02.02.2000



Interview mit Reiner Priggen

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taz

*   "Das System der SPD ist Filz in höchster Blüte"
Von Pascal Beucker

Reiner Priggen, Landeschef der Grünen in Nordrhein-Westfalen, über die politische Dimension der Flugaffäre, Rücktrittsforderungen an Rau und die katastrophale Verteidigungsstrategie der SPD.

Wolfgang Clement hat erklärt, in der Düsseldorfer Flugaffäre sei bereits alles aufgeklärt. Teilen Sie diese Auffassung?

Reiner Priggen: Nein, bei weitem nicht. Der Untersuchungsausschuss wird noch einiges an Arbeit haben. Ich vermisse das notwendige Unrechtsbewusstsein bei den Sozialdemokraten. Bis heute sagen sie nicht klar und eindeutig, dass dieses System in der Vergangenheit Filz in höchster Blüte war und kein legales und akzeptables Vorgehen.

Wie bewerten Sie die bisherige Verteidigungsstrategie der Landesregierung?

Reiner Priggen: Da dürfen SPD und Grüne nicht in einen Pott geschmissen werden. Die Sozialdemokraten verteidigen sich hier alleine. Ich bewerte deren Verteidigungsstrategie als katastrophal. Anstatt die Sachen alle auf den Tisch zu legen, zu benennen, was nicht korrekt war und welche Konsequenzen zu ziehen sind, geben sie immer nur gerade das zu, was ohnehin schon bekannt ist. Ihr Grundtenor ist immer noch, dass alles korrekt war. Bemerkenswert finde ich Clements Umschreibung für das "System Rau". Das war ein "System menschlicher Zuneigung", hat er gesagt - die schönste Umschreibung für Filz, die ich kenne.

Nach dem Schleußer-Rücktritt konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf Johannes Rau. Was halten Sie von den Rücktrittsforderungen gegen den Bundespräsidenten?

Reiner Priggen: Die halte ich im Moment für übereilt. Es gibt keinen Wettbewerb, dass jeden Tag jemand zurücktreten muss. Hier geht es um Sachfragen, die im Raum stehen und zu klären sind. Ich finde viel wichtiger, dass man sich das Verhalten der WestLB genauer anschaut. Ich gehe davon aus, dass die Flüge zwischen Landesregierung und WestLB nicht korrekt verrechnet worden sind. Außerdem denke ich, dass Herr Neuber bei weitem mehr an "Landschaftspflege" betrieben hat, als das, was bis jetzt bekannt ist.

Zur fürsorglichen Parteienbetreuung der WestLB gehörte auch, dass großzügige Spenden der Landesbank nicht nur an die SPD, sondern auch an die CDU flossen. Warum sind die Grünen leer ausgegangen?

Reiner Priggen: Eine Spende erwartet immer eine Gegenleistung. Es gab wohl bei der WestLB nicht die Einschätzung, dass diese von uns eine Gegenleistung bekommt, da die Position der Grünen zu der Bank eindeutig war. Die Staatsanwaltschaft hat mir auf meine Strafanzeige gegen die Spendenpraxis der WestLB mitgeteilt, dass das strafrechtlich nicht relevant sei. Nach unseren Recherchen verstößt diese Praxis aber trotzdem eindeutig gegen das Parteiengesetz.

Welche Konsequenzen sollte Rot-Grün in NRW aus der Flugaffäre ziehen?

Reiner Priggen: Rot-Grün wird, so ist es besprochen, eine Reihe von Transparenzvorhaben in Gang setzen. Wenn einigen Leuten bisher nicht klar war, wofür eine Landesbank da ist, muss man ihnen das erklären. Offensichtlich fehlt es hier an Klarheit, obwohl ich das bei so intelligenten Menschen nicht erwartet hatte. Wir Grünen ziehen aus der Affäre die Konsequenz, weiterhin entschlossen den sozialdemokratischen Filz zu bekämpfen. Hier geht es eben nicht nur um harmlose Gefälligkeiten, die man sich erweist. Dieser Filz ist eine Bremse für eine positive Entwicklung im Land.

Welche Auswirkungen wird die Flugaffäre auf die Landtagswahl im Mai haben?

Reiner Priggen: Die Flugaffäre kostet der SPD unter Umständen die notwendigen drei, vier Prozent an der Mehrheit. Zusammen mit dem CDU-Finanzskandal könnte sie zudem möglicherweise ausgerechnet Möllemann wieder in den Landtag bringen und ihn zur entscheidenden politischen Kraft bei der Mehrheitsbildung machen. Das könnte NRW eine sozialliberale Koalition bescheren. Clement gemeinsam mit Möllemann - das ist für mich die Vision: Ruhrgebietstunnel unter Tage, Transrapid über Tage. Für einen Grünen, der jahrelang für das rot-grüne Projekt den Kopf hingehalten hat, ist das eine katastrophale Perspektive.


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