19.06.2000



KOMMENTAR: Strategische Falle

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*   Strategische Falle
Kommentar von Pascal Beucker

Die Grünen müssen wieder lernen, in Alternativen zu denken.

Nordrhein-Westfalens Grüne haben dem rot-grünen Koalitionsvertrag zugestimmt - schweren Herzens, aber mit einer Mehrheit, die stabiler ist, als es die bloße Zahl 57 Prozent ausdrückt. Und es blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig. Denn nicht nur in NRW sitzen die Grünen in einer strategischen Falle. Die Fixierung auf Rot-Grün war der Preis des "historischen Kompromisses" zwischen Realos und "konstruktiven" Linken Anfang der Neunzigerjahre - im Bund zwischen Fischer und Trittin, in NRW zwischen Vesper und Höhn. Während die einen auf schwarz-grüne Gedankenspiele verzichteten, gelobten die anderen die Abkehr vom grünen "Fundamentalismus". Beide grüne Mehrheitsströmungen lieferten ihre Partei so auf Gedeih und Verderb der SPD aus.

Damit verloren die Alternativen ihre Fähigkeit, in Alternativen zu denken. Die Grünen wurden vom Hoffnungsträger gesellschaftlicher Veränderung zur Funktionspartei für die SPD. "Wer Rot-Grün will, muss Grün wählen", trommelten sie noch im NRW-Landtagswahlkampf unablässig - obwohl ihnen doch bewusst sein musste, dass Clement von einer Autobahn- und Flughafenausbauwut besessen ist, die fatal an die längst überwunden geglaubte Beton-Ära Helmut Schmidts erinnert, gegen die die Grünen sich einst gründeten.

Die Grünen werden ihre Handlungsfähigkeit nur zurückgewinnen, wenn sie endlich den Ausbruch aus dem SPD-Gefängnis wagen. Als bei Bedarf zu aktivierender Mehrheitsbeschaffer für sozialdemokratische Ministerpräsidenten und Bundeskanzler haben sie keine Perspektive - schon gar nicht im Konkurrenzkampf mit der FDP. Das erfordert allerdings einen Lernprozess, der Zeit braucht.

Selbstbewusstes Denken und Handeln kann nicht per Beschluss verordnet werden - deswegen gab es für die NRW-Grünen am Wochenende keine Wahl. Immerhin: Die Zustimmung zur Koalitionsfortsetzung wird Bärbel Höhn ermöglichen, Zeit zu finden. Der grünen Umweltministerin ist zu wünschen, dass sie die nutzt, um sich mit der Vorstellung anzufreunden, demnächst eine gute und für die Grünen wertvolle Oppositionsführerin zu sein. Das könnte Höhn schneller passieren, als ihr heute noch lieb ist.


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