, dann ist man eben der Übeltäter«, weiß nun der 83jährige Prinz.

Nur einer steht bis heute unverbrüchlich zu seinen alten Kameraden. Was Kanther »getan hat, hat er nach seinem Verständnis zum Wohle der Partei getan«, ist Alfred Dregger überzeugt. »Deshalb, und wegen seiner überragenden Verdienste, muss ihm ebenso wie Prinz Wittgenstein die Solidarität der Partei gehören.« Denn, so der Träger des Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband: »Diese Solidarität und die Kampfgemeinschaft waren es, die die CDU Hessen stark gemacht hat.« Schließlich lasse sich nur derjenige, der kein Selbstvertrauen habe, »von jedem Fanfarenstoß verunsichern«.


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