18.11.1999



Interview mit Jamal Karsli

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taz

*   Die Grünen setzen falsche Signale
Von Pascal Beucker

Jamal Karsli wurde 1956 in Syrien geboren, lebt seit 1980 in Deutschland und besitzt seit 1985 die deutsche Staatsangehörigkeit. 1995 zog er für die Grünen in den nordrhein-westfälischen Landtag. Der diplomierte Raumplaner ist Mitglied des Landtagspräsidiums und Migrations- und Flüchtlingspolitischer Sprecher der grünen Fraktion. Mit seiner italienischen Frau und seinen drei Kindern wohnt Karsli in Recklinghausen.

Jamal KarsliHaben Migranten keinen Platz mehr bei den Grünen?

Jamal Karsli: Jedenfalls haben sie keinen sicheren Platz mehr auf der Reserveliste für die Landtagswahl. Ich halte das für ein Armutszeugnis für meine Partei. Die Grünen haben bisher immer gesagt: Gleichberechtigung gehört zu einer Säule unserer Politik. Wir haben uns immer gegen Bevormundungspolitik gewehrt. Uns waren Emanzipation und Partizipation sehr wichtig. Die Grünen setzten Signale, in dem sie gesagt haben: Migranten gehören auch in die bundesdeutschen Parlamente, damit sie ihre Probleme und Sorgen dort selber zum Ausdruck bringen können. Ich bin traurig, dass das offenbar nicht mehr so gesehen wird. Man verlässt damit ein wichtiges Feld.

Auf dem grünen Landesparteitag in Düsseldorf am vergangenen Wochenende haben sich mehrere Migranten um einen Platz auf der Landesliste beworben. Sie sind noch gerade auf dem als sehr unsicher geltenden Listenplatz 18 gelandet, die anderen Kandidaten nicht-deutscher Herkunft scheiterten ganz. Wie erklären sie sich dieses schlechte Abschneiden?

Jamal Karsli: Ich erkläre mir das damit, dass Migrationspolitik für die Grünen offensichtlich nicht mehr so relevant ist. Damit macht meine Partei allerdings einen großen Fehler. Die Migranten werden zunehmend zu einem wichtigen Wählerpotenzial. Gerade durch die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts durch Rot-Grün. Und jetzt haben wir ein Problem: Wenn ich ihnen erzähle, dass die Grünen die Partei ist, die sich für ihre Belange einsetzt, dann werden sie mir nicht glauben. Sie werden sagen: Wären wir den Grünen tatsächlich so wichtig, dann hätten sie einen von uns auf einen sicheren Listenplatz gesetzt.

Aber es wird sich doch bestimmt in der kommenden Landtagsfraktion jemand finden lassen, der Ihren Arbeitsbereich, die Flüchtings- und Migrationspolitik, übernehmen wird?

Jamal Karsli: Sicher. Aber es gibt ein arabisches Sprichwort: Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem, der geschlagen wird und dem, der daneben steht und die Schläge zählt. Deshalb besetzten ja auch die Grünen zurecht die Hälfte ihrer Plätze mit Frauen. Und Frauenpolitik machen bei uns Frauen, nicht die Männer. Mehr als zehn Prozent der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen sind Migranten. Hier geht es um zwei Millionen Menschen. Und die brauchen auch eine eigene Stimme im Parlament. Im Gegensatz zu der Mehrzahl meiner Abgeordnetenkollegen habe ich selber die Härte des Ausländergesetzes gespürt. Ich bin in die Politik gegangen, um etwas zu verändern - auch aus eigener Selbsterfahrung und Betroffenheit heraus. Das ist einfach ein Unterschied.

Was für Auswirkungen könnte das für das Abschneiden der Grünen bei der Landtagswahl haben?

Jamal Karsli: Das kann äußerst negative Auswirkungen haben. Ich bemerke, wie die anderen Parteien sich verstärkt um das Potenzial der Migranten bemühen. Das konnte schon bei den Kommunalwahlen beobachtet werden: Eine der ersten Pressekonferenzen des neuen CDU-Oberbürgermeisters von Gelsenkirchen hat er mit Migranten gemacht. Warum wohl? Wo jetzt sogar die CDU anfängt, um Migranten zu werben, verlieren sie in den Grünen an Gewicht. Das ist paradox.

War die Nicht-Berücksichtigung von Migranten auf den vorderen Plätzen tatsächlich ein Akt der Ausgrenzung? Oder sind sie nicht vielleicht einfach ein Opfer des Gerangels zwischen Strömungen und des Austarierens regionaler Interessen geworden?

Jamal Karsli: Wir sind Opfer des Absprache-Hickhacks zwischen den Regionen geworden. Aber das hätte nicht passieren dürfen. Die Delegierten haben äußerst kurzsichtig entschieden. Ich bin in den letzten Jahren durch die ausländischen Vereine und Initiativen gezogen, auch von einer Moschee zur nächsten, um dort für die Grünen zu werben. Gerade Migranten aus der ersten Generation waren häufig erstaunt, als ich ihnen unsere Politik erklärt habe. Auf einer dieser Veranstaltungen stand plötzlich ein älterer türkischer Mann auf und sagte: "Leute, ich bin seit Jahren Mitglied der CDU, ich habe nicht gewusst, dass die grüne Politik so gut ist. Ich empfehle euch: Wählt die Grünen." Ob ich ihn jetzt noch überzeugen könnte? Die Grünen haben viel für Migranten getan. Ich finde es schade, dass sie jetzt die falschen Signale setzen. Die kommenden Wahlen werden durch die Migranten entschieden.


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