21.06.2002



Interview mit Christoph Butterwegge

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taz

*   "Vorlage für Neonazis"
Von Pascal Beucker

Der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge (52) über die Folgen von Raus Unterschrift und die Zuwanderung im Wahlkampf.

Christoph ButterweggeHerr Butterwegge, welche Auswirkungen wird die Unterschrift des Bundespräsidenten auf den Wahlkampf haben?

Christoph Butterwegge: In der Endphase des Bundestagswahlkampfes kann die Frage, wie mit Zuwanderung umzugehen ist, zum Schlüsselthema werden und das weitgehend offene Duell um die Kanzlerschaft mit entscheiden. Die Union wird nun verstärkt versuchen, Rot-Grün durch Konzentration auf das Gebiet "Zuwanderung, Ausländer und multikulturelle Gesellschaft" als Gefahr für die nationale Sache darzustellen und in die Defensive zu drängen.

Kann denn das Thema Zuwanderung überhaupt aus dem Wahlkampf herausgehalten werden?

Christoph Butterwegge: Nur die Art und Weise, wie Politiker der "Mitte" fremdenfeindliche und rassistische Stimmungen in Stimmen für die eigene Partei verwandelt wollen, gibt Anlass zu schlimmen Befürchtungen. Zuwanderung wird da als Bedrohung für den "eigenen Volkskörper", der Migrant selbst als "Wirtschaftsasylant", "Sozialschmarotzer" oder potenzieller Krimineller dargestellt. Aber auch wer mit Blick auf Migration und multikulturelles Zusammenleben von einer "Bereicherung" spricht, beurteilt Menschen in erster Linie nach ihrem Wert für Deutschland oder den "Wirtschaftsstandort D". Damit bereitet man den geistigen Nährboden für Rassisten, die Ausländer, Behinderte und andere "Randgruppen" für wenig produktiv erachten und sie deshalb ausgrenzen, ausweisen oder im Extremfall ausmerzen wollen.

Sie haben die Reden von Politikern und die Berichterstattung etablierter Medien mit den Äußerungen rechtsextremer Publikationsorgane verglichen. In welchem Verhältnis zueinander stehen denn die "Themen der Rechten" und die "Themen der Mitte"?

Christoph Butterwegge: Neonazis und andere Rechtsextremisten beziehen sich im Rahmen ihrer Agitation und Propaganda zunehmend auf Politiker und Publizisten der "Mitte", die zu Stichwortgebern für antidemokratische Kräfte werden und ihnen teilweise regelrechte politische Steilvorlagen liefern. Umgekehrt greift die "Mitte" nicht selten Problemstellungen auf, die zuerst nur in ultrarechten Kreisen erörtert worden sind, weshalb es immer mehr Überlappungen und ideologische Schnittmengen zwischen Themen der Rechten und solchen der Mitte gibt. Dies gilt insbesondere für den ganzen Bereich "Zuwanderung", für die Forderung nach einer "deutschen Leitkultur" und für den angeblich fehlenden Nationalstolz.


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