01.04.1999


Interview mit
Irmingard Schewe-Gerigk

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Neues Deutschland

*   "Bomben können einen Bürgerkrieg nicht beenden"
Von Pascal Beucker und Marcus Meier

Irmingard Schewe-Gerigk, Bundestagsabgeordnete der Grünen, zum Krieg in Jugoslawien.

Irmingard Schewe-GerigkSie haben zusammen mit sechs Ihrer Fraktionskollegen eine gemeinsame Erklärung verfaßt, in der Sie fordern, daß die Luftangriffe auf Jugoslawien sofort gestoppt werden. Sind Sie die letzten Friedensbewegten in ihrer Partei?

Irmingard Schewe-Gerigk: Na ja, die letzten Friedensbewegten glaube ich nicht. Am 16. Oktober hat ja die Abstimmung anders ausgesehen, da waren neun Abgeordnete gegen einen deutschen Kriegseinsatz, und es hat acht Enthaltungen gegeben. Offensichtlich hat sich jetzt die Einschätzung einiger Kolleginnen und Kollegen geändert. Wir jedoch sind in unserer Logik geblieben und sagen: Diese Angriffe müssen sofort gestoppt werden. Sie verstoßen gegen das geltende Völkerrecht, weil sie ohne eine Mandatierung durch die UNO erfolgen. Wir haben die Sorge, daß wir zu einem Zustand des Völkerrechts zurückkehren, wie er vor der Gründung der Vereinten Nationen herrschte. Hinzu kommt, daß die NATO durch die Luftangriffe selbst zur Eskalation des Krieges im Kosovo beigetragen hat. Das Morden und die Grausamkeiten haben sich in den letzten Tagen deutlich verstärkt. Außerdem glaube ich nicht daran, daß man mit Bomben einen Bürgerkrieg beenden kann. Wir sagen: Die UNO ist die einzige und völkerrechtlich legitimierte Handlungsebene, und die müssen wir stärken. Statt dessen ist jetzt die NATO in diese Lücke hineingetreten. Wir brauchen dringend Instrumente, mit denen auch bei Menschenrechtsverletzungen in innerstaatliche Angelegenheiten eingegriffen werden kann. Aber nur über die Vereinten Nationen.

Der grüne Staatsminister im Außenministerium, Ludger Volmer, spricht von einem Völkermord, der gerade im Kosovo stattfindet, und vergleicht Milosevic mit Hitler. Unterstützen die Gegner des NATO-Einsatzes also einen "Völkermörder"?

Irmingard Schewe-Gerigk: Nein, natürlich unterstützen wir Milosevic nicht. Denn es finden im Kosovo Menschrechtsverletzungen in größtem Ausmaß statt, da gibt es nichts zu beschönigen. Aber wir müssen trotzdem sehen, daß wieder Verhandlungen aufgenommen werden, um den Konflikt zu lösen. Wir müssen aufzeigen, welche Möglichkeiten es im Rahmen eines Mandats der UN gibt, den Menschen sofort zu helfen. Ich glaube, daß jetzt die NATO sagen müßte: Wir stellen die Luftangriffe ein, wir kehren zurück an den Verhandlungstisch - durch Initiative von UN-Generalsekretär Kofi Annan und unter der Mitwirkung von Rußland. Niemand kann mir eine Antwort auf die Frage geben: Was passiert, wenn sich durch die Bombardierung nichts ändert? Sollen dann Bodentruppen geschickt werden? Und wie soll es dann weitergehen? Die Frage beantwortet auch Ludger Volmer nicht.

Vor gar nicht allzu langer Zeit gab es noch einen breiten Konsens, daß Bundeswehrsoldaten nicht dort zum Einsatz kommen, wo die Wehrmacht gewütet hat. Unter Rot-Grün fallen nun wieder Bomben auf Belgrad. Ist das die "Gnade der späten Geburt" im alternativen Gewand?

Irmingard Schewe-Gerigk: Gerade aus der historischen Situation heraus wäre Deutschland gut beraten, sich an den NATO-Angriffen nicht zu beteiligen. Der breite Konsens besteht leider heute nicht mehr, aber ich denke, daß bei vielen Menschen gerade in den letzten Tagen ein großes Nachdenken entstanden ist, daß man praktisch Abschied nimmt von einer Politik, die fünfzig Jahre gültig war: Von Deutschland aus darf nie wieder Krieg geführt werden. Deutschland führt jetzt zum ersten Mal seit 1945 wieder Krieg, und die Bundeswehr ist in einem Out-Of-Area-Einsatz direkt an Kampfhandlungen beteiligt. Das kann ich nicht mittragen. Es ist natürlich ein Schicksalsschlag, daß gerade nach der Amtsübernahme durch die neue Regierung so eine Entscheidung zustande gekommen ist. Ich halte es für eine Fehleinschätzung der rot-grünen Regierung, daß die jetzt eingeschlagene Politik die Chance bietet, Frieden zu schaffen. Es wird von denjenigen, die den Einsatz richtig finden, immer mit der humanitären Katastrophe argumentiert. Ich sehe nicht, daß die humanitäre Katastrophe so abgewendet werden kann. Ich glaube, daß sie dadurch vielmehr noch verstärkt wird.

Der Ex-Flottillenadmiral Elmar Schmähling hat gegen Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer und Verteidigungsminister Scharping Anzeige wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges erstattet. Auch Sie sprechen in Ihrer Erklärung von einem Bruch des Völkerrechts. Gehört dementsprechend Ihr grüner Außenminister vor ein internationales Kriegsgericht?

Irmingard Schewe-Gerigk: Nein, ich glaube, da hat Admiral Schmähling ein bißchen übers Ziel hinausgeschossen. Diesen drei Politikern die Vorbereitung eines Angriffskrieges vorzuwerfen, ist falsch. Schröder, Fischer und Scharping sind meines Erachtens zu der Fehleinschätzung gekommen, man könne mit Bomben einen Frieden oder eine Unterschrift erzwingen.

Weder Deutschland noch ein anderer Staat ist angegriffen worden, doch sie haben Jugoslawien dennoch überfallen. Sind da nicht die klassischen Kriterien eines Angriffskrieges erfüllt?

Irmingard Schewe-Gerigk: Darum haben wir auch gesagt: Wir brauchen eine Mandatierung durch die UNO. Und wenn es die nicht gibt, verstößt der Angriff gegen geltendes Völkerrecht. Das Problem, das wir jetzt haben, ist, daß niemand weiß, wie aus der Situation herauszukommen ist.


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