28.10.1999



Interview mit Bärbel Höhn

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*   Abgeordnete mit Freifahrtschein
Von Pascal Beucker

Die Grünen sollen mehr Profil zeigen, aber mit Thesen, die im Programm stehen. Bärbel Höhn, NRW-Umweltministerin, über ein Jahr Rot-Grün im Bund und viereinhalb Jahre in NRW, über rote und grüne Lernprozesse, Garzweiler II, den BSE-Skandal und die Kandidatenaufstellung für die Landtagswahl

Bärbel HöhnNach viereinhalb Jahren Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen rückt die nächste Landtagswahl immer näher und ihre Amtszeit neigt sich dem Ende zu. Was haben Sie alles falsch gemacht?

Bärbel Höhn: Wir sind in eine Koalition eingetreten mit einer SPD, die sich schon bei der Koalitionsbildung schwer getan hat und die in Jahrzehnten der Alleinregierung Machtstrukturen mit den entsprechenden Verbindungen zu den Entscheidungsträgern in der Gesellschaft aufgebaut hat. Da sind wir als Neue mit guten Ideen, aber wenig Regierungserfahrung dazu gekommen. Wir haben den Fehler gemacht, dass wir am Anfang zu sehr auf einen Konfrontationskurs und weniger auf Argumente gesetzt haben. Damit haben wir uns auf eine Machtauseinandersetzung eingelassen, die wir nicht gewinnen konnten. In der Konstellation, in der wir mit der SPD in dieser Regierung sind, mussten wir auf dieser Ebene die schlechteren Karten haben. Da haben wir uns in der Tat Niederlagen eingehandelt, zum Beispiel bei der DüBoDo, beim Flughafen Dortmund und noch ein paar anderen Punkten, wo wir vielleicht mit einer stärkeren inhaltlichen Argumentation und einer längerfristigen Strategie mehr hätten erreichen können.

Die Grünen waren also zu frech und haben deshalb nichts erreicht?

Bärbel Höhn: Nein. Aber wir haben am Anfang nicht ausreichend argumentativ operiert. Gerade die nordrhein-westfälische SPD ist eine sehr traditionelle Partei. Die Sozialdemokraten hier waren es gewohnt, Dogmen aufzubauen wie: Das darf nicht gemacht werden, und fertig! Und sie haben über die Jahrzehnte hinweg festgestellt, dass das dann eben auch nicht gemacht wurde. Da kommt man mit einem reinen Konfrontationskurs nicht weiter. Sie mussten zu einem Öffnungsprozess gebracht werden, dass sie sich tatsächlich in gesellschaftliche Auseinandersetzungen begeben. Sie mussten lernen, sich mit Argumenten und Gegenargumenten auseinander zu setzen. Das haben wir in der Koalition mit ihnen begriffen, haben die Diskussionen um eine neue Energiepolitik, um Verkehrsfragen, den Verbraucherschutz und neue Arbeitsplätze auch so aufgezogen und trotz aller Anfangsschwierigkeiten einiges bewegen können.

Was haben Sie als Umweltministerin bewegen können?

Bärbel Höhn: Als ich 1995 in das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft mit all seinen Behörden gekommen bin, habe ich fünf Leute mitgebracht - und 7.500 Beschäftigte hier vorgefunden. Da muss man dann versuchen, seine Ideen in diese großen Verwaltungsstrukturen hineinzutragen. Das war und ist manchmal noch immer ein harter Prozess. Sie müssen sich vorstellen, dass ich hier in ein Ministerium gekommen bin, wo die Leute über Jahrzehnte gelernt hatten, in einer bestimmten Art zu arbeiten und auf eine eigene Weise mit der Bevölkerung umzugehen. Da hatte ich oft andere Vorstellungen: Zum Beispiel, dass die Bevölkerung ein Recht darauf hat, Informationen zu bekommen, dass die Behörden auf Transparenz achten müssen. Es ist zwar nicht so, dass alle nach einem Wechsel der Ministeriumsspitze gegen einen arbeiten, wie viele sich das vorstellen. Aber trotzdem muss das, was die neue Ministerin will, möglichst klar bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ankommen. Das war zum Beispiel bei der Müllpolitik und bei Garzweiler II eine 180-Grad-Änderung gegenüber dem, was vorher war. Das ist nicht einfach. Und es dauert seine Zeit bei einem so großen Apparat, wenn Sie nicht von oben anordnen, sondern die Leute hinter sich bringen und überzeugen wollen. Da gibt es immer wieder Rückschlage, auch immer wieder Fehler, die Behörden in einzelnen Fällen machen. Ich glaube aber, dass wir da durchaus erfolgreich sind. Wir haben die Politik systematisch auf eine nachhaltige Entwicklung umgestellt: im Wasser- und im Abfallbereich, in der Wald- und in der Landwirtschaft, im Naturschutz, in der Raumplanung, auch in der Luft. Wir merken jetzt die Erfolge.

In einem der Hauptstreitpunkte mit der SPD konnten Sie keinen Erfolg verbuchen. Im neuen Geschäftsbericht von Rheinbraun steht weiter eindeutig: Garzweiler II kommt.

Bärbel Höhn: Dass im Geschäftsbericht von Rheinbraun nichts anderes stehen kann, als dass Garzweiler II kommt, ist doch klar. Aber dass mittlerweile der Mutterkonzern RWE seine Energiepolitik umstrukturiert und dass diese Änderungen gegen die eigene Konzerntochter Rheinbraun und gegen das Projekt Garzweiler II laufen, ist ebenfalls eine Tatsache. Beispielsweise betreibt RWE zunehmend Kraftwerke nicht mehr auf Braunkohle-, sondern auf Gasbasis - zuerst noch versteckt außerhalb, jetzt auch innerhalb von NRW. Das erste ist hier im Kölner Raum bei Dormagen entstanden. Alle großen Investitionsentscheidungen wie bei der Erneuerung von Kraftwerken sind in der letzten Zeit gegen Garzweiler II getroffen worden. In einem veränderten liberalen Energiemarkt hat die Braunkohle in dieser Form keine Chance mehr. Wir wussten vorher, dass sie am Rande der Wirtschaftlichkeit arbeitet. Durch die gefallenen Strompreise ist die Braunkohle wirtschaftlich einfach nicht mehr wettbewerbsfähig. Insofern arbeitet da die "freie Marktwirtschaft" gegen Garzweiler II und für die Position der Grünen. Wir werden die Auseinandersetzung um Garzweiler II letztendlich gewinnen.

Wenn sich Garzweiler II ohnehin marktwirtschaftlich erledigt, hätte es der grünen Regierungsbeteiligung wegen dieser Frage also gar nicht bedurft.

Bärbel Höhn: Stop! Ich habe bei der wasserrechtlichen Erlaubnis massive Auflagen gemacht. Mit Blick auf die enormen Auswirkungen dieses Mammutprojektes Garzweiler II musste aus unserer Sicht eine ökologische Garantie eingebaut werden. Und die ist eingebaut worden, gegen massiven Widerstand. Die sogenannte wasserrechtliche Erlaubnis, die ich erteilt habe, bedeutet: Rheinbraun darf beginnen, aber es müssen sämtliche ökologische Schäden, die dadurch entstehen können, verhindert werden. Wenn das Unternehmen das nicht schafft, erteilen die Behörden den Widerruf der Erlaubnis. Und da knackt Rheinbraun dran. Denn das macht dieses Projekt für den Verursacher der Schäden teurer. Zu recht, sonst müsste schließlich der Steuerzahler für die Schäden zahlen.

Sie haben sich immer wieder für den Verbraucherschutz stark gemacht, besonders beim BSE-Skandal. Jetzt hat die Bundesgesundheitsministerin, die Ihrer Partei angehört, angedeutet, dass das Einführungsverbot für einen Teil des britischen Rindfleischs noch vor Ende des Jahres aufgehoben werden soll. Konterkariert das nicht Ihre Arbeit?

Bärbel Höhn: Wir werden sehen, was passiert. Die Bundesgesundheitsministerin braucht für eine Aufhebung die Zustimmung der Länder. Meine Haltung ist klar: Ich bin gegen eine Aufhebung des Exportverbotes. Unsere Aufgabe ist es, einen größtmöglichen Verbraucherschutz zu gewährleisten. Es sind bisher fast 50 Menschen gestorben, weil sie BSE-infiziertes Rindfleisch gegessen haben. Wir müssen in Großbritannien in diesem Jahr mit ungefähr 3.000 akuten BSE-Fällen bei den Rindern rechnen - die Zahl liegt damit höher, als alle Experten das vorausgesagt haben. Offensichtlich gibt es noch andere Übertragungswege der Seuche als nur das Futter, was ja viele Fachleute schon immer gesagt haben. Ich halte auch die neuen Erkenntnisse, die gerade durch die Frankreich-Studie bekannt geworden sind, für gravierend. Möglicherweise müssen die Staaten, in denen BSE-Fälle aufgetreten sind, gegen die Seuche ganz anders vorgehen. Jedenfalls glaube ich nach meinen Gesprächen bei den bisherigen Treffen mit meinen Länderkollegen, dass meine Position von der Mehrheit der anderen Bundesländer getragen wird: Das Exportverbot muss bleiben.

Die Grünen purzeln von einer Wahlniederlage zur anderen. Warum säuft das grüne Schiff gerade ab?

Bärbel Höhn: Die Niederlagen sind eindeutig auf Widersprüche in der Bundespolitik zurückzuführen. Da sind entscheidende Fehler gemacht worden. Zum Beispiel sind einzelne Abgeordnete mit unausgewogenen Konzepten in die Öffentlichkeit gegangen, die keineswegs mit dem bisherigen Programm der Grünen übereinstimmen. Wenn Katrin Göring-Eckardt drei Tage vor der Kommunalwahl in NRW mit einem eigenen Rentenkonzept an die Öffentlichkeit tritt, fragen sich die Wähler: Was gilt jetzt? - und bleiben am Wahltag lieber zu Hause.

Aber ist nicht das grüne Programm tatsächlich teilweise problematisch?

Bärbel Höhn: Natürlich muss unser Programm den Veränderungen in der Gesellschaft angepasst werden, das ist keine Frage. Aber in einem gemeinsamen Diskussions- und Meinungsbildungsprozess und nicht dadurch, dass einzelne Abgeordnete meinen, sie hätten einen Freifahrtschein und könnten nun das, was ihnen am Wochenende gerade eingefallen ist, einfach mal in der Gegend herumposaunen. Das ist unprofessionell und muss abgestellt werden, weil es eine der Hauptursachen dafür ist, dass die Leute nicht mehr wissen, warum sie die Grünen wählen sollen.

Hat es nicht der grünen Glaubwürdigkeit enorm geschadet, vor der Wahl gegen Bundeswehreinsätze im Ausland einzutreten und nach der Wahl dem Krieg gegen Jugoslawien zuzustimmen?

Bärbel Höhn: Meine Position zu dieser Auseinandersetzung ist bekannt: Ich war für eine andere Politik. Wir haben in Bielefeld eine harte Auseinandersetzung um den Kosovo-Einsatz geführt. Ich verstehe, dass viele Parteimitglieder und Wählerinnen und Wähler wegen der grünen Zustimmung enttäuscht waren und sind. Es war ein Fehler, dass wir in der Folgezeit zwar weiter intensiv an Konzepten für vorbeugend friedenserhaltende Maßnahmen gearbeitet haben, aber das nicht in der Öffentlichkeit darstellen konnten. Die Grünen sind weiterhin eine friedensbewegte Partei. Der Streit um die Lieferung von Leopard II an die Türkei zeigt das deutlich.

Wie könnten die Grünen ihren Abwärtstrend in der Koalition auf Bundesebene stoppen?

Bärbel Höhn: Man muss folgende Punkte beachten, wenn die Grünen in so einer Koalition bestehen wollen: Der erste ist eine klare inhaltliche Zielsetzung, der zweite ist die Geschlossenheit in den eigenen Reihen, und der dritte Punkt ist, zu kämpfen, so weit es eben geht. Am Ende wird man nicht immer seine Ziele hundertprozentig durchsetzen können. Aber bei allen Kompromissen muss erkennbar sein, dass man sich wirklich bis zum Ende eingesetzt hat. Das ist eine Erfahrung, die jeder machen muss. Und da lernen die Grünen in Berlin noch. Viel dünne Luft sehe ich da aber vor allem bei den Sozialdemokraten. Ich nenne nur mal die Altautoverordnung. Dass ein Autokonzern über ein Gespräch beim Kanzler die EU-Politik bestimmen kann, ist ein Unding. Das darf nicht passieren.

In zweieinhalb Wochen stellen die NRW-Grünen ihre Liste für die Landtagswahl im Mai nächsten Jahres auf. Laut einem Focus-Bericht sind alle aussichtsreichen Plätze schon vergeben. Querdenker und Regierungskritiker, wie Daniel Kreutz, sollen demnach keinen Platz mehr bekommen.

Bärbel Höhn: Diesen Focus-Artikel habe ich nur amüsiert gelesen. Ich halte ihn für Unsinn und für eine Wunschvorstellung des Autors. Er kann schon alleine deswegen nicht stimmen, weil es noch nie funktioniert hat, dass jemand im Landesverband Nordrhein-Westfalen erfolgreich irgendwelche Listen ausgekungelt und vorbestimmt hat. Da steht schon die Partei gegen, zum Glück.

Sie werden wahrscheinlich die grüne Landesliste anführen. Können Sie sich denn vorstellen, nach den Wahlen in der neuen Fraktion zusammen mit Daniel Kreutz zu sitzen?

Bärbel Höhn: Ich habe jetzt seit zehn Jahren gut mit Daniel Kreutz zusammengearbeitet. Wir haben uns immer respektiert. Von daher hätte ich damit keine Schwierigkeiten. Ich halte ihn für einen klaren, analytischen Kopf, der allerdings mittlerweile das Problem bekommen hat, dass oftmals aus seinem Agieren der persönliche Frust spricht. Aber das muss er mit sich selbst klären. Für mich gibt es keinen Grund, ihn auszugrenzen.

Wie soll Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen den Mai nächsten Jahres überleben?

Bärbel Höhn: Wir werden keinen rot-grünen, sondern einen grünen Landtagswahlkampf führen. Wir verfolgen langfristige Ziele, die wir noch nicht erreichen konnten. Denn wir haben bisher mit der Umstrukturierung in NRW angefangen, aber sie ist noch nicht unumkehrbar. Damit meine ich unter anderem eine andere Verkehrspolitik, mehr Selbstbestimmung und Niveau in den Schulen und eine konsequente Verbraucherschutzpolitik. Das wollen wir in der nächsten Legislaturperiode schaffen.


Das Interview erschien am 28.10.1999 in zwei Teilen: Ein Teil wurde in der bundesweiten Ausgabe der taz gedruckt, der andere in der Regionalausgabe Ruhr. © Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.