Jamal Karsli
wurde 1956 in Syrien geboren, lebt seit 1980 in
Deutschland und besitzt seit 1985 die deutsche
Staatsangehörigkeit. 1995 zog er für die Grünen in den
nordrhein-westfälischen Landtag. Der diplomierte
Raumplaner ist Mitglied des Landtagspräsidiums und
Migrations- und Flüchtlingspolitischer Sprecher der
grünen Fraktion. Mit seiner italienischen Frau und
seinen drei Kindern wohnt Karsli in Recklinghausen.
Haben Migranten keinen Platz
mehr bei den Grünen?
Jamal Karsli:
Jedenfalls
haben sie keinen sicheren Platz mehr auf der Reserveliste
für die Landtagswahl. Ich halte das für ein
Armutszeugnis für meine Partei. Die Grünen haben bisher
immer gesagt: Gleichberechtigung gehört zu einer Säule
unserer Politik. Wir haben uns immer gegen
Bevormundungspolitik gewehrt. Uns waren Emanzipation und
Partizipation sehr wichtig. Die Grünen setzten Signale,
in dem sie gesagt haben: Migranten gehören auch in die
bundesdeutschen Parlamente, damit sie ihre Probleme und
Sorgen dort selber zum Ausdruck bringen können. Ich bin
traurig, dass das offenbar nicht mehr so gesehen wird.
Man verlässt damit ein wichtiges Feld.
Auf dem grünen
Landesparteitag in Düsseldorf am vergangenen Wochenende
haben sich mehrere Migranten um einen Platz auf der
Landesliste beworben. Sie sind noch gerade auf dem als
sehr unsicher geltenden Listenplatz 18 gelandet, die
anderen Kandidaten nicht-deutscher Herkunft scheiterten
ganz. Wie erklären sie sich dieses schlechte
Abschneiden?
Jamal Karsli:
Ich
erkläre mir das damit, dass Migrationspolitik für die
Grünen offensichtlich nicht mehr so relevant ist. Damit
macht meine Partei allerdings einen großen Fehler. Die
Migranten werden zunehmend zu einem wichtigen
Wählerpotenzial. Gerade durch die Änderung des
Staatsbürgerschaftsrechts durch Rot-Grün. Und jetzt
haben wir ein Problem: Wenn ich ihnen erzähle, dass die
Grünen die Partei ist, die sich für ihre Belange
einsetzt, dann werden sie mir nicht glauben. Sie werden
sagen: Wären wir den Grünen tatsächlich so wichtig,
dann hätten sie einen von uns auf einen sicheren
Listenplatz gesetzt.
Aber es wird sich doch
bestimmt in der kommenden Landtagsfraktion jemand finden
lassen, der Ihren Arbeitsbereich, die Flüchtings- und
Migrationspolitik, übernehmen wird?
Jamal Karsli:
Sicher.
Aber es gibt ein arabisches Sprichwort: Es besteht ein
großer Unterschied zwischen dem, der geschlagen wird und
dem, der daneben steht und die Schläge zählt. Deshalb
besetzten ja auch die Grünen zurecht die Hälfte ihrer
Plätze mit Frauen. Und Frauenpolitik machen bei uns
Frauen, nicht die Männer. Mehr als zehn Prozent der
Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen sind Migranten. Hier
geht es um zwei Millionen Menschen. Und die brauchen auch
eine eigene Stimme im Parlament. Im Gegensatz zu der
Mehrzahl meiner Abgeordnetenkollegen habe ich selber die
Härte des Ausländergesetzes gespürt. Ich bin in die
Politik gegangen, um etwas zu verändern - auch aus
eigener Selbsterfahrung und Betroffenheit heraus. Das ist
einfach ein Unterschied.
Was für Auswirkungen
könnte das für das Abschneiden der Grünen bei der
Landtagswahl haben?
Jamal Karsli:
Das
kann äußerst negative Auswirkungen haben. Ich bemerke,
wie die anderen Parteien sich verstärkt um das Potenzial
der Migranten bemühen. Das konnte schon bei den
Kommunalwahlen beobachtet werden: Eine der ersten
Pressekonferenzen des neuen CDU-Oberbürgermeisters von
Gelsenkirchen hat er mit Migranten gemacht. Warum wohl?
Wo jetzt sogar die CDU anfängt, um Migranten zu werben,
verlieren sie in den Grünen an Gewicht. Das ist paradox.
War die
Nicht-Berücksichtigung von Migranten auf den vorderen
Plätzen tatsächlich ein Akt der Ausgrenzung? Oder sind
sie nicht vielleicht einfach ein Opfer des Gerangels
zwischen Strömungen und des Austarierens regionaler
Interessen geworden?
Jamal Karsli:
Wir
sind Opfer des Absprache-Hickhacks zwischen den Regionen
geworden. Aber das hätte nicht passieren dürfen. Die
Delegierten haben äußerst kurzsichtig entschieden. Ich
bin in den letzten Jahren durch die ausländischen
Vereine und Initiativen gezogen, auch von einer Moschee
zur nächsten, um dort für die Grünen zu werben. Gerade
Migranten aus der ersten Generation waren häufig
erstaunt, als ich ihnen unsere Politik erklärt habe. Auf
einer dieser Veranstaltungen stand plötzlich ein
älterer türkischer Mann auf und sagte: "Leute, ich
bin seit Jahren Mitglied der CDU, ich habe nicht gewusst,
dass die grüne Politik so gut ist. Ich empfehle euch:
Wählt die Grünen." Ob ich ihn jetzt noch
überzeugen könnte? Die Grünen haben viel für
Migranten getan. Ich finde es schade, dass sie jetzt die
falschen Signale setzen. Die kommenden Wahlen werden
durch die Migranten entschieden.
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