21.09.2007



Interview mit Gerhart Baum

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taz

*   "Auf dem Weg ins Jenseits des Rechtsstaates"
Interview von Pascal Beucker

Verteidigungsminister Jung pfeift auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Abschuss von entführten Passagierflugzeugen. Kanzlerin Merkel schweigt dazu. Ein unerträglicher Zustand, so Ex-Innenminister Gerhart Baum.

Herr Baum, Verteidigungsminister Jung würde ein von Terroristen gekapertes Flugzeug abschießen lassen und danach zurücktreten. Würden Sie sich in seiner Position nicht ebenso verhalten?

Gerhart Baum: Nein, auf keinen Fall. Es ist unglaublich, dass das Mitglied eines Verfassungsorgans ein fundamentales Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht respektieren will. Das Gericht hat doch völlig eindeutig entschieden, dass eine Ermächtigung der Streitkräfte, mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, mit dem Grundrecht auf Leben und mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar ist. Es gibt nicht den bequemen Weg in den übergesetzlichen Notstand. Es ist nicht regelbar.

Besteht Jungs Fehler nicht nur darin, regeln zu wollen, was man zwar in einer solchen Situation machen muss, aber worüber man vorher nicht sprechen darf?

Gerhart Baum: Man muss es doch nicht machen! Herr Jung kann doch nicht sagen, dass er bewusst auf einen Verfassungsbruch zusteuert und über Leben und Tod entscheiden will. Er entscheidet sich für den Tod der Passagiere. Doch völlig unbeteiligte Menschen von Staats wegen zu töten, wäre genau das: ein Verfassungsbruch. Dabei ist die von ihm angestrebte Änderung des Grundgesetzes einfach nur aberwitzig. Ich frage mich, von welchem Verfassungsjuristen er beraten wird. Es ist überhaupt keine Änderung denkbar, die seinen Vorstellungen entspricht und verfassungskonform wäre. Das wäre verfassungswidriges Verfassungsrecht! Er soll doch mal das Verfassungsgerichtsurteil lesen. Burkhard Hirsch und ich würden sofort wieder nach Karlsruhe gehen.

Nehmen wir an, ein von Terroristen entführtes Flugzeug wäre im Anflug auf ein voll besetztes Sportstadion: Würden Sie dann der Katastrophe nichts tuend entgegenschauen?

Gerhart Baum: Bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe wurden alle möglichen Szenarien durchgespielt. Schon heute gibt es zahlreiche unkontrollierte Flugbewegungen, die schwierig zu erfassen sind. Es bleibt dabei: Menschenleben darf nicht gegen Menschenleben aufgerechnet werden. Selbst das Leben Todgeweihter muss bis zum letzten Atemzug geschützt werden. Also darf auch nicht das Leben von Passagieren in einer gekaperten Maschine geopfert werden.

1972 stand ein Verteidigungsminister schon einmal genau vor einer solchen Entscheidung. Georg Leber bekam die Information, ein mutmaßlich von Terroristen gekapertes Passagierflugzeug sei im Anflug auf die Abschlussfeier der Olympischen Spiele in München. Leber wollte damals zur Not die Maschine abschießen lassen - Verfassung hin oder her. In letzter Sekunde stellte sich jedoch heraus, dass bei dem Flugzeug nur die Bordelektronik ausgefallen war. So originell sind die Ansichten von Herrn Jung also nicht.

Gerhart Baum: Das mag sein, macht sie aber nicht besser. Außerdem gab es damals das Karlsruher Urteil noch nicht. Allerdings zeigt doch gerade dieser Fall, wie fatal so eine Entscheidung sein kann. Sie wissen doch gar nicht, was sie mit einem Abschuss bewirken. Sie wissen nur, sie töten unschuldige Menschen. Stellen Sie sich vor, die Maschine wäre nicht rechtzeitig identifiziert worden. Wie reagiert man auf falsche Terrorankündigung eines Verrückten?

Der Aufschrei über den Vorstoß von Jung ist groß. Sogar SPD und Grüne, die noch an der Regierung den Abschuss von Passagierflugzeuge gesetzlich ermöglichen wollten, sind jetzt auf Ihrer Seite. Beruhigt Sie das?

Gerhart Baum: Die FDP war ja von Anfang an gegen ein solches Gesetz. Wenn sich jetzt eine breitere Mehrheit im Parlament gegen solche Pläne abzeichnet, begrüße ich das natürlich. Ich hoffe, das bleibt so.

Muss Jung zurücktreten?

Gerhart Baum: Der jetzige Zustand, das hat die Bundestagsdebatte vorgestern gezeigt, ist unerträglich: Es ist eine Kraftprobe zwischen einem Bundesminister und dem Bundesverfassungsgericht - und die Bundeskanzlerin schweigt. Nein, Rücktrittsforderungen sind nicht meine Sache. Ich fordere vielmehr von Herrn Jung, dass er seinen Frieden mit der fundamentalen Entscheidung zum Lebensschutz des Verfassungsgerichts macht.

Wird dann alles wieder gut?

Gerhart Baum: Keineswegs. Ich stelle fest, dass wir immer weiter von der Kriminalitätsbekämpfung weg hin zum Kriegsrecht geraten. Nicht nur wegen der Äußerungen Jungs, sondern auch mit der von Schäuble geäußerten Ansicht, die gezielte Tötung von Verdächtigen ins Auge zu fassen. Es wird so getan, als befänden wir uns in einem Ausnahmezustand - und der würde auch Bürgeropfer rechtfertigen. Wir sind auf dem gefährlichen Weg zu einem Feind- und Kriegsstrafrecht - und das wäre eine Situation, in der sich der Staat jenseits des Rechtes bewegt. Dahinter steckt die Denkweise des Nazi-Wegbereiters Carl Schmitt, die sich fortsetzt bei einer Minderheit der Staatsrechtslehre. Ich warne davor, auch nur ansatzweise dessen Gedanken zu übernehmen. Damit würden wir uns jenseits vom Rechtsstaat befinden, wie Bush das getan hat.


z u r  p e r s o n

GERHART RUDOLF BAUM, 74, war von 1978 bis 1982 liberaler Bundesinnenminister in der sozialliberalen Koalition. Zusammen mit dem früheren Bundestagsvizepräsidenten Burkhard Hirsch, drei Anwälten und einem Piloten war der Kölner FDP-Politiker und Jurist im vergangenen Jahr mit seiner Klage gegen das Luftsicherheitsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich.


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