17.04.1996
 

Eine rechte Hand wäscht die andere
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junge Welt

*  Eine rechte Hand wäscht die andere
Von Pascal Beucker und Anja Krüger

Vergangenheitsbewältigung unter Professoren.

"Väter mit schwachen Selbstgefühl neigen dazu, sich Illusionen über ihre Söhne zu machen. Das ist es, was in Deutschland bis heute verklärende Mythen über die Studentenbewegung in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre verbreitet sein läßt." - Die Studentenbewegung Ende der 60er Jahre mag der inzwischen emeritierte Philosophieprofessor Hermann Lübbe bis heute nicht. Besonders deren Antifaschismus empfindet der zur damaligen Zeit als SPD-Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen tätige Mitbegründer des reaktionären "Bundes Freiheit der Wissenschaft" schier unerträglich: "Er vollzieht auf seine Weise die Delegitimierung der Gründungs- und Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland durch Unterstellung unzureichender Ernsthaftigkeit im Willen zur Abkehr vom nationalsozialistischen Unrechtssystem mit." Es hätte sich hierbei um nicht mehr "als ein wiederbelebtes ideologisches Konstrukt totalitären, nämlich frühstalinistischen Ursprungs" gehandelt. Um Aufklärung persönlicher Verstrickungen des professoralen Personals an den Unis sei es nicht gegangen. Das wäre ja schon erledigt gewesen, denn "in der akademischen Öffentlichkeit einschließlich ihres studentischen Anteils pflegte man doch zu wissen, wer unter den älteren Professoren der nationalsozialistischen Bewegung verbunden gewesen war".

Man wußte es, aber es tat den entsprechenden akademischen Karrieren keinen Abbruch. Nahezu bruchlos ging die nationalsozialistische Wissenschaftselite in den akademischen Betrieb der Bundesrepublik ein - mitsamt der während des Faschismus mit Hilfe von Menschenversuchen "gewonnenen" Erkenntnisse und "hergestellten" Präparate.

Daß eine Beteiligung an den Verbrechen oder Mitgliedschaft in faschistischen Organisationen kein Karrierehindernis in der Bundesrepublik sein würde, konnte der SS-Offizier Hans-Ernst Schneider 1945 noch nicht wissen. Er wollte auf Nummer sicher gehen und besorgte sich eine neue Identität, heiratete seine Frau nochmals, adoptierte seine Tochter - und aus dem Germanen wurde ein Germanist: der renommierte, als links-liberal geltende Literaturprofessor Hans Schwerte.

Schwerte, der es bis zum Rektor der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen und zum Bundesverdienstkreuz 1. Klasse brachte, hat als Hans-Ernst Schneider eine beachtliche SS-Karriere vorzuweisen. Vom SS-Offizier zum SS-Hauptsturmführer, später SS-Abteilungsleiter in Berlin, gehörte er 1940 zum persönlichen Stab Heinrich Himmlers. Zur gleichen Zeit wie Klaus Barbie arbeitete er im berüchtigten Sicherheitsdienst (SD) in Den Haag und war für die SS-Institution "Ahnenerbe" zuständig. In niederländischen Universitäten requirierte er medizinische Apparate für Menschenversuche und vielhundertfache Morde der "Ahnenerbe"-Abteilung in Dachau.

Vor einem Jahr wurde aus Schwerte wieder Schneider. Zwei niederländische Journalisten vom Fernsehsender "Nederland 1" hatten nachgeforscht, was aus dem als verschollen geltenden SS-Schneider geworden ist und kamen auf die Spur des inzwischen emeritierten Schwerte. Für die Honoratioren der RWTH Aachen, an die Schwerte 1965 berufen wurde, eine peinliche Angelegenheit. Denn um nichts fürchtet sich eine deutsche Hochschule mehr als um ihren guten Ruf. Man gab sich empört und ahnungslos, versuchte sich dumm zu stellen - obwohl ein größerer Kreis lange vorher Bescheid gewußt haben mußte. Nur zwei Germanistikprofessoren bekannten, über die echte Identität Schwertes bereits seit einigen Jahren informiert zu sein. Sie hatten, wie sich das unter Kollegen gehört, natürlich darüber geschwiegen.

Um Schadensbegrenzung bemüht, wurde im vergangenen Wintersemester eine Ringvorlesung zum Thema "Wissenschaft und Nationalsozialismus" abgehalten, die in diesem Semester als "Von der Diktatur zur Demokratie" weitergeführt wird. Die Fortsetzung soll eröffnet werden, von jemanden, der für das Thema prädestiniert ist: Hermann Lübbe. Die Texte des 69jährigen, der dem von Stahl-Flügel in der FDP nahesteht, werden inzwischen in der Jungen Freiheit vorabgedruckt und finden Eingang in das Jahrbuch des österreichischen "Freiheitlichen Bildungswerks" Jörg Haiders.

Anfang April protestierte die Fachschaft Philosopie der RWTH Aachen gegen die Einladung Lübbes: "Wir müssen Sie also noch einmal darauf hinweisen, daß Hochschulen kein Forum für geistige BrandstifterInnen sein dürfen. Daran schließt sich einmal mehr die Aufforderung, diese Veranstaltung abzusagen, an". Die RWTH Aachen wird der Aufforderung sicherlich nicht folgen, schließlich war diese Einladung kein Versehen. Lübbe, so der die Ringvorlesung organisierende Politikprofessor Helmut König, vertrete eine "herausragende und strukturbildende Position", an der nicht vorbeizukommen sei.

Vielleicht sollte sich die Fachschaft ihre Forderung nochmals überlegen. Denn Hermann Lübbe wird sicherlich bei seinem Aufritt in am 24. April sicherlich eindrucksvoll schildern, wie das mit dem von ihm vertretenen "kommunikativen Beschweigen" individueller Nazi-Vergangenheiten in der Praxis funktionierte. Lübbes akademische Karriere nahm Mitte der 50er Jahre an der Uni Erlangen ihren Anfang. Zur gleichen Zeit lehrte dort - "Hans Schwerte".


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