27.01.2001


Interview mit Gerhart Baum

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Aachener Nachrichten

*   "Die Schlachten von gestern"
Von Pascal Beucker

Fischers Vergangenheit: Interview mit dem Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP).

Herr Baum, haben Sie eine Erklärung für die gegenwärtige Aufregung über die linksradikale Vergangenheit von Joschka Fischer und Jürgen Trittin?

Gerhart Baum: Ich glaube, dass zum einen bei einigen zur Zeit nicht eine nüchterne Erinnerung vorherrscht, sondern der tagespolitische Kampf. Man möchte mit Bruchstücken von Verhaltensweisen, die eigentlich in die damalige Zeit eingeordnet werden müssen, dem politischen Gegner schaden. Zum anderen geht es um den Versuch, die alten Schlachten von gestern zu führen, die aber überwunden sind. Aber es gibt auch eine andere Motivation für die heutige Diskussion: Ein wirklich ehrliches, intensives Interesse daran, was eigentlich in den verschiedenen Strömungen der Reformbewegung von und nach 1968 stattgefunden hat. Hier gibt es eine Neugier der jüngeren Generation, die ich sehr begrüße.

Warum ereifert sich auch und gerade Ihr Parteivorsitzender Wolfgang Gerhardt derartig in dieser Debatte?

Gerhart Baum: Das kann ich mir überhaupt nicht erklären. Seine Unterscheidung zwischen friedlichen 68ern und gewalttätigen 70ern vermag ich nicht nachzuvollziehen. In beiden Phasen gab es beides. Gerhardt sollte sich lieber an Hans-Dietrich Genscher orientieren, der gesagt hat, dass Fischer ein Beispiel für die Integrationskraft unserer Gesellschaft ist. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die die glaubwürdige Veränderung eines Menschen nicht respektiert. Das gilt auch für den politischen Gegner.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat gefordert, die Grünen sollten gegenüber Gewalt einen "Unvereinbarkeitsbeschluss" fällen, um ihre "Läuterung" zu beweisen. Was halten Sie davon?

Gerhart Baum: Nein, ich bin nicht dieser Meinung. Es ist gar keine Frage, dass man jeden, auch jede politische Gruppe, daraufhin beobachten sollte, ob Gewalt akzeptiert oder gar gefördert wird. Aber ich rate Angela Merkel sich ein Beispiel an der liberalen, versöhnlichen Position von Heiner Geissler zu nehmen, der ja überzeugend dargelegt hat, dass sich die Gesellschaft über einen Saulus freut, der zum Paulus geworden ist. Das ist eigentlich eine christliche Denkweise - und nicht das, was die Union teilweise jetzt veranstaltet. Denn das ist genau das Denken in Feindbildern, dem das unsägliche Fahndungsplakat mit dem Bild Schröders entsprungen ist.

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung betonen Politiker von CDU, CSU und auch Ihrer Partei eindringlich, was für eine fabelhafte Demokratie während der sozialliberalen Koalition in der Bundesrepublik geherrscht habe und dass es damals keinen Grund für Proteste gegeben hätte. Ist das auch Ihre Sicht auf die damalige Zeit?

Gerhart Baum: Es ist bemerkenswert, wie aus den Reihen der Union heute die Politik der sozialliberalen Koalition gelobt wird. Damals wurden wir verdächtigt, mit der neuen Ostpolitik die Freiheit unseres Landes aufs Spiel zu setzen und es gab das Misstrauensvotum gegen die Regierung Brandt/Scheel. Das war eine sehr aufgeregte Zeit. Und es gab sicherlich Grund für Proteste. Nehmen Sie nur den "Radikalenerlass" von 1972, der Teile der jungen Generation pauschal verdächtigt hat, gegen diesen Staat zu sein. Ich habe dann 1978 die Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor der Einstellung in den öffentlichen Dienst abgeschafft und die Länder haben es nachvollzogen.

Auch einzelne Mitglieder ihrer Partei sind in den 70er Jahren vom parlamentarischen Pfad abgekommen. Gab es in Ihrer Partei eine Diskussion darüber, was beispielsweise Ihr baden-württembergisches Mitglied Christian Klar dazu gebracht hat, sich der RAF anzuschließen und bewaffnet gegen diesen Staat zu kämpfen?

Gerhart Baum: Natürlich, es gab sehr, sehr viele Diskussionen. Wir haben uns intensiv mit den Ursachen der Gewalt und mit den Möglichkeiten ihrer Überwindung auseinandergesetzt. Wir waren der Meinung, wir dürfen das nicht Polizei und Justiz allein überlassen. Zum Terrorismus gab es sehr sorgfältige Analysen und sehr selbstkritische Analysen: Wie ist es eigentlich zur Gewalt in der Gesellschaft gekommen? Was hat die Gesellschaft falsch gemacht? Ohne damit Mord zu rechtfertigen. Es gab wissenschaftliche Untersuchungen und Kolloquien, sehr interessante Aufsätze des damaligen FDP-Generalsekretärs Karl-Herrmann Flach. Und wir haben dann versucht, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Beispielsweise versuchten wir, den Kommunikationsabbruch zu überwinden und wieder ins Gespräch mit den Ausgestiegenen zu kommen und ihnen die Reformfähigkeit des parlamentarischen Systems vor Augen zu führen. Das war ein ganz wichtiger Ausgangspunkt zur Befriedung der Gesellschaft. Dieser Weg war erfolgreich, wie man sieht, und es darf jetzt nicht zu einer neuen Polarisierung kommen.

Was für einen heutigen Umgang mit der Zeit Ende der 60er und der 70er Jahre würden Sie empfehlen?

Gerhart Baum: Ich bin der Meinung, wir sollten uns kritisch, selbstkritisch aber auch gerecht mit dieser Zeit auseinandersetzen. Das lohnt sich. Sie ist eine der wichtigsten Phasen unserer Nachkriegspolitik, weil sie dazu geführt hat, dass sich in vielen Teilen die Demokratie vertieft hat und die Gesellschaft reformiert worden ist. Denken Sie an das Bildungssystem, das Justizsystem, die Emanzipation der Frau. Es gab die erste wirklich intensive Auseinandersetzung mit der Nazizeit. Und Genscher wurde der erste Ökologieminister der Republik. Insofern haben damals wichtige Veränderungen stattgefunden, die bis heute nachwirken. Allerdings müssen auch die Schattenseiten gesehen werden, Beispiel "Radikalenerlass". Aber auch für die Grünen gibt es Anlass, selbstkritisch auf ihre Vergangenheit zurückzublicken. Sie waren zum Teil in so genannten kommunistischen Gruppen organisiert, wie beispielsweise Frau Vollmer. Die haben die demokratische Ordnung dieses Landes in Frage gestellt. Diese neo-marxistischen Heilslehren, die viele von ihnen vor sich hergetragen haben, waren ja eine Verirrung. Trotzdem: Die Diskussion darüber sollte doch heute mit etwas mehr Gelassenheit geführt werden.

zur person

Gerhart Baum

Der Kölner Rechtsanwalt (68) war von 1972 bis 1978 parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium und von 1978 bis 1982 Bundesminister des Innern unter Helmut Schmidt. Der Politiker, der dem linken Flügel der FDP zugeordnet wird, gehörte von 1972 bis 1994 dem Bundestag an. 1992 stimmte er gegen den von seiner Partei mitgetragenen Asylkompromiss. Von 1993 bis 1998 leitete er die Deutsche Delegation bei der UN-Menschenrechtskommission und wird demnächst für die UN als Sonderberichterstatter für den Sudan tätig sein.


Das Interview mit dem Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum erschien in gekürzten Fassungen am 27. Januar 2001 in der taz (unter der Überschrift: "Es gab Grund für Proteste") und in den "Aachener Nachrichten". Der oben stehende Text ist die autorisierte ungekürzte Originalfassung. © Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.