27.09.2000



Genossen fürs Leben

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*   Genossen fürs Leben
Von Pascal Beucker

Generalsekretär Müntefering will den größten Landesverband der SPD umstrukturieren. Doch die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten wehren sich noch.

Franz Müntefering (SPD)Ein erfolgreicher Kanzler, eine starke Bundestagsfraktion und konstant hohe Umfragewerte sind ihm nicht genug. Noch attraktiver will der SPD-Generalsekretär die deutsche Sozialdemokratie im Jahr zwei nach der Machtübernahme machen. O-Ton Franz Müntefering: »Es geht um den Prozess der Aktualisierung, Verjüngung, Modernisierung, Auffrischung.« Und: »Fitmachen muss man sich, solange es einem gut geht.«

Im kommenden Monat wird Müntefering den ersten Erfolg seiner Anstrengungen vermelden können, wenn rund 750000 Mitglieder im Doppelpack mit der Parteizeitung Vorwärts die »SPD-Card« zugeschickt bekommen. Wer den roten Ausweis in der Größe einer Kreditkarte künftig vorzeigt, kann bei einer Reihe von Firmen Rabatte auf bestimmte Produkte und Dienstleistungen herausschlagen. »Wir wollen damit die Menschen intensiver an die Partei binden und ihnen den Nutzen einer Mitgliedschaft vor Augen führen«, erläuterte ein Parteisprecher die neueste sozialdemokratische Innovation.

Andere Ideen aus dem Hause Münteferings aber müssen noch einige Zeit auf ihre Verwirklichung warten. Mit seinem Versuch, die nordrhein-westfälische SPD umzustrukturieren, der er seit 1998 vorsteht, ist Schröders rechte Hand vor zwei Wochen grandios gescheitert. Einen Generalsekretär und ein Parteipräsidium wollte Müntefering den NRW-Genossen auf ihrem Parteitag Mitte September in Düsseldorf verordnen. Wie die Bundespartei sollte der Landesverband stärker zentralisiert und straffer strukturiert werden - was in NRW nur auf Kosten der dominanten vier Bezirke Westliches Westfalen, Ostwestfalen-Lippe, Niederrhein und Mittelrhein gehen konnte.

So war es ausgerechnet Münteferings Heimatbezirk Westliches Westfalen, der sich schon vor der Abstimmung verweigerte. Nach Ansicht des mitgliederstärksten SPD-Bezirks, der auf dem Parteitag rund 40 Prozent der Delegierten stellte, soll alles erstmal gründlich diskutiert werden. Nach der Niederlage, die ihm seine Bezirksfreunde bescherten, fragten sich Beobachter schon, ob Müntefering das Sensorium für seine Partei abhanden gekommen sei.

»Parteireform ist etwas Sperriges«, musste Schröders starker Mann eingestehen und versuchte sich in Schadensbegrenzung: »Die Mehrheit von euch wollte keine Satzungsänderung auf diesem Parteitag. Mehrheit ist Mehrheit. Akzeptiert.« Eine Strukturkommission soll nun bis zum Frühjahr nächsten Jahres neue Vorschlage unterbreiten. Vorsitzender des 43köpfigen Gremiums: Müntefering. Seinem Ziel, die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen »strukturell mehrheitsfähig« zu halten, dürfte er auf diesem Posten am nächsten kommen.

Darüber, dass sich im größten SPD-Landesverband etwas verändern muss, sind sich zwischen Rhein und Ruhr alle einig. Zehn Prozent ihrer Wähler und 25 Prozent ihrer Mitglieder hat die Partei in den letzten zehn Jahren verloren. Bei den Kommunalwahlen 1999 rangierte sie mit 33,9 Prozent der Stimmen deutlich unter der CDU, was sie 1 600 Mandate kostete. Und bei der Landtagswahl im Mai schrammte sie mit 42,8 Prozent nur knapp an einer Niederlage vorbei.

»Seit zehn, 15 Jahren«, räumt auch Müntefering ein, stecken die Genossen in ihrem Kernland in der Krise. Wenn die SPD-Kandidatin in einer Stadt wie Köln, die bis zum vergangenen Herbst 43 Jahre lang nur sozialdemokratische Oberbürgermeister kannte, nun gegen einen Provinz-Christdemokraten chancenlos ist, dann muss einiges falsch gelaufen sein. Wenn schon nicht die sozialdemokratische Politik schuld ist, dann sind es eben, so Münteferings Rechnung, die Strukturen.

Und die haben es in sich. So beschreibt Detlev Samland, Vorsitzender des SPD-Bezirks Niederrhein, auf dem Landesparteitag die für Traditionssozialdemokraten traurige Realität: »Ein Mitglied tritt ein und ist Student oder ist Auszubildender, und wenn du ihm nach 30 oder 40 Jahren die Urkunde für 30- oder 40jährige Mitgliedschaft überreichst, ist er in der Kartei immer noch als Student oder Auszubildender registriert.« Hat sich die NRW-SPD etwa unbemerkt zu einem Zusammenschluss von Bummelstudenten und Langzeit-Azubis entwickelt? Nein, die Verwaltung der Mitglieder sei einfach schlecht, meint Samland. Die SPD leiste sich »einen Umgang mit denen, die bei uns Mitglieder sind, wie es ein Unternehmen, das diese Menschen als Kunden betrachten würde, nie tun würde«. Und dann werden die schlecht verwalteten Mitglieder auch noch immer älter. »Uns ist es nicht gelungen, die Überalterung innerhalb der Partei in den letzten Jahren aufzufangen und sicherzustellen, dass durch viele neue junge Mitglieder eine Balance zwischen den unterschiedlichen Generationen in der Partei gehalten wird«, so Samland.

»Wir verlieren Mitglieder, wir aktivieren nicht mehr genug Mitglieder, wir machen nicht Kampagnen in dem Umfang, wie es erforderlich wäre, und wir haben auch ein Stück Bürokratie und Doppelarbeit innerhalb der Partei«, konstatiert Müntefering. Düstere Aussichten für die einst erfolgsverwöhnten Rhein-Ruhr-Genossen. Nur gut, dass das erste Reformwerk vollbracht ist. Denn mit der SPD-Card gibt's auch Lebensversicherungen billiger.


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