14.11.1995
 

Eine Familie
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junge Welt

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Von Pascal Beucker

Bei der Konrad-Adenauer-Stiftung versammelte sich in Wesseling bei Köln die bundesdeutsche Rechte von Hans-Helmuth Knütter bis Bärbel Bohley. Ein Tagungsbericht.

"Alte Linke und Neue Rechte - Gemeinsamkeiten und Gegensätze in der Diskussion über die Zukunft Deutschlands" - ein sonderbarer Titel unter dem die Konrad-Adenauer-Stiftung zu ihrem "Eichholzer Forum" Ende letzter Woche nach Wesseling bei Köln eingeladen hatte. Welches Interesse sollten Linke haben, mit "Neuen Rechten" über "Gemeinsamkeiten und Gegensätze" zu diskutieren?

Natürlich ein Mißverständnis. Denn auf der Tagung ging es vielmehr um einen innerrechten Selbstverständigungsprozeß. Was hat die "alte Linke" damit zu tun? Sie bietet eine Art "Vermittlungsebene": Der Haß auf die noch verbliebene Linke sollte als einigender Kitt wirken. Schließlich gäbe es immer noch einige unverbesserliche, die sich unverschämterweise nicht mit den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen abgefunden hätten, wie dem Einladungstext zu entnommen werden konnte: "Ein Teil der Linksintellektuellen zog die Konsequenzen aus den Offenbarungseiden und Niederlagen kommunistischer Utopie und dem grausamen Versagen des realen Sozialismus. Ein anderer beharrt jedoch nach wie vor darauf, daß nicht die linke Utopie, sondern lediglich ihre politische Umsetzung durch den Mißbrauch der Mächtigen gescheitert sei. Diese Anmaßung wird inzwischen vehement von einer fast das ganze politische Spektrum umfassenden Mehrheit zurückgewiesen. Dennoch versuchen Linksintellektuelle weiterhin, Druck auf die Öffentlichkeit auszuüben, indem sie darüber zu befinden versuchen, was politisch korrekt ist bzw. was wie gesagt werden darf. Dagegen wehren sich zunehmend Rechtsintellektuelle, die es nicht länger hinnehmen wollen, daß andere die politische Meinung bestimmen und ihre Meinung stigmatisiert wird. Wachgewordene intellektuelle Verteidiger des demokratischen Rechtsstaates und eine die Mitte als Herzstück der Demokratie entdeckende Linke treffen sich, um die Vernunft und den Geist demokratischer Spielregeln zu verteidigen."

Wie "das ganze politische Spektrum" nach der Vorstellung der Konrad-Adenauer-Stiftung aussieht, konnte auf dem "Eichholzer Forum" in eindrucksvoller Weise bewundert werden: Inklusive einiger Abschwörlinker reicht es vom Geißler-Flügel in der CDU bis zur Jungen Freiheit. Die "wachgewordenen intellektuellen Verteidiger des demokratischen Rechtsstaates" hatten ihre Spitzenkräfte geschickt: Rainer Zitelmann kam als eingeladener Referent, Klaus Reiner Röhl als Teilnehmer und Ulrich Schacht als Berichterstatter für die Welt am Sonntag. Ebenso mit von der Partie, um nur zwei der etwas bekannteren zu nennen: der notorische Bonner Professor Hans-Helmuth Knütter und der Junge Freiheitler Gunnar Sohn. Es ist kaum beschreibbar, was für ein schmerzensgeldberechtigendes Erlebnis es ist, aufgrund der Sitzordnung immer wieder in die unmittelbare Nähe von Zitelmann & Co. verschlagen zu werden. Auch ohne Kneipe befindet man sich permanent am Stammtisch. Da wird auf unerreichbarem intellektuellen Niveau unablässig unter anderem über den "us-amerikanischen Kulturimperialismus", die schrecklichen Feministinnen, die 68er, die Redakteure der "Welt" (Schacht: "Alles Spinner") oder auch mal den "Berufsbetroffenen" (Röhl) Ralph Giordano lamentiert - und immer wieder, beinahe ritualisiert, das "linke Medienkartell" angeprangert. Nebenbei fanden sie auch noch die Zeit, ausführlichst die restlichen Anwesenden mit ihren Ansichten zu beglücken und avancierten in beeindruckender Weise schnell zu den Stars der Veranstaltung. Besonders die analytischen Fähigkeiten von Zitelmann hinterließen ihre Spuren. Wer hat denn schon vorher gewußt, daß der Planwirtschaftsgedanke massiv auf dem Vormarsch ist und sogar schon Teile der CDU erfaßt hat? Oder daß wir wieder kurz vor der roten Dikatur stehen: "Die BRD ist eine DDR-light." ? Schlimme Verhältnisse, die nur jemand erkennen kann, der weiß: "70 bis 80 Prozent der Menschen denken in vielen Fragen wie ich, zum Beispiel bei Multikulti." Da käme die Linke auf keinen grünen Ast: "Das Problem der Linken ist, daß sie ihr eigenes Volk nicht leiden können."

Gegen solchen geballten Sachverstand ist kaum ein Kraut gewachsen, wie der als Gegenpart vorgesehene Germanist an der FU Berlin, Richard Herzinger, feststellen mußte. Herzinger, dessen Herz für die "westliche Wertegemeinschaft" schlägt und der sich zu den "Prinzipien" und der "Philosophie" des "politischen Liberalismus" und der "offenen Gesellschaft westeuropäisch-amerikanischen Vorbilds" bekennt (und deswegen auch einen militärischen Einsatz in Ex-Jugoslawien propagiert ...), also der Anhängerschaft sozialistischer Ideen unverdächtig ist, arbeitete in seinem Referat zwar akribisch und engagiert den nationalistischen Wahnsinn der "Neuen Rechten" und ihre Verankerung in den Theorien der "Konservativen Revolution" in den 20er und 30er Jahren heraus - aber was solls? Der Großteil der Tagungsteilnehmer zeigte sich schlichtweg unbeeindruckt. Die linken 68er sind doch viel schlimmer und die "Neue Rechte" ist doch nur Opfer von Diffamierungen. Hans-Helmuth Knütter beklagte eindringlich die Gleichsetzung von rechts gleich rechtsextrem: "Wir leben in einer Zeit der Unruhe, zerfallender Werte", zur Bewältigung dieser "Umbruchszeit" mache die "Neue Rechte" doch nur ein paar "Diskussionsangebote".

Es ist ja auch schon eine üble Verleumdung, einen Zitelmann als Post-Nazi zu bezeichnen, er ist schließlich in der FDP und somit ein "Liberaler". Was das bedeutet? "Für mich sind die Begriffe liberal und rechts identisch." so Zitelmann. Da es wohl doch noch ein paar Menschen gibt, die das anders sehen, kündigte er eine Aufklärungskampagne an: "Den nächsten Begriff, den wir klären werden, ist 'Liberalismus'". Die FDP hat's verdient.

Trotz sicherlich vorhandener gewisser Differenzen zwischen den verschiedenen rechten Lagern, überwog letztendlich die Orientierung auf das gemeinsame Feinbild, über das kaum einer so ergreifend aufklären kann wie das ehemalige KPD- und nun Neu-FDP-Mitglied Röhl: Viele Linke hätten sich nur moderat verkleidet. Überall wirkten jedoch immer noch dunkle linke Kräfte - besonders in den Medien. Im Fernsehen und im Radio herrsche eine "links-liberale Medienmafia". Einzig "Report aus München" sei der noch verbliebene kleine Fels in der roten Brandung des "linken Mediengelees ". Bei den Printmedien sähe es auch nicht viel besser aus. Nur eins helfe gegen die linke Bedrohung: ein "antitotalitärer Konsens", der dann auch immer wieder in den unterschiedlichsten Varianten aufs heftigste beschworen wurde.

Ein zentrales Thema auf dem "Eichholzer Forum": Political corectness - ein Schrecken, der aus Amerika zu uns herübergeschwappt sei und die neue Waffe der Linken darstelle. Die ewiggestrigen Linksintellektuellen versuchten so, wie schon im Einladungstext erschreckt festgestellt wurde, "weiterhin, Druck auf die Öffentlichkeit auszuüben, indem sie darüber zu befinden versuchen, was politisch korrekt ist bzw. was wie gesagt werden darf." Dagegen muß Widerstand geleistet werden. Hinter "PC" verberge sich eine "intellektuelle Apartheid", wie der "Tagesspiegel"-Redakteur Robert von Rimscha und der "Deutsche Welle"-Mitarbeiter Michael Behrens völlig schlüssig in ihrem im Sommer erschienenen Buch "'Politische Korrektheit' in Deutschland. Eine Gefahr für die Demokratie" nachweisen und auf dem "Eichholzer Forum" nochmals eindrucksvoll untermauerten. Die Linken benützten "PC" als "Fortsetzung dessen, was die BRD hätte werden sollen". Dagegen müsse Widerstand geleistet werden.

Dabei hat man als Normalsterblicher gar keine Vorstellung, wohinter sich alles "PC" verbirgt. Von Rimscha benannte beispielsweise "verkehrsberuhigte Zonen" und Frauenquoten. "Bei uns werden die meisten Fragen hysterisch und 'politisch korrekt' diskutiert.", klagte Zitelmann. Verbreitung findet diese neue Form des Totalitarismus durch die "PC-Leute, die die Medien beherrschen", wie Raus Kleiner Röhls sekundierte, der in seinen Blättchen nie Schwierigkeiten hatte, die Frauenquote eindeutig überzuerfüllen.

Von Rimscha und Behrens legten ihre Finger noch in eine andere klaffende Wunde. Passend zum 9. November erläuterten sie, daß der Wahn der "Politischen Korrektheit" - wie das ja in ordentlichem Deutsch heißt - in den USA, seine Entsprechung in der vorherrschenden "Historischen Korrektheit" in der BRD fände. Exemplarisch nachzuvollziehen sei dies an der 8. Mai-Diskussion um "befreit" versus "besiegt" und an der Aufregung um den Spiegel-Titel zum Grass-Buch - sofort würde die Antifaschismuskeule geschwungen. Röhl ergänzte, die Kampagnen gegen Jenninger und Heitmann seien taugliche Beispiele.

Wenn es um deutsche Opfer geht, darf eine Gruppe natürlich nicht fehlen: die Ex-DDR-"BürgerrechtlerInnen", in Wesseling hervorragend vertreten durch Bärbel Bohley, Annedore Katja Havemann und Hans Schwenke. Für Frau Bohley muß das "Eichholzer Forum" ein innerer Reichsparteitag gewesen sein: Endlich mal wieder ein Auditorium, das ihr zuhört und das sie versteht. Und es mußte lange zugehört werden, schließlich hielt sie einen "Festvortrag" mit dem Thema: "Intellektuelles Engagement nach der deutschen Einheit - Von der Utopie zu einem neuen Pragmatismus". Was das sein soll? "Wir versuchen mit allen zu reden." erläuterte Bohley ihren Ansatz. In diesem Sinne sei "der Besuch des Bundeskanzlers ein kleiner Schritt in die richtige Richtung gewesen." "Toleranz" und eine "kreative Konfliktkultur" wären in der heutigen Zeit angesagt.

Weniger Toleranz zeigte sie gegenüber der für sie unerträglichen DDR-Nostalgie. Denn es gäbe rein gar nichts erhaltenswertes, was sie eindrucksvoll durch das Aufgreifen eines Publikumszurufs illustrierte: "Alles wie Hitlers Autobahn!" Ein weiteres Problem auf dem Weg zur "kreativen Konfliktkultur": Die alten Seilschaften, die immer noch in allen gesellschaftlichen Bereichen in den fünf neuen Ländern ihr Unwesen trieben. Der notwendige "Elitenwechsel" hätte nicht stattgefunden. Da wäre zum Beispiel tatsächlich "fast kein Lehrer" aus dem Schuldienst entlassen worden, würde Gregor Gysi skandalöserweise lieber in Schulen eingeladen als Freya Klier und bei den Prozessen gegen Alt-Kader fänden die Gesetze des "Unrechtsstaates" DDR Anwendung. Während sich die alten Bonzen wieder breit gemacht hätten, würden die "BürgerrechtlerInnen" von einst diffamiert. Die ganzen ehemaligen SEDler, nicht nur die, die noch in der PDS sind, gefährdeten die junge Demokratie, denn von den einst zwei Millionen denke rund die Hälfte bis heute "immer noch autoritär". Dagegen würde nicht ausreichend vorgegangen. "Ich habe auch Angst vor Eierwerfern", legte Bohley ihr Innerstes offen. Aber dann ist sie wieder ganz die mutige Frau, als die wir sie so lieben: "Man braucht schon ein ziemlich breites Kreuz, um dem standzuhalten. Inzwischen habe ich das auch." Bodybuilding?

Doch als Bohley sich selbst zitierte: "Wir wollten Gerechtigkeit und erhielten den Rechtsstaat", erntete sie für dieses nette Bonmot Widerspruch. Ein Jurist aus dem Publikum belehrte sie, daß der Fehler bei den "BürgerrechtlerInnen" selber gelegen hätte: "Die Revolution in der ehemaligen DDR ist nicht revolutionär gegen die alten Kader vorgegangen, danach mußte man rechtsstaatlich vorgehen." Hätte man dieses elende Pack, das sich jetzt "auch noch zu Juden machen" würde, um sich als Opfer gerieren zu können, wie ein JUler empört einwarf (er nannte Gysi und Wolf als Beispiele), damals nicht einfach aufknüpfen können? Trotz dieses Versäumnisses herrschte in erster Linie bei den westdeutschen Besuchern tiefe Dankbarkeit gegenüber Bohley und Konsorten vor, denn schließlich, so Günther Rüther von der veranstaltenden Konrad-Adenauer-Stiftung, hätten die demonstrierenden Menschen in der DDR 1989 immerhin "den Deutschen die Nation wiedergegeben."

Ein Verdienst, das auch die wie Bohley vom linken Meinungsmainstream ausgegrenzten Zitelmann & Co. zu würdigen wissen. Bei ihrem unermüdlichen Kampf gegen das Böse findet Bohley aufrechtes Verständnis bei den Soldaten des "antitotalitären Konsenses", besonders in Bezug auf die PDS. So schlug Ulrich Schacht, Mitherausgeber von "Die selbstbewußte Nation", ganz pragmatisch vor, einfach die Wahlgesetzgebung zu ändern, "damit mindestens auf Bundesebene für dieses Unternehmen keine Präsenz" mehr da wäre. Es wäre die Pflicht der "wehrhaften Demokratie" gegen die PDS vorzugehen, die nur "parasitär an den Schwierigkeiten partizipieren" würde. Doch nicht allein über PDS macht man sich so seine Gedanken. Rainer Zitelmann denkt weiter, hält eine Art "Re-education" für notwendig, um den Ex-DDR-BürgerInnen endlich ihre "egalitären Vorstellungen" auszutreiben. Da wächst zusammen, was zusammengehört.

Ach, fast wäre er vergessen worden. Zur Belustigung hatte man sich natürlich auch noch jemanden eingeladen: den links-liberalen Habermas-Schüler Hauke Brunkhorst. Er durfte den linken Clown spielen und gleich zu Beginn über "Das 'Amt' des Intellektuellen in der Demokratie" dozieren. Beeindruckend wie der gutgläubige Professor die rechte Zusammenrottung mit der Belegschaft eines Hauptseminars an der Frankfurter Uni verwechselte. Intellektuelle Schöngeisterei par excellence: Er referiert Platon, stellt nebenbei fest, daß Georg Lukacs "ein schlechter Platoniker" war, "wenn er gelegentlich Churchill abwandelte: 'Wright or wrong, my Party.'", zitiert mal Heidegger, mal Rorty, mal Focault, aber am ausführlichsten Sartre, denn der sei "vielleicht der wichtigste Theoretiker und Propagandist des modernen Intellektuellen". Die Versammelten zeigten sich beeindruckt und ließen es sogar über sich ergehen, als Brunkhorst den "Utopismus von Bloch oder Marcuse" positiv hervorhob und davon schwafelte, daß die Demokratie "der weit über das Bestehende hinausschießenden, utopischen Energien" bedürfe. Warum auch nicht, schließlich ersetzte er das fehlende Kulturprogramm. Hoch die Tassen.

Ja, sie haben sich gut verstanden: der sich zum Geißler/Süsmuth-Flügel zählende CDU-Landtagsabgeordnete und der radikale Lebensschützer, die RCDSlerin und der Junge Freiheit-Mitarbeiter, die DDR-Bürgerrechtlerin und der rechtsradikale Professor. Auch wenn es dem einen oder anderen vom Hauch der Aufklärung gestreiften CDUler doch manchmal etwas mulmig wurde - es ist doch irgendwie eine Familie.


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