Barbara Steffens,
Kriegsgegnerin und Sprecherin der NRW-Grünen, will nicht
in der Nicht-Wählerschaft verschwinden.
Frau Steffens, Sie haben in
Bielefeld engagiert gegen die Unterstützung des
NATO-Krieges gegen Jugoslawien geredet - und verloren.
Wann treten Sie jetzt aus den Grünen aus?
Barbara Steffens:
Die Frage ist, was man will. Ich kann für mich klar
sagen: Es gibt für mich keine parteipolitische
Alternative zu den Grünen. Wenn dem so ist, dann habe
ich zwei Möglichkeiten. Die eine ist, daß ich trotzdem
gehe. Dann würde ich in der Nicht-Wählerschaft
verschwinden. Die andere Möglichkeit ist: Ich versuche
weiter in der Partei etwas zu verändern. Und ich
versuche, da alle Kraft reinzustecken. Das ist mein Weg.
Viele ihrer
Mitstreiter - gerade im Ruhrgebiet - treffen eine andere
Entscheidung. Sie sagen, daß mit der Entscheidung von
Bielefeld für sie kein Platz mehr in den Grünen ist.
Barbara Steffens:
Diejenigen, die austreten, sind in der Tat Leute, die
bisher eher der Parteilinken angehörten. Der linke Rand
bricht weg. Daher besteht die Gefahr, daß die Partei
immer weiter in die Mitte rutscht. Deswegen auch mein
Appell: Jeder, der austreten will, soll sich lieber
überlegen, ob er nicht fünf andere findet, die noch mit
hinein kommen. Damit die Partei wieder in ihre Richtung
hin korrigiert werden kann. Das fände ich sehr viel
besser und auch sehr viel gescheiter. Ich weiß, daß es
in der gegenwärtigen Zeit sehr schwierig ist, Leute
dafür zu gewinnen, in die Grünen einzutreten. Trotzdem
würde ich mir das erwünschen.
Mit wie vielen
Austritten rechnen Sie?
Barbara Steffens:
Ich kann das noch nicht einschätzen. Jetzt gibt es
zunächst eine Reihe von Treffen, wo man gemeinsam
überlegen will, wie es weitergehen kann. Ich halte es
erst einmal für einen guten Schritt, wenn man sagt: Es
darf jetzt nicht einen derartigen Abbröckelungsprozeß
geben, wie es ihn seit Jahren immer und immer wieder an
allen möglichen Beschlußfassungen gegeben hat. Man muß
verhindern, daß Leute einfach ins Privatleben
verschwinden. Was für Zusammenschlüsse oder Bewegungen
daraus beispielsweise im Ruhrgebiet entstehen, kann ich
nicht einschätzen.
Die Grüne in
Nordrhein-Westfalen galten immer innerparteilich als
linker Landesverband. Jetzt verlassen viele linke Grüne
die Partei. Drohen nicht diejenigen Linken, die bleiben,
hoffnungslos in die Minderheit zu geraten.
Barbara Steffens:
Wir haben als Linke in Nordrhein-Westfalen in
inhaltlichen Fragen vielfach noch bis heute eine
Mehrheit. Aber eine personelle Mehrheit haben wir schon
sehr lange nicht mehr. Das sieht man sehr deutlich daran,
daß ich die einzige im Landesvorstand war, die sich in
der Frage des Krieges gegen Jugoslawien für ein
sofortiges Ende der Bombardierungen ausgesprochen hat.
Die sechs übrigen Mitglieder waren für eine
Unterstützung des Regierungskurses.
Ist das nicht ein
Grund, um aufzugeben?
Barbara Steffens:
Auf keinen Fall. Denn gerade in Nordrhein-Westfalen hat
ja eine deutliche Mehrheit der Kreisverbände ebenfalls
für einen sofortigen und unbefristeten Bombenstopp
votiert. Mit dem Beschluß, der in Bielefeld gefaßt
worden ist, kann ein großer Teil im Landesverband sich
inhaltlich überhaupt nicht abfinden. Deshalb herrschte
auch auf unserem Landesparteitag in Hagen eine depressive
Stimmung, wie ich sie in meiner landespolitischen
Geschichte noch nie erlebt habe. Natürlich treten jetzt
Leute aus. Aber es gibt auch einen Teil, der sagt, man
muß jetzt einen Weg finden, wie man vielleicht den Kurs
der Bundespartei doch noch korrigieren kann. Es geht um
die Frage: Wie bekommt man die Grünen formiert, um auch
öffentlich klar und deutlich zu machen, daß unser Ziel
immer noch das sofortige Ende der Bombardierungen ist.
Ich denke, da wird es auf jeden Fall Initiativen geben.
Das wird auch ein Thema bei dem bundesweiten Treffen am
6. Juni in Dortmund sein, wo man schauen muß, was ist da
bundesweit möglich an Friedensinitiativen und -aktionen.
Nur ich bin am Donnerstag nicht in dem Glauben zur
Bundesdelegiertenkonferenz gefahren, der
Bundesvorstandsbeschluß kommt durch. Bis zur Abstimmung
hatte ich noch gehofft, daß die Delegierten mehrheitlich
zu einer anderen Positionierung kommen. Von daher habe
ich keine fertigen Überlegungen, was man jetzt machen
könnte. Da wird man innerhalb der nächsten Tage schauen
müssen. Aber es muß auf jeden Fall weitergehen.
Einige
Ruhrgebietskreisverbände wollen als Reaktion auf den
Bielefelder Beschluß den Europawahlkampf ihrer eigenen
Partei boykottieren. Halten Sie das für eine adäquate
Aktionsform?
Barbara Steffens:
Ich finde es bedauerlich, wenn Kreisverbände keinen
Wahlkampf machen wollen. Aber ich glaube allerdings
nicht, daß es viele Boykottbeschlüsse geben wird. Das
ist auch nicht das Problem. Die Leute, die jetzt in
Essen, Mülheim, Dortmund oder Bochum austreten wollen
und die ich namentlich kenne, daß sind Leute, die in den
letzten Jahren in den ganzen Wahlkämpfen immer sehr
aktiv waren. Beschlüsse hin, Beschlüsse her: Das
Problem ist, daß aktive Mitglieder aus der Partei
austreten - und dann einfach niemand da ist, der den
Wahlkampf macht.
Der Krieg in
Jugoslawien eskaliert weiter. Glauben Sie, daß es noch
irgendeinen Punkt geben wird, an dem die Grünen sagen
werden: Nein, jetzt reicht's?
Barbara Steffens:
Ich glaube, daß wenn der Bielefelder Parteitag einen Tag
später stattgefunden hätte, dann wäre die Entscheidung
anders ausgegangen - also zu einem Zeitpunkt, wo wir
mitbekommen haben, daß in Korisa über hundert
Flüchtlinge von NATO-Bomben getötet wurden. Ich gehe im
Moment davon aus, daß wir wahrscheinlich in vierzehn
Tagen in der Situation von Bodentruppen sein werden. Alle
Zeichen deuten darauf hin. Ich denke, daß das der
Zeitpunkt des nächsten Bundesparteitages sein wird -
nicht nur bei den Grünen, auch bei der SPD. Da kann es
für mich keine Zustimmung geben. Ich bin davon
überzeugt, daß eine Abstimmung über Bodentruppen
komplett eindeutig in dieser Partei ausgehen würde. Denn
wenn dem nicht so wäre, wäre das das Ende der Grünen.
Sie glauben, daß
die Partei gegen den Einsatz von Bodentruppen stimmen
würde, auch wenn dadurch die rot-grüne Koalition
gefährdet würde?
Barbara Steffens:
Ja. Wenn die SPD zu einem Punkt käme, daß sie
Bodentruppen einsetzen will, dann gehe ich davon aus,
daß die Koalition zu Ende wäre. Aber ich kann mir zur
Zeit nicht vorstellen, daß sich nicht auch in der SPD
weiterhin eine Mehrheit findet, die eindeutig gegen
Bodentruppen ist.
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