20.05.1999



Interview mit Barbara Steffens

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taz

*   "Der linke Rand bricht weg"
Von Pascal Beucker

Barbara Steffens, Kriegsgegnerin und Sprecherin der NRW-Grünen, will nicht in der Nicht-Wählerschaft verschwinden.

Barbara SteffensFrau Steffens, Sie haben in Bielefeld engagiert gegen die Unterstützung des NATO-Krieges gegen Jugoslawien geredet - und verloren. Wann treten Sie jetzt aus den Grünen aus?

Barbara Steffens: Die Frage ist, was man will. Ich kann für mich klar sagen: Es gibt für mich keine parteipolitische Alternative zu den Grünen. Wenn dem so ist, dann habe ich zwei Möglichkeiten. Die eine ist, daß ich trotzdem gehe. Dann würde ich in der Nicht-Wählerschaft verschwinden. Die andere Möglichkeit ist: Ich versuche weiter in der Partei etwas zu verändern. Und ich versuche, da alle Kraft reinzustecken. Das ist mein Weg.

Viele ihrer Mitstreiter - gerade im Ruhrgebiet - treffen eine andere Entscheidung. Sie sagen, daß mit der Entscheidung von Bielefeld für sie kein Platz mehr in den Grünen ist.

Barbara Steffens: Diejenigen, die austreten, sind in der Tat Leute, die bisher eher der Parteilinken angehörten. Der linke Rand bricht weg. Daher besteht die Gefahr, daß die Partei immer weiter in die Mitte rutscht. Deswegen auch mein Appell: Jeder, der austreten will, soll sich lieber überlegen, ob er nicht fünf andere findet, die noch mit hinein kommen. Damit die Partei wieder in ihre Richtung hin korrigiert werden kann. Das fände ich sehr viel besser und auch sehr viel gescheiter. Ich weiß, daß es in der gegenwärtigen Zeit sehr schwierig ist, Leute dafür zu gewinnen, in die Grünen einzutreten. Trotzdem würde ich mir das erwünschen.

Mit wie vielen Austritten rechnen Sie?

Barbara Steffens: Ich kann das noch nicht einschätzen. Jetzt gibt es zunächst eine Reihe von Treffen, wo man gemeinsam überlegen will, wie es weitergehen kann. Ich halte es erst einmal für einen guten Schritt, wenn man sagt: Es darf jetzt nicht einen derartigen Abbröckelungsprozeß geben, wie es ihn seit Jahren immer und immer wieder an allen möglichen Beschlußfassungen gegeben hat. Man muß verhindern, daß Leute einfach ins Privatleben verschwinden. Was für Zusammenschlüsse oder Bewegungen daraus beispielsweise im Ruhrgebiet entstehen, kann ich nicht einschätzen.

Die Grüne in Nordrhein-Westfalen galten immer innerparteilich als linker Landesverband. Jetzt verlassen viele linke Grüne die Partei. Drohen nicht diejenigen Linken, die bleiben, hoffnungslos in die Minderheit zu geraten.

Barbara Steffens: Wir haben als Linke in Nordrhein-Westfalen in inhaltlichen Fragen vielfach noch bis heute eine Mehrheit. Aber eine personelle Mehrheit haben wir schon sehr lange nicht mehr. Das sieht man sehr deutlich daran, daß ich die einzige im Landesvorstand war, die sich in der Frage des Krieges gegen Jugoslawien für ein sofortiges Ende der Bombardierungen ausgesprochen hat. Die sechs übrigen Mitglieder waren für eine Unterstützung des Regierungskurses.

Ist das nicht ein Grund, um aufzugeben?

Barbara Steffens: Auf keinen Fall. Denn gerade in Nordrhein-Westfalen hat ja eine deutliche Mehrheit der Kreisverbände ebenfalls für einen sofortigen und unbefristeten Bombenstopp votiert. Mit dem Beschluß, der in Bielefeld gefaßt worden ist, kann ein großer Teil im Landesverband sich inhaltlich überhaupt nicht abfinden. Deshalb herrschte auch auf unserem Landesparteitag in Hagen eine depressive Stimmung, wie ich sie in meiner landespolitischen Geschichte noch nie erlebt habe. Natürlich treten jetzt Leute aus. Aber es gibt auch einen Teil, der sagt, man muß jetzt einen Weg finden, wie man vielleicht den Kurs der Bundespartei doch noch korrigieren kann. Es geht um die Frage: Wie bekommt man die Grünen formiert, um auch öffentlich klar und deutlich zu machen, daß unser Ziel immer noch das sofortige Ende der Bombardierungen ist. Ich denke, da wird es auf jeden Fall Initiativen geben. Das wird auch ein Thema bei dem bundesweiten Treffen am 6. Juni in Dortmund sein, wo man schauen muß, was ist da bundesweit möglich an Friedensinitiativen und -aktionen. Nur ich bin am Donnerstag nicht in dem Glauben zur Bundesdelegiertenkonferenz gefahren, der Bundesvorstandsbeschluß kommt durch. Bis zur Abstimmung hatte ich noch gehofft, daß die Delegierten mehrheitlich zu einer anderen Positionierung kommen. Von daher habe ich keine fertigen Überlegungen, was man jetzt machen könnte. Da wird man innerhalb der nächsten Tage schauen müssen. Aber es muß auf jeden Fall weitergehen.

Einige Ruhrgebietskreisverbände wollen als Reaktion auf den Bielefelder Beschluß den Europawahlkampf ihrer eigenen Partei boykottieren. Halten Sie das für eine adäquate Aktionsform?

Barbara Steffens: Ich finde es bedauerlich, wenn Kreisverbände keinen Wahlkampf machen wollen. Aber ich glaube allerdings nicht, daß es viele Boykottbeschlüsse geben wird. Das ist auch nicht das Problem. Die Leute, die jetzt in Essen, Mülheim, Dortmund oder Bochum austreten wollen und die ich namentlich kenne, daß sind Leute, die in den letzten Jahren in den ganzen Wahlkämpfen immer sehr aktiv waren. Beschlüsse hin, Beschlüsse her: Das Problem ist, daß aktive Mitglieder aus der Partei austreten - und dann einfach niemand da ist, der den Wahlkampf macht.

Der Krieg in Jugoslawien eskaliert weiter. Glauben Sie, daß es noch irgendeinen Punkt geben wird, an dem die Grünen sagen werden: Nein, jetzt reicht's?

Barbara Steffens: Ich glaube, daß wenn der Bielefelder Parteitag einen Tag später stattgefunden hätte, dann wäre die Entscheidung anders ausgegangen - also zu einem Zeitpunkt, wo wir mitbekommen haben, daß in Korisa über hundert Flüchtlinge von NATO-Bomben getötet wurden. Ich gehe im Moment davon aus, daß wir wahrscheinlich in vierzehn Tagen in der Situation von Bodentruppen sein werden. Alle Zeichen deuten darauf hin. Ich denke, daß das der Zeitpunkt des nächsten Bundesparteitages sein wird - nicht nur bei den Grünen, auch bei der SPD. Da kann es für mich keine Zustimmung geben. Ich bin davon überzeugt, daß eine Abstimmung über Bodentruppen komplett eindeutig in dieser Partei ausgehen würde. Denn wenn dem nicht so wäre, wäre das das Ende der Grünen.

Sie glauben, daß die Partei gegen den Einsatz von Bodentruppen stimmen würde, auch wenn dadurch die rot-grüne Koalition gefährdet würde?

Barbara Steffens: Ja. Wenn die SPD zu einem Punkt käme, daß sie Bodentruppen einsetzen will, dann gehe ich davon aus, daß die Koalition zu Ende wäre. Aber ich kann mir zur Zeit nicht vorstellen, daß sich nicht auch in der SPD weiterhin eine Mehrheit findet, die eindeutig gegen Bodentruppen ist.


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