03.08.2000



Interview mit Mehmet Sabri Erbakan

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*   "Wir liefern die moralische Basis"
Von Pascal Beucker und Eberhard Seidel

das taz-gespräch

MEHMET SABRI ERBAKAN ÜBER VERFASSUNGSFEINDLICHKEIT, GLEICHBERECHTIGUNG UND HOMOSEXUALITÄT

In den letzten Monaten hat die taz gegenüber der Islamischen Religionsgemeinschaft Milli Görüs schwere Vorwürfe erhoben: Sie lüge im Namen Allahs, täusche die Öffentlichkeit und schüchterne kritische Journalisten ein. Heute nimmt der Generalsekretär von Milli Görüs im taz-Gespräch Stellung.

Herr Erbakan, wir möchten heute mit Ihnen nicht über das Kopftuch diskutieren, einverstanden?

Mehmet Sabri Erbakan: Das sollten Sie auch mit einer Frau tun, die ein Kopftuch trägt, und nicht mit mir.

Wir kommen von einer kleinen Zeitung, die stets nach neuen Lesern sucht. In Ihre Einrichtungen strömen die Menschen. Was machen wir falsch?

Mehmet Sabri Erbakan: Oh, wir sind in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig, ich glaube nicht, dass wir so wahnsinnig viel voneinander lernen können. In der Vermittlung gibt es vielleicht Parallelen.

Die taz setzt sich traditionell für diskriminierte Minderheiten ein. Was sagen Sie einem jungen Muslim, der zu Ihnen kommt und fragt: Ich liebe einen Mann, was soll ich tun?

Mehmet Sabri Erbakan: Wir sind noch nie mit diesem Thema konfrontiert worden, das wäre ein Novum und wir müssten erst einmal sehen und unsere Theologen befragen.

Was würden Sie dann wohl sehen?

Mehmet Sabri Erbakan: Ich habe dazu eine Meinung, aber nicht als religiöse Organisation.

Lassen Sie uns persönlich werden.

Mehmet Sabri Erbakan: Ich glaube nicht, dass Homosexualität mit den Lehren des Islam vereinbar ist.

Wir meinen, Mann und Frau sind gleichberechtigt, Milli Görüs dagegen sagt, sie seien gleichwertig. Was ist der Unterschied?

Mehmet Sabri Erbakan: Die Rechte der beiden Geschlechter sollten auf ihre jeweiligen Lebenssituationen zugeschnitten sein und die ist bei einer allein stehenden Frau oder einer Mutter anders als bei einem Mann.

Gleichberechtigung ist mit handfesten Rechten verbunden. Stellen Sie die in Zweifel?

Mehmet Sabri Erbakan: Was den ganzen Regelungsbereich im Gesetzbuch betrifft, würde ich auch für die Gleichberechtigung plädieren. Dennoch sollten wir die Gleichwertigkeit nicht nur an Rechten festmachen.

Geht es Ihnen nicht vielmehr um die Betonung der biologischen Differenz von Mann und Frau?

Mehmet Sabri Erbakan: Viele Frauen, unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis, sind doch der Auffassung, dass die Stellung der Frau zwischen Karriere, ihrem Dasein als Mutter und ihrer Rolle in der Familie gesellschaftlich noch nicht zufrieden stellend gelöst ist. Nach unserer Auffassung sollten Frauen durchaus einen Beruf erlernen und ausüben, aber sie sollten ihn nicht ausüben müssen, um die Familie zu ernähren.

Im Gegensatz zu Milli Görüs gibt es bei der taz keine Geschäftsgeheimnisse: Wir haben rund 150 feste Mitarbeiter, eine Auflage von knapp 60.000 und einen Jahresumsatz von zirka 35 Millionen Mark. Und bei Ihnen?

Mehmet Sabri Erbakan: Wir haben hier in der Kölner Zentrale im Schnitt so 60 Angestellte. In den Gemeinden kommen dann noch 1.000 bis 1.200 Mitarbeiter hinzu. Unser Jahresumsatz bewegt sich zwischen 400 und 450 Millionen Mark.

Niemand weiß, welche Organisationen Mitglied bei der IGMG sind. Nach unseren Informationen sollen ihr weltweit rund 2.000 Vereine angegliedert sein. Könnten Sie uns nicht ein Verzeichnis der Mitgliedsorganisationen mitgeben, damit Klarheit herrscht?

Mehmet Sabri Erbakan: Ein solches Verzeichnis haben wir sicher nicht. Ich habe noch nie ein gedrucktes Verzeichnis gesehen. Aber wir haben ein Organisationsbüro, wo einigermaßen Buch geführt wird.

Aber Sie werden hier in der Zentrale doch einen Überblick haben?

Mehmet Sabri Erbakan: Ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass wir jeden einzelnen Mitgliedsverein erfasst haben.

Aber das, was Sie haben, könnten Sie uns zur Verfügung stellen?

Mehmet Sabri Erbakan: Ja.

Wann?

Mehmet Sabri Erbakan: Im September, Oktober.

Altlinke Kader wie Außenminister Joschka Fischer haben sich mit dem Studium von Marx und anderen Klassikern der Gesellschaftskritik auf größere Aufgaben vorbereitet. Wie wurden Sie durch ihren Onkel, den ehemaligen Ministerpräsidenten der Türkei und Islamistenführer Necmettin Erbakan, auf Ihre Aufgabe als Kader der islamistischen Sache vorbereitet?

Mehmet Sabri Erbakan: Von ihm bin ich gar nicht vorbereitet worden, da wir kaum gemeinsame Zeit miteinander verbracht haben. Ich wurde 1967 in Köln geboren und lebe seitdem hier und er in der Türkei.

Es gibt Telefone und Flugzeuge ...

Mehmet Sabri Erbakan: Pädagogik durch Jet-Set funktioniert nicht. Aber die Frage ist interessant, weil hinter ihr die Annahme steckt, dass jemand wie Necmettin Erbakan, der in der Türkei sozialisiert wurde, jemanden wie mich, der in einer sich so schnell wandelnden pluralistischen Gesellschaft wie der deutschen arbeitet, anleiten könnte.

Wer hat bei Milli Görüs die Hosen an? Der alte Necmettin oder der junge Mehmet?

Mehmet Sabri Erbakan: Weder noch. Bei Milli Görüs sind die Bedürfnisse und Meinungen der Mitglieder und Menschen und der Gemeindevorstände maßgebend.

Aber in Ihrer Verbandszeitung Milli Gazete wird Ihr Onkel nach wie vor als der Führer von Milli Görüs bezeichnet.

Mehmet Sabri Erbakan: Wir müssen unterscheiden zwischen der Milli Görüs als Organisation und Milli Görüs als Bewegung. Als Letzteres wird Milli Görüs in der Literatur als ein Ideal gehandhabt, vergleichbar der Sozialdemokratie und ihrem Verhältnis zu Willy Brandt. Necmettin Erbakan wird als Urheber dieser Idee bezeichnet, das ist aber nicht gleichzusetzen mit dem Vorsitz in der IGMG.

Ihre letzte Jahreshauptversammlung im Juni in Köln war keine Literatur, sondern eine politische Demonstration. Auch dort wurde Necmettin Erbakan als Führer gefeiert.

Mehmet Sabri Erbakan: Natürlich ist er Führer dieser geistigen Bewegung.

Sie behaupten, ohne Milli Görüs sähe es in Köln-Nippes und in Berlin-Kreuzberg viel unruhiger aus. Wie kommen Sie darauf?

Mehmet Sabri Erbakan: Unsere Gemeinden haben den heranwachsenden türkischen Jugendlichen über viele Jahre hinweg eine moralische Basis und Werte vermittelt, die dazu führen, dass sie weniger delinquent sind. Die Straffälligkeit von Jugendlichen, die einen Korankurs durchlaufen haben, liegt deutlich niedriger als bei anderen. Das ist ein erheblicher Beitrag, der von keiner Seite honoriert wird.

Ihre Arbeit wird honoriert. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Ursula Heinen betont, dass die Familienwerte von Milli Görüs und der CDU recht nahe beieinander liegen. Auch die Ausländerbeauftragte in Berlin, Barbara John, und der Kölner Bürgermeister Fritz Schramma schätzen Ihre Arbeit.

Mehmet Sabri Erbakan: Das sind erste Anzeichen, dass unsere Arbeit doch honoriert werden könnte.

Kommen wir zu einem unerfreulichen Thema, dem Verfassungsschutz ...

Mehmet Sabri Erbakan: ... ist das für Sie ein unangenehmes Thema?

Als Linke haben wir gelernt, mit dieser überflüssigen Einrichtung zu leben. Aber Sie beschweren sich seit Jahren darüber, dass Sie von ihr beobachtet werden. Warum gehen Sie nicht gerichtlich dagegen vor?

Mehmet Sabri Erbakan: Sie können dem Bundesamt für Verfassungsschutz die Einstufung als verfassungsfeindlich nicht untersagen, weil gesagt wird: Selbst wenn die Bewertung aktuell nicht zutrifft, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine solche Bewertung in Zukunft zutreffen könnte. Das ist die juristische Spitzfindigkeit. Darum gehen wir dagegen weniger rechtlich, sondern politisch vor. Wir weisen die Herrschaften darauf hin, dass kaum etwas Substanzielles in ihren Berichten steht und dass sie von falschen Bewertungen ausgehen. Zum Beispiel von solchen Dümmlichkeiten: Milli Görüs sei als extremistische Organisation einzustufen, weil sie die laizistische Staatsordnung in der Türkei abschaffen möchte. Wenn man das Grundgesetz ernst nimmt und sich die Praxis der laizistischen Ordnung in der Türkei anschaut, dann kann man nur gegen eine solche Praxis sein.

Milli Görüs behauptet, die Deutschen pflegten das Feindbild Islam. Ist Bundespräsident Rau islamfeindlich?

Mehmet Sabri Erbakan: Nein.

Bundeskanzler Schröder?

Mehmet Sabri Erbakan: Ist mir nicht bekannt.

Die Bundesregierung?

Mehmet Sabri Erbakan: In einigen ihrer Aktionen.

Welchen?

Mehmet Sabri Erbakan: Bundesinnenminister Otto Schily in seiner Eigenschaft als Herausgeber des Verfassungsschutzberichtes.

Die SPD?

Mehmet Sabri Erbakan: Nein.

Die CDU?

Mehmet Sabri Erbakan: An diesem Punkt ist die CDU viel auffälliger als andere Parteien.

Die Grünen?

Mehmet Sabri Erbakan: Nein.

Die Berichterstattung der taz?

Mehmet Sabri Erbakan: In einigen Absätzen.

Welchen?

Mehmet Sabri Erbakan: Die streiche ich Ihnen noch raus.

Wir danken für den Hinweis.


hintergrund

Milli Görüs und die taz-Debatte

Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) gibt es unter diesem Namen seit dem Juni 1995. Sie ist die direkte Nachfolgeorganisation von "Milli Görüs" (Nationale Weltsicht), die in Deutschland bereits 1976 auf Veranlassung des türkischen Islamistenführers Necmettin Erbakan gegründet wurde. Obgleich die IGMG für sich beansprucht, eine demokratische Organisation zu sein, legte sie bis heute ihre Verbandsstruktur nicht offen. Warum diese Zurückhaltung? Dieser Frage und möglichen Motiven ging die taz in den letzten Monaten nach. Bislang sind zu dem Thema folgende Artikel erschienen: Eberhard Seidel: "Lügen im Namen Gottes" (21. 2.), "Der Flirt mit den Islamisten" (6. 5.), Thomas Hartmann: "Beschwerter Dialog" (29. 5.), Ursula Spuler-Stegemann: "Wider die Blauäugigkeit" (8. 6.), Micha Brumlik: "Wehrhaftes Missverständnis" (17. 6.) und Ozan Ceyhun: "Die Reinheit des Vertrauens"(10. 7.).


Mehmet Sabri Erbakanidentität

Name: ERBAKAN

Vornamen: MEHMET SABRI

Geburtstag und -ort: 1. 2. 67 in KÖLN

Beruf: INTERNIST und seit April 96 GENERALSEKRETÄR VON MILLI GÖRÜS

Besondere Interessen: "UMGANG MIT MENSCHEN"


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