13.12.1996
 

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Von Pascal Beucker

Vor 15 Jahren wurde der SPD-Linke Karl-Heinz Hansen aus der Partei ausgeschlossen. Heute fragt er sich, ob seine Kritik scharf genug war.

Was er heute macht? "Ich lese viel, ich schreibe das eine oder andere". Außerdem sitze er "seit Jahren an einem Buch über Bismarcks berüchtigtsten Spion, Dr. Wilhelm Stieber" - mit dem hatten sich schon Marx und Engels beschäftigt, beschäftigen müssen. "Aber die Aktenlage ist dünn." Bis zur Fertigstellung kann es also noch einige Zeit dauern. Nein, politisch intervenieren würde er "eigentlich nicht" mehr: "Ich wünschte mir irgendeinen Ansatz, der mich reizen könnte. Aber ich bin skeptisch. Zur Zeit sehe ich da nichts". Es ist still geworden um Karl-Heinz Hansen.

Vor fünfzehn Jahren sah das anders aus. Damals beherrschte Karl-Heinz Hansen die Schlagzeilen der bundesdeutschen Presse - damals, am 13. Dezember 1981, wurde der Bundestagsabgeordnete Hansen aus der SPD ausgeschlossen. Damit endete eine Parteikarriere, die so gar nicht der sozialdemokratischen Norm entsprach. Denn Hansen blieb auch im Bundestag, in den er 1969 erstmalig als Düsseldorfer Kandidat über die nordrhein-westfälische SPD-Landesliste gewählt wurde, was er vorher gewesen war: ein Linker - ein, wie er bis heute von sich sagt: "demokratischer Sozialist". Der Begriff, merkt Hansen an, sei "natürlich eine Tautologie", denn schließlich "ist das eine ohne das andere nicht denkbar".

Daß er sich bei regierenden Sozialdemokraten unbeliebt machen mußte, ist konsequent. Denn Hansen stimmte unter Mißachtung der Fraktionsdisziplin gegen alles, was seinen Überzeugungen widersprach - das war schon unter der Regierung Brandt nicht wenig gewesen. Unter Schmidt blieb dann kaum etwas, dem er noch hätte zustimmen können. Ob Vermögenssteuergesetz zugunsten der Reichen, Berufsverbote, "Anti-Terror"-Gesetze oder NATO-Doppelbeschluß - die SPD war dafür, Hansen war dagegen und, bei sozialdemokratischen Abgeordneten eine Seltenheit, er stimmte dagegen. Manchmal als Einzelkämpfer, manchmal mit zwei, drei anderen Genossen - mehr waren es nicht, denn für die Mehrheit der SPD-"Linken" stand die "Parteiloyalität" an oberster Stelle. Für Hansen ist die SPD-"Linke" bis heute "ein ganz trauriges Kapitel."

Hansen war, wie der Münchner Merkur feststellte, ein "Sektierer" und "Krawallmacher". Das sahen die Genossen ähnlich: Hansen war der "Wirrkopf" (Helmut Schmidt) - einer, der bedauerlicherweise "noch kein Zuchthaus von innen gesehen" hätte (SPD-Bundesminister Egon Franke), dem man mal "ein Stuhlbein über den Kopf hauen" müßte (ein SPD-Fraktionskollege).

Durchaus verständliche Reaktionen regierender Genossen: Wie kommt auch einer beispielsweise dazu, ausdauernd die SPD/FDP-Bundesregierung zu kritisieren, nur weil diese verhindern wollte, daß die im Document Center archivierten Unterlagen zu NS-Verbrechen für die deutsche Forschung freigegeben werden? So erklärte Hansen im Februar 1978 der britischen BBC: "Tatsache ist, daß die deutsche Regierung nicht will, daß diese Dokumente genutzt werden, weil sie ehemalige Nazis decken will, die in große Verlegenheit kämen, wenn gewisse Dokumente bekannt würden."

1981 fordert Karl-Heinz Hansen in der Februar-Ausgabe der Zeitschrift konkret: "Kündigt den 'Nachrüstungsbeschluß'!" Er greift die Rüstungsgeschäfte der Regierung mit Chile und Saudi Arabien an und spart auch nicht mit direkten scharfen Attacken an die Adresse Schmidts. Die Partei ist entrüstet und schimpft unisono: Majestätsbeleidigung! Horst Ehmke trompetet: "Der Hansen ist verrückt." Annemarie Renger fordert den Rausschmiß: "Diesen Außenseiter können wir uns nicht länger leisten!" Und Egon Franke sieht Hansen "nicht im Vollbesitz seiner Gesundheit". Walter Jens kontert, angesichts der kriegerischen Töne aus dem Weißen Haus sei es "ehrenwerter, mit einem Hansen den Verstand zu verlieren, als ihn mit Franke zu behalten." Karl-Heinz Hansen muß schmunzeln, als ihm das Jens-Zitat wieder einfällt.

Im Sommer '81 kommt es zum endgültigen Bruch. Auf einer Veranstaltung der Düsseldorfer Jungsozialisten wirft Hansen, der Mitglied des Verteidigungsausschusses ist, der Regierung vor, daß sie "in Fragen Sicherheitspolitik, Verteidigungspolitik eine Art Geheimdiplomatie gegen das eigene Volk" betreibe. Der SPD-Bezirksvorstand Niederrhein entzieht Hansen daraufhin seine Parteiämter, ein Parteiordnungsverfahren wird eingeleitet. Am 20. Juli beschließt die Schiedskommission des SPD-Bezirks Niederrhein den Ausschluß Hansens. Er legt vergeblich Widerspruch ein. Die Bundesschiedskommission bestätigt am 13. Dezember die Entscheidung: Karl-Heinz Hansen wird aus der SPD ausgeschlossen. "Mich hat gewundert, daß die nicht früher was gemacht haben", kommentiert Hansen rückblickend.

Für die Partei war der "Fall Hansen" mit dem Ausschluß abgeschlossen, auch für die Parteilinke: "In einem Jahr ist der Junge vergessen", zitiert Hiltrud Schröder in ihrem Buch Auf eigenen Füßen den damaligen Jung-Bundestagsabgeordneten Gerhard Schröder. Auf dem folgenden Parteitag stimmte der "Linke" Schröder für die Aufstellung neuer Pershing- und Cruise-Missile-Raketen, obwohl auch er zuvor noch im Wahlkampf eindringlich gegen den NATO-Doppelbeschluß agitiert hatte. Die Disziplinierung der Partei war gelungen.

Gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Manfred Coppik, der aus Solidarität mit Hansen aus der SPD austritt, gründet Hansen im Frühjahr 1982 eine neue linke Partei: Die "Demokratischen Sozialisten" (DS). Doch der Aufbau der Partei gelingt nicht. Der erhoffte Zustrom frustrierter SPD-Genossen bleibt aus. Die "Wende" kommt dazwischen: "Helmut Schmidt hat zu früh aufgehört, der Zerfallsprozeß der SPD wäre sonst weiter fortgeschritten", erklärt Hansen das Scheitern der DS. Zudem setzen viele Linke auf die aufstrebenden Grünen, die kurz vor dem Sprung in den Bundestag stehen. Hansen kann hingegen mit den Grünen nichts anfangen, ihre Programmatik erscheint ihm diffus. 1984 beteiligen sich Hansen und Coppik an der "Friedensliste", einem Personenbündnis unter maßgeblichem DKP-Einfluß, das zur Europawahl antritt - und scheitert. Auch bei der Bundestagswahl 1987 geht Hansen, jetzt Bundessprecher, mit der "Friedensliste" aussichtslos an den Start. Von der "Friedensliste" hätte er sich von Anfang an nicht viel Erfolg versprochen, sagt Hansen heute, aber es wäre halt nichts anderes übriggeblieben, wenn man nicht zu den Grünen gehen wollte. Manfred Coppik hatte sich inzwischen zu den Grünen abgesetzt und wechselte 1990 zur PDS. Nach dem "Friedensliste"-Desaster wird es ruhiger um Hansen. Er zieht sich zurück und konzentriert sich auf seine historischen Studien, bezieht vereinzelt in Artikeln Stellung. Nur manchmal noch taucht er auf Veranstaltungen auf.

Während andere, wie der 1977 ausgeschlossene damalige Juso-Bundesvorsitzende Klaus-Uwe Benneter, schon lange in den Schoß der Partei zurückgekehrt sind und Karriereanschluß gefunden haben, ist das Kapitel SPD für den inzwischen 69jährigen Hansen längst ad acta gelegt. Für seine alte Partei hat er nur noch wenig übrig. Er wisse nicht, "wie die SPD eigentlich Opposition machen will", wo sie die gegenwärtige Politik der Kohl-Regierung doch schon unter Schmidt begonnen hätte.

1994 betrieb Hansen noch mal Wahlkampf - diesmal für die andere sozialdemokratische Partei im Bundestag: die PDS. Allerdings ohne Euphorie: "Die PDS soll die Chance bekommen, sich zu bewähren oder zu versagen", erklärt er der taz. Dazu müsse sie in den Bundestag. Hansen ist vorsichtiger geworden, wirkt nicht mehr wie einer, der unermüdlich nach "politischer Heimat" in einer Organisation sucht, wie es noch in den 80er Jahren den Anschein hatte.

Sein Parteiausschluß heute vor fünfzehn Jahren? "Daran habe ich gar nicht mehr dran gedacht." Resigniert klingt er nicht, und das politische Geschehen verfolgt er in seinem kleinen niedersächsischen Dorf, in dem er heute lebt, immer noch "sehr genau". Dabei hätte er nach bürgerlichen Maßstäben allen Grund zur Frustration: "Ein Mann mit den Fähigkeiten und der Dienstzeit des Abgeordneten Hansen könnte längst Minister sein. Nur ein bißchen das Maul halten hätte er halt müssen, einen gewissen Gewissensnachlaß hätte er geben sollen und ein bißchen vergessen, warum er nach dem Ende der NS-Ära in die SPD eingetreten ist ...", bemerkte Hermann L. Gremliza in konkret Anfang 1981. Am Ende des Jahres war Karl-Heinz Hansen aus der SPD geflogen. Er würde alles wieder so machen. Fast alles: "Manchmal frage ich mich, ob nicht noch schärfer hätte kritisiert werden müssen?"


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