Irmingard Schewe-Gerigk,
Bundestagsabgeordnete der Grünen, zum Krieg in
Jugoslawien.
Sie haben zusammen mit sechs Ihrer
Fraktionskollegen eine gemeinsame Erklärung verfaßt, in
der Sie fordern, daß die Luftangriffe auf Jugoslawien
sofort gestoppt werden. Sind Sie die letzten
Friedensbewegten in ihrer Partei?
Irmingard
Schewe-Gerigk: Na ja, die letzten Friedensbewegten
glaube ich nicht. Am 16. Oktober hat ja die Abstimmung
anders ausgesehen, da waren neun Abgeordnete gegen einen
deutschen Kriegseinsatz, und es hat acht Enthaltungen
gegeben. Offensichtlich hat sich jetzt die Einschätzung
einiger Kolleginnen und Kollegen geändert. Wir jedoch
sind in unserer Logik geblieben und sagen: Diese Angriffe
müssen sofort gestoppt werden. Sie verstoßen gegen das
geltende Völkerrecht, weil sie ohne eine Mandatierung
durch die UNO erfolgen. Wir haben die Sorge, daß wir zu
einem Zustand des Völkerrechts zurückkehren, wie er vor
der Gründung der Vereinten Nationen herrschte. Hinzu
kommt, daß die NATO durch die Luftangriffe selbst zur
Eskalation des Krieges im Kosovo beigetragen hat. Das
Morden und die Grausamkeiten haben sich in den letzten
Tagen deutlich verstärkt. Außerdem glaube ich nicht
daran, daß man mit Bomben einen Bürgerkrieg beenden
kann. Wir sagen: Die UNO ist die einzige und
völkerrechtlich legitimierte Handlungsebene, und die
müssen wir stärken. Statt dessen ist jetzt die NATO in
diese Lücke hineingetreten. Wir brauchen dringend
Instrumente, mit denen auch bei
Menschenrechtsverletzungen in innerstaatliche
Angelegenheiten eingegriffen werden kann. Aber nur über
die Vereinten Nationen.
Der grüne
Staatsminister im Außenministerium, Ludger Volmer,
spricht von einem Völkermord, der gerade im Kosovo
stattfindet, und vergleicht Milosevic mit Hitler.
Unterstützen die Gegner des NATO-Einsatzes also einen
"Völkermörder"?
Irmingard
Schewe-Gerigk: Nein, natürlich unterstützen wir
Milosevic nicht. Denn es finden im Kosovo
Menschrechtsverletzungen in größtem Ausmaß statt, da
gibt es nichts zu beschönigen. Aber wir müssen trotzdem
sehen, daß wieder Verhandlungen aufgenommen werden, um
den Konflikt zu lösen. Wir müssen aufzeigen, welche
Möglichkeiten es im Rahmen eines Mandats der UN gibt,
den Menschen sofort zu helfen. Ich glaube, daß jetzt die
NATO sagen müßte: Wir stellen die Luftangriffe ein, wir
kehren zurück an den Verhandlungstisch - durch
Initiative von UN-Generalsekretär Kofi Annan und unter
der Mitwirkung von Rußland. Niemand kann mir eine
Antwort auf die Frage geben: Was passiert, wenn sich
durch die Bombardierung nichts ändert? Sollen dann
Bodentruppen geschickt werden? Und wie soll es dann
weitergehen? Die Frage beantwortet auch Ludger Volmer
nicht.
Vor gar nicht allzu
langer Zeit gab es noch einen breiten Konsens, daß
Bundeswehrsoldaten nicht dort zum Einsatz kommen, wo die
Wehrmacht gewütet hat. Unter Rot-Grün fallen nun wieder
Bomben auf Belgrad. Ist das die "Gnade der späten
Geburt" im alternativen Gewand?
Irmingard
Schewe-Gerigk: Gerade aus der historischen Situation
heraus wäre Deutschland gut beraten, sich an den
NATO-Angriffen nicht zu beteiligen. Der breite Konsens
besteht leider heute nicht mehr, aber ich denke, daß bei
vielen Menschen gerade in den letzten Tagen ein großes
Nachdenken entstanden ist, daß man praktisch Abschied
nimmt von einer Politik, die fünfzig Jahre gültig war:
Von Deutschland aus darf nie wieder Krieg geführt
werden. Deutschland führt jetzt zum ersten Mal seit 1945
wieder Krieg, und die Bundeswehr ist in einem
Out-Of-Area-Einsatz direkt an Kampfhandlungen beteiligt.
Das kann ich nicht mittragen. Es ist natürlich ein
Schicksalsschlag, daß gerade nach der Amtsübernahme
durch die neue Regierung so eine Entscheidung zustande
gekommen ist. Ich halte es für eine Fehleinschätzung
der rot-grünen Regierung, daß die jetzt eingeschlagene
Politik die Chance bietet, Frieden zu schaffen. Es wird
von denjenigen, die den Einsatz richtig finden, immer mit
der humanitären Katastrophe argumentiert. Ich sehe
nicht, daß die humanitäre Katastrophe so abgewendet
werden kann. Ich glaube, daß sie dadurch vielmehr noch
verstärkt wird.
Der
Ex-Flottillenadmiral Elmar Schmähling hat gegen
Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer und
Verteidigungsminister Scharping Anzeige wegen
Vorbereitung eines Angriffskrieges erstattet. Auch Sie
sprechen in Ihrer Erklärung von einem Bruch des
Völkerrechts. Gehört dementsprechend Ihr grüner
Außenminister vor ein internationales Kriegsgericht?
Irmingard
Schewe-Gerigk: Nein, ich glaube, da hat Admiral
Schmähling ein bißchen übers Ziel hinausgeschossen.
Diesen drei Politikern die Vorbereitung eines
Angriffskrieges vorzuwerfen, ist falsch. Schröder,
Fischer und Scharping sind meines Erachtens zu der
Fehleinschätzung gekommen, man könne mit Bomben einen
Frieden oder eine Unterschrift erzwingen.
Weder Deutschland
noch ein anderer Staat ist angegriffen worden, doch sie
haben Jugoslawien dennoch überfallen. Sind da nicht die
klassischen Kriterien eines Angriffskrieges erfüllt?
Irmingard
Schewe-Gerigk: Darum haben wir auch gesagt: Wir
brauchen eine Mandatierung durch die UNO. Und wenn es die
nicht gibt, verstößt der Angriff gegen geltendes
Völkerrecht. Das Problem, das wir jetzt haben, ist, daß
niemand weiß, wie aus der Situation herauszukommen ist.
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