02.11.2000



Aufruf zur Unanständigkeit

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taz

*   KOMMENTAR: Aufruf zur Unanständigkeit
Von Pascal Beucker

Nachdem ihnen der "Aufstand der Anständigen" in den vergangenen Wochen, so arg zugesetzt hat, hatten die Neonazis mal wieder allen Grund zur Freude: Seit Dienstag hat Deutschland einen unerwünschten Ausländer weniger. Und sie brauchten sich noch nicht einmal selber die Hände schmutzig machen. Hüseyin Calhan wurde ganz "rechtstaatlich" vom Düsseldorfer Flughafen in die Türkei abgeschoben. Weder die Bitten des Aachener Bischoffs noch der Protest von Literaturnobelpreisträger Günter Grass, weder der einstimmige (!) Appell des Aachener Stadtrates noch der "Offene Brief" von NRW-Bundestagsabgeordneten an Ministerpräsident Wolfgang Clement bewahrten den Kurden davor, einem Land ausgeliefert zu werden, in dem ihm Folter und Tod drohen.

Wie hatte sich doch Clement am Samstag auf der großen Düsseldorfer Kundgebung gegen rechts ins Zeug gelegt: Aufs Schärfste geißelte der Sozialdemokrat den Rechtsextremismus und rief zu Zivilcourage auf - leere Worte eines unglaubwürdigen Politikers. Denn wer glaubwürdig gegen Rechtsextremismus eintreten will, der darf nicht in die Folter abschieben. Wie hieß es noch in dem Aufruf der Demonstranten, die vor dem Bürener Abschiebegefängnis in der Nacht zum Dienstag vergeblich versuchten, die Abschiebung Calhans zu verhindern? "Wer den ,Aufstand der Anständigen' für sich in Anspruch nimmt, muss zuerst die Opfer der eigenen Politik in den Blick nehmen." Recht haben sie.

Was ich am 9. November machen werde? Nein, ich werde nicht nach Berlin fahren, um zusammen mit Clement, seinem Abschiebeminister Fritz Behrens, mit Otto Schily oder gar Friedrich Merz "für ein menschliches, weltoffenes und tolerantes Deutschland" zu demonstrieren, wie es wohlfeil in dem Demonstrationsaufruf heißt. Ich werde an diesem Tag an den Aachener Friedenspreisträger Hüseyin Calhan denken - und daran, dass nicht nur braune Skinheads und die NPD den immer noch lebendigen deutschen Ungeist repräsentieren.

Schluss mit diesem "Aufstand der Anständigen"! Halten wir es lieber mit einem Kölner, dem das "gesunde deutsche Volksempfinden" immer zutiefst suspekt war. Der hat einmal bekundet, er wolle es nicht versäumen, sich zur Unanständigkeit zu bekennen. Das war Heinrich Bölls Antwort auf die Einteilung in "anständige" und "unanständige" Deutsche durch den damaligen CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler. Böll fügte seinerzeit noch hinzu: "Ich bin nicht nur unanständig, ich bin ganz extrem unanständig." Er wusste, wovon er sprach. Der Schriftsteller ist sein Leben lang für Verfolgte und für Flüchtlinge, für Menschen in Not eingetreten. Das unterscheidet ihn von den sogenannten "Anständigen" in diesem, unserem Land.


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