06.05.1999



Interview mit
Christian Simmert

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Neues Deutschland

*   "Es ist einfach Unsinn zu behaupten, es gäbe keine Alternative zum Bomben"
Von Pascal Beucker

Christian Simmert: Nein, ich glaube nicht, daß ich einer der letzten Friedenstrottel bei den Grünen bin.

In einem von Junggrünen veröffentlichten "Kosovo-Positionspapier" verkünden die Autoren, "Nie wieder Krieg" dürfe kein "unantastbares Dogma" sein und "linker 'Betroffenheitspazifismus'" sei eine "Lebenslüge". Wann marschieren die ersten grünen Jungen in Jugoslawien ein?

Christian Simmert: Ob schon konkretere Planungen bestehen, weiß ich nicht. Da können Sie ja mal bei dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Michael Vesper und dem grünen Landeschef Reiner Priggen nachfragen, die diesen Text auch unterschrieben haben. Wenn ich mir den Titel dieses Traktates "Nicht Krieg, Frieden ist der Ernstfall" ansehe, und dann die Ausführungen danach lese, beschleicht mich schon fast der Eindruck, daß sich da Leute um den Ernstfall drücken wollen. Aber im Ernst: eine derartige Neuorientierung grüner Außen- und Friedenspolitik, wie sie in diesem Papier gefordert wird, halte ich für nicht diskutabel.

Manche glauben wohl, daß die Bejahung von Militäreinsätzen ein Beleg für die Regierungsfähigkeit der Grünen ist. Das sehen Sie wohl anders?

Christian Simmert: Ich finde, wir sollten uns lieber damit auseinandersetzen, inwiefern es jetzt angesichts der geänderten NATO-Doktrin zu einer neuen Vormachtstellung der NATO in der Welt kommt. Wie verhalten wir uns dazu, daß das, was Grüne bisher gefordert haben, nämlich eine Stärkung der UNO und der OSZE, aufgrund der veränderten Doktrin in den Hintergrund gerät? Dieses oberflächliche "Kosovo-Positionspapier" strotzt vor realitätsuntauglichen Sprechblasen. Die denken in Militär- und nicht mehr in Friedenskategorien. Locker wird behauptet, es gäbe keine Alternativen zu den Bomben auf Jugoslawien. Das ist einfach Unsinn. Zweifellos gab und gibt es eine Alternative zu den Bomben, nämlich eine umfassende Friedensinitiative, die nach einem einseitigem Waffenstillstand durch die NATO auch umgesetzt werden könnte.

Sie meinen also nicht, daß man einem "Irren" - so eine der Formulierungen Ihrer Parteifreunde für Milosevic - mal ordentlich den Marsch blasen muß?

Christian Simmert: Das ist eine Analyse, die aus dem Bauch und nicht aus dem Kopf kommt. Die Luftangriffe verursachen vieles - nur nicht, daß den Menschenrechtsverletzungen im Kosovo Einhalt geboten wird. Sie haben die Greueltaten, die Vertreibungen und die Morde der Schergen von Milosevic nicht gestoppt. Die NATO-Angriffe sind keine Lösung und führen zu keinem Ziel. Zu welchem Zweck werden sie trotzdem ununterbrochen fortgesetzt? Um solange zu bombardieren, bis ganz Jugoslawien in Schutt und Asche liegt? Diese Bombenangriffe führen nur dazu, daß der Haß und der Nationalismus in Jugoslawien gestärkt werden. Ansonsten lehne ich eine Pathologisierung von Milosevic ab, und ich wehre mich auch gegen Vergleiche mit der Hitlerdiktatur, wie sie Fischer und vor allem Scharping immer wieder ziehen. Ich halte Parallelen für unangemessen, die den Holocaust und seine Folgen relativieren. Milosevic ist ein Diktator, der für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Reicht das nicht als Charakterisierung?

Machen Sie sich mit Ihrer Position nicht zu einem der letzten Friedenstrottel in Ihrer Partei?

Christian Simmert: Nein, ich glaube nicht, daß ich einer der letzten Friedenstrottel bin. Neben uns sieben Bundestagsabgeordneten, die von Anfang an gegen diesen Krieg gestimmt haben, gibt es inzwischen sechs weitere, die sich in einem Papier mit dem Titel "Zurück zur Politik" auch für einen Stopp der Bombardierung einsetzen. Viele grüne Mitglieder unterstützen unsere Position, über die Hälfte aller Kreisverbände in Nordrhein-Westfalen fordert ein sofortiges Ende der Luftangriffe.

Auf dem Hearing der Fraktion am Sonntag zum Kosovo-Krieg war Ihre Position nicht einmal vertreten.

Christian Simmert: Immerhin durfte Christian Ströbele an der Befragerrunde teilnehmen. Allerdings wurde er immer dann gestoppt, wenn er etwas ausführlichere Fragen stellen und sie mit einem Statement verbinden wollte. In der Abschlußrunde war dann unsere Position auf dem Podium tatsächlich nicht vertreten. Wir müssen vom ersten Tag des Krieges an in der Bundestagsfraktion dafür streiten, daß die Kriegsgegner überhaupt zu Wort kommen. Dabei stellt diese Position die des Programms der Grünen dar, für das wir Wahlkampf gemacht haben und für das wir gewählt worden sind.

Rechnen Sie sich denn eine ernsthafte Chance auf dem Bundesparteitag am 13. Mai aus?

Christian Simmert: Ich glaube, daß der Ausgang des Parteitags offen ist. Wir arbeiten zur Zeit an einem Antrag, dessen zentrale Aussage sein wird: Die Bombardierungen müssen sofort beendet werden! Ich hoffe, daß wir dafür eine Mehrheit bekommen.

Für den Fall, daß Sie sich durchsetzen: Wäre das nicht gleichbedeutend mit einer Aufkündigung der rot-grünen Koalition?

Christian Simmert: Im Vordergrund stehen für mich auf dem Parteitag eine sachlich geführte Debatte über den Krieg auf dem Balkan und eine Auseinandersetzung darüber, welche Rolle die NATO in Zukunft spielen soll, und welche Auswirkungen ihre neue Doktrin haben wird. Es geht mir um die Definierung einer grünen Friedenspolitik unter veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen, die auf Konfliktvermeidung und nicht auf Konflikteskalation setzt. Ich will über zivile Konfliktlösungsmechanismen und deren Umsetzung diskutieren. Natürlich könnte die Koalition zerbrechen - aber nicht zwangsläufig. Wenn Fischer mit einer entsprechenden Beschlußlage des Parteitages gegen den Krieg konfrontiert ist, muß er die Konsequenzen für sich selber ziehen. Auch wenn ich weiß, daß Fischer in der Vergangenheit nicht gerade durch Beschlußtreue geglänzt hat, würde ich von ihm erwarten, daß er im Falle eines eindeutigen Beschlusses gegen den Krieg alles in seiner Macht Stehende tut, um dies in der rot-grünen Bundesregierung durchzusetzen. Sicherlich müssen die grünen Minister in der Regierung auch über einen gewissen Spielraum verfügen. Das darf jedoch nicht bedeuten, daß dann einfach alles so weiterläuft wie bisher.

Was für Konsequenzen ergeben sich denn für Sie, wenn nicht Fischer, sondern Sie auf dem Parteitag unterliegen?

Christian Simmert: Dann wird es darum gehen, ein Forum zu organisieren, wo diejenigen, die eine Befürwortung des NATO-Angriffskrieges nicht mittragen können, darüber beraten, inwiefern eine Außen- und Friedenspolitik, wie wir sie uns vorstellen, noch innerhalb der Grünen möglich ist und wie unsere Position perspektivisch innerhalb der Partei wieder zu einer Mehrheit gemacht werden kann. Da sehe ich besonders uns sieben Bundestagsabgeordnete in der Pflicht, hier eine Plattform zu schaffen. Ich halte nichts davon, sich bei einer Niederlage klammheimlich aus der Partei ins politische Nirwana zu verabschieden.

Befürchten Sie nicht, für den Fall einer Niederlage zum pazifistischen Alibi einer kriegstreibenden Partei zu werden?

Christian Simmert: Ich hoffe, daß wir nicht zu einem solchen Feigenblatt mutieren. Wir müssen uns dafür einsetzen, wieder mehrheitsfähig zu werden.

Bodentruppen rücken zunehmend in den Bereich des Möglichen. Wie würden Sie sich verhalten, wenn die Bundesregierung deren Einsatz zustimmt und Ihre Fraktion mitmacht?

Christian Simmert: Das steht für die Fraktion nicht an. Aber gesetzt den Fall: Bodentruppen sind für mich untragbar. Das wäre ein Szenario, bei dem ich Schwierigkeiten hätte, noch eine Perspektive für mich innerhalb der grünen Fraktion zu sehen.

Der 26jährige Christian Simmert ist seit 1998 Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitglied der JungdemokratInnen/Junge Linke.


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