08.06.2000



Erfolg! Neue grüne Welt

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taz

*   Erfolg! Neue grüne Welt
Von Pascal Beucker

Bärbel Höhn darf sich künftig dem "Eine-Welt-Bereich" widmen. Für Raumordnung sorgt Wolfgang Clement.

Die Grünen haben sich in den Verhandlungen mit der SPD um die Fortsetzung der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen durchgesetzt! Sie dürfen in der Regierung bleiben. Das konnten die grünen Unterhändler in einem zwölfstündigen Verhandlungsmarathon bis zum Morgen des gestrigen Tages dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement abringen - einer von zwei größeren Erfolgen der Grünen bei den Koalitionsverhandlungen in Düsseldorf. Der andere: Bärbel Höhn darf Umweltministerin bleiben.

Dafür wurde sie kräftig gerupft: Der Bereich Raumordnung und Landesplanung fällt nicht mehr in ihre Zuständigkeit. Bislang ging kein großes Infrastrukturprojekt am Höhn-Ministerium vorbei. In den vergangenen fünf Jahren nutzte die Grüne immer wieder ihre Planungshoheit zugunsten des Umweltschutzes - und nervte damit die Beton-Sozialdemokraten im Kabinett. Immer wieder hatte Clement denn auch seit der Landtagswahl am 14. Mai betont, Blockaden müssten beseitigt werden. Und hatte keine Gelegenheit ausgelassen, deutlich zu machen, wen er damit meinte: Höhn. Noch am Tag vor der Einigung konnte er es sich nicht verkneifen, auf die Frage, ob es in Zukunft ein Medienministerium in Nordrhein-Westfalen geben werde, zu antworten: "Da muss ich erst Frau Höhn fragen." Damit ist nun Schluss.

Mit Genugtuung beobachtete Clement, wie die von ihm ungeliebte Höhn gestern bei der Präsentation der rot-grünen Einigung versuchte, Haltung zu wahren. "Ich fühle mich eher gestärkt", bekundete die Grüne. Schließlich habe sie "Kompensationen" erhalten: den Verbraucherschutz, den Bereich "Umwelt und Gesundheit" und - ganz wichtig - den "Eine-Welt-Bereich". "Ein Querschnittsbereich geht in die Staatskanzlei, ein Querschnittsbereich kommt von der Staatskanzlei ins Umweltministerium", rechnete Höhn schön. Sie "kehre da gewissermaßen zu den Wurzeln der Grünen zurück", denn hier gehe es besonders um das grüne Herzensanliegen der Nachhaltigkeit. Zudem erhält Bauminister Michael Vesper die Bereiche Stadtentwicklung, Kultur und Sport. "Sie sehen schon an der Aufzählung, dass wir von grüner Seite sehr zufrieden sein können mit der Struktur des Kabinetts und der Repräsentanz der Grünen in diesem Kabinett", sagte Höhn. Der ausgehandelte Koalitionsvertrag sei "inhaltlich sehr gut".

Was für eine These! In allen zentralen Konfliktfeldern hat sich die SPD gegen den kleinen Koalitionspartner durchgesetzt. So werden die Autobahnen des Landes in den nächsten Jahren ebenso eine Ausbauoffensive erleben wie die Flughäfen. Von Kernruhezeiten und einem Nachtflugverbot am Köln/Bonner Flughafen wird im Koalitionsvertrag keine Rede mehr sein. Stattdessen vereinbarten die beiden Parteien die unverbindliche Zielsetzung, zu mehr Lärmschutz durch freiwillige Vereinbarungen zu kommen. "Ich freue mich auf die neu begründete Zusammenarbeit", bemerkte denn auch Wolfgang Clement.

Falsch wäre allerdings die Annahme, die nordrhein-westfälischen Grünen hätten sich gänzlich dem sozialdemokratischen Diktat unterworfen. Der Koalitionsvertrag, der am kommenden Dienstag paraphiert werden soll, ist zwar kein Produkt der von den Grünen immer wieder geforderten Verhandlungen auf "gleicher Augenhöhe", entspricht jedoch den realen Kräfteverhältnissen zwischen einer 42,8- und einer 7,1-Prozent-Partei. Immerhin konnten die Grünen ein 2 Milliarden Mark schweres Modernisierungsprogramm für neue Bahnstrecken sowie verdichtete Taktzeiten durchsetzen. Außerdem sollen erneuerbare Energien verstärkt gefördert werden. Ebenso konnten die Grünen starke Akzente in der Bildungspolitik und der Frage der Erweiterung von Bürgerbeteiligung durchsetzen. Im Bereich der Flüchtlingspolitik erreichte die Partei, dass die Kompetenzen der Härtefallkommission, die für von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge vielfach die letzte Hoffnung darstellt, ausgeweitet werden. Das sozialdemokratisch geführte Innenministerium hatte die Kommission auflösen wollen. Auch Flüchtlingsberatung und -versorgung sollen ausgebaut werden.

Ob das jedoch reicht, um auf dem Grünen-Parteitag in eineinhalb Wochen in Bonn eine Mehrheit für die Fortsetzung der Koalition zu erreichen, wird sich zeigen. Bis dahin wollen die grünen Spitzenpolitiker durch die Kreisverbände tingeln, um für den Koalitionsvertrag zu werben. Da werden sie einiges zu tun haben.


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