Die Grünen
sollen mehr Profil zeigen, aber mit Thesen, die im
Programm stehen. Bärbel Höhn, NRW-Umweltministerin,
über ein Jahr Rot-Grün im Bund und viereinhalb Jahre in
NRW, über rote und grüne Lernprozesse, Garzweiler II,
den BSE-Skandal und die Kandidatenaufstellung für die
Landtagswahl
Nach viereinhalb Jahren Rot-Grün
in Nordrhein-Westfalen rückt die nächste Landtagswahl
immer näher und ihre Amtszeit neigt sich dem Ende zu.
Was haben Sie alles falsch gemacht?
Bärbel Höhn:
Wir
sind in eine Koalition eingetreten mit einer SPD, die
sich schon bei der Koalitionsbildung schwer getan hat und
die in Jahrzehnten der Alleinregierung Machtstrukturen
mit den entsprechenden Verbindungen zu den
Entscheidungsträgern in der Gesellschaft aufgebaut hat.
Da sind wir als Neue mit guten Ideen, aber wenig
Regierungserfahrung dazu gekommen. Wir haben den Fehler
gemacht, dass wir am Anfang zu sehr auf einen
Konfrontationskurs und weniger auf Argumente gesetzt
haben. Damit haben wir uns auf eine
Machtauseinandersetzung eingelassen, die wir nicht
gewinnen konnten. In der Konstellation, in der wir mit
der SPD in dieser Regierung sind, mussten wir auf dieser
Ebene die schlechteren Karten haben. Da haben wir uns in
der Tat Niederlagen eingehandelt, zum Beispiel bei der
DüBoDo, beim Flughafen Dortmund und noch ein paar
anderen Punkten, wo wir vielleicht mit einer stärkeren
inhaltlichen Argumentation und einer längerfristigen
Strategie mehr hätten erreichen können.
Die Grünen
waren also zu frech und haben deshalb nichts erreicht?
Bärbel Höhn:
Nein.
Aber wir haben am Anfang nicht ausreichend argumentativ
operiert. Gerade die nordrhein-westfälische SPD ist eine
sehr traditionelle Partei. Die Sozialdemokraten hier
waren es gewohnt, Dogmen aufzubauen wie: Das darf nicht
gemacht werden, und fertig! Und sie haben über die
Jahrzehnte hinweg festgestellt, dass das dann eben auch
nicht gemacht wurde. Da kommt man mit einem reinen
Konfrontationskurs nicht weiter. Sie mussten zu einem
Öffnungsprozess gebracht werden, dass sie sich
tatsächlich in gesellschaftliche Auseinandersetzungen
begeben. Sie mussten lernen, sich mit Argumenten und
Gegenargumenten auseinander zu setzen. Das haben wir in
der Koalition mit ihnen begriffen, haben die Diskussionen
um eine neue Energiepolitik, um Verkehrsfragen, den
Verbraucherschutz und neue Arbeitsplätze auch so
aufgezogen und trotz aller Anfangsschwierigkeiten einiges
bewegen können.
Was haben Sie
als Umweltministerin bewegen können?
Bärbel Höhn:
Als
ich 1995 in das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und
Landwirtschaft mit all seinen Behörden gekommen bin,
habe ich fünf Leute mitgebracht - und 7.500
Beschäftigte hier vorgefunden. Da muss man dann
versuchen, seine Ideen in diese großen
Verwaltungsstrukturen hineinzutragen. Das war und ist
manchmal noch immer ein harter Prozess. Sie müssen sich
vorstellen, dass ich hier in ein Ministerium gekommen
bin, wo die Leute über Jahrzehnte gelernt hatten, in
einer bestimmten Art zu arbeiten und auf eine eigene
Weise mit der Bevölkerung umzugehen. Da hatte ich oft
andere Vorstellungen: Zum Beispiel, dass die Bevölkerung
ein Recht darauf hat, Informationen zu bekommen, dass die
Behörden auf Transparenz achten müssen. Es ist zwar
nicht so, dass alle nach einem Wechsel der
Ministeriumsspitze gegen einen arbeiten, wie viele sich
das vorstellen. Aber trotzdem muss das, was die neue
Ministerin will, möglichst klar bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern ankommen. Das war zum Beispiel bei der
Müllpolitik und bei Garzweiler II eine
180-Grad-Änderung gegenüber dem, was vorher war. Das
ist nicht einfach. Und es dauert seine Zeit bei einem so
großen Apparat, wenn Sie nicht von oben anordnen,
sondern die Leute hinter sich bringen und überzeugen
wollen. Da gibt es immer wieder Rückschlage, auch immer
wieder Fehler, die Behörden in einzelnen Fällen machen.
Ich glaube aber, dass wir da durchaus erfolgreich sind.
Wir haben die Politik systematisch auf eine nachhaltige
Entwicklung umgestellt: im Wasser- und im Abfallbereich,
in der Wald- und in der Landwirtschaft, im Naturschutz,
in der Raumplanung, auch in der Luft. Wir merken jetzt
die Erfolge.
In einem der
Hauptstreitpunkte mit der SPD konnten Sie keinen Erfolg
verbuchen. Im neuen Geschäftsbericht von Rheinbraun
steht weiter eindeutig: Garzweiler II kommt.
Bärbel Höhn:
Dass
im Geschäftsbericht von Rheinbraun nichts anderes stehen
kann, als dass Garzweiler II kommt, ist doch klar. Aber
dass mittlerweile der Mutterkonzern RWE seine
Energiepolitik umstrukturiert und dass diese Änderungen
gegen die eigene Konzerntochter Rheinbraun und gegen das
Projekt Garzweiler II laufen, ist ebenfalls eine
Tatsache. Beispielsweise betreibt RWE zunehmend
Kraftwerke nicht mehr auf Braunkohle-, sondern auf
Gasbasis - zuerst noch versteckt außerhalb, jetzt auch
innerhalb von NRW. Das erste ist hier im Kölner Raum bei
Dormagen entstanden. Alle großen
Investitionsentscheidungen wie bei der Erneuerung von
Kraftwerken sind in der letzten Zeit gegen Garzweiler II
getroffen worden. In einem veränderten liberalen
Energiemarkt hat die Braunkohle in dieser Form keine
Chance mehr. Wir wussten vorher, dass sie am Rande der
Wirtschaftlichkeit arbeitet. Durch die gefallenen
Strompreise ist die Braunkohle wirtschaftlich einfach
nicht mehr wettbewerbsfähig. Insofern arbeitet da die
"freie Marktwirtschaft" gegen Garzweiler II und
für die Position der Grünen. Wir werden die
Auseinandersetzung um Garzweiler II letztendlich
gewinnen.
Wenn sich
Garzweiler II ohnehin marktwirtschaftlich erledigt,
hätte es der grünen Regierungsbeteiligung wegen dieser
Frage also gar nicht bedurft.
Bärbel Höhn:
Stop!
Ich habe bei der wasserrechtlichen Erlaubnis massive
Auflagen gemacht. Mit Blick auf die enormen Auswirkungen
dieses Mammutprojektes Garzweiler II musste aus unserer
Sicht eine ökologische Garantie eingebaut werden. Und
die ist eingebaut worden, gegen massiven Widerstand. Die
sogenannte wasserrechtliche Erlaubnis, die ich erteilt
habe, bedeutet: Rheinbraun darf beginnen, aber es müssen
sämtliche ökologische Schäden, die dadurch entstehen
können, verhindert werden. Wenn das Unternehmen das
nicht schafft, erteilen die Behörden den Widerruf der
Erlaubnis. Und da knackt Rheinbraun dran. Denn das macht
dieses Projekt für den Verursacher der Schäden teurer.
Zu recht, sonst müsste schließlich der Steuerzahler
für die Schäden zahlen.
Sie haben sich
immer wieder für den Verbraucherschutz stark gemacht,
besonders beim BSE-Skandal. Jetzt hat die
Bundesgesundheitsministerin, die Ihrer Partei angehört,
angedeutet, dass das Einführungsverbot für einen Teil
des britischen Rindfleischs noch vor Ende des Jahres
aufgehoben werden soll. Konterkariert das nicht Ihre
Arbeit?
Bärbel Höhn:
Wir
werden sehen, was passiert. Die
Bundesgesundheitsministerin braucht für eine Aufhebung
die Zustimmung der Länder. Meine Haltung ist klar: Ich
bin gegen eine Aufhebung des Exportverbotes. Unsere
Aufgabe ist es, einen größtmöglichen Verbraucherschutz
zu gewährleisten. Es sind bisher fast 50 Menschen
gestorben, weil sie BSE-infiziertes Rindfleisch gegessen
haben. Wir müssen in Großbritannien in diesem Jahr mit
ungefähr 3.000 akuten BSE-Fällen bei den Rindern
rechnen - die Zahl liegt damit höher, als alle Experten
das vorausgesagt haben. Offensichtlich gibt es noch
andere Übertragungswege der Seuche als nur das Futter,
was ja viele Fachleute schon immer gesagt haben. Ich
halte auch die neuen Erkenntnisse, die gerade durch die
Frankreich-Studie bekannt geworden sind, für gravierend.
Möglicherweise müssen die Staaten, in denen BSE-Fälle
aufgetreten sind, gegen die Seuche ganz anders vorgehen.
Jedenfalls glaube ich nach meinen Gesprächen bei den
bisherigen Treffen mit meinen Länderkollegen, dass meine
Position von der Mehrheit der anderen Bundesländer
getragen wird: Das Exportverbot muss bleiben.
Die Grünen purzeln
von einer Wahlniederlage zur anderen. Warum säuft das
grüne Schiff gerade ab?
Bärbel Höhn:
Die
Niederlagen sind eindeutig auf Widersprüche in der
Bundespolitik zurückzuführen. Da sind entscheidende
Fehler gemacht worden. Zum Beispiel sind einzelne
Abgeordnete mit unausgewogenen Konzepten in die
Öffentlichkeit gegangen, die keineswegs mit dem
bisherigen Programm der Grünen übereinstimmen. Wenn
Katrin Göring-Eckardt drei Tage vor der Kommunalwahl in
NRW mit einem eigenen Rentenkonzept an die
Öffentlichkeit tritt, fragen sich die Wähler: Was gilt
jetzt? - und bleiben am Wahltag lieber zu Hause.
Aber ist nicht das
grüne Programm tatsächlich teilweise problematisch?
Bärbel Höhn:
Natürlich
muss unser Programm den Veränderungen in der
Gesellschaft angepasst werden, das ist keine Frage. Aber
in einem gemeinsamen Diskussions- und
Meinungsbildungsprozess und nicht dadurch, dass einzelne
Abgeordnete meinen, sie hätten einen Freifahrtschein und
könnten nun das, was ihnen am Wochenende gerade
eingefallen ist, einfach mal in der Gegend herumposaunen.
Das ist unprofessionell und muss abgestellt werden, weil
es eine der Hauptursachen dafür ist, dass die Leute
nicht mehr wissen, warum sie die Grünen wählen sollen.
Hat es nicht der
grünen Glaubwürdigkeit enorm geschadet, vor der Wahl
gegen Bundeswehreinsätze im Ausland einzutreten und nach
der Wahl dem Krieg gegen Jugoslawien zuzustimmen?
Bärbel Höhn:
Meine
Position zu dieser Auseinandersetzung ist bekannt: Ich
war für eine andere Politik. Wir haben in Bielefeld eine
harte Auseinandersetzung um den Kosovo-Einsatz geführt.
Ich verstehe, dass viele Parteimitglieder und
Wählerinnen und Wähler wegen der grünen Zustimmung
enttäuscht waren und sind. Es war ein Fehler, dass wir
in der Folgezeit zwar weiter intensiv an Konzepten für
vorbeugend friedenserhaltende Maßnahmen gearbeitet
haben, aber das nicht in der Öffentlichkeit darstellen
konnten. Die Grünen sind weiterhin eine friedensbewegte
Partei. Der Streit um die Lieferung von Leopard II an die
Türkei zeigt das deutlich.
Wie könnten die
Grünen ihren Abwärtstrend in der Koalition auf
Bundesebene stoppen?
Bärbel Höhn:
Man
muss folgende Punkte beachten, wenn die Grünen in so
einer Koalition bestehen wollen: Der erste ist eine klare
inhaltliche Zielsetzung, der zweite ist die
Geschlossenheit in den eigenen Reihen, und der dritte
Punkt ist, zu kämpfen, so weit es eben geht. Am Ende
wird man nicht immer seine Ziele hundertprozentig
durchsetzen können. Aber bei allen Kompromissen muss
erkennbar sein, dass man sich wirklich bis zum Ende
eingesetzt hat. Das ist eine Erfahrung, die jeder machen
muss. Und da lernen die Grünen in Berlin noch. Viel
dünne Luft sehe ich da aber vor allem bei den
Sozialdemokraten. Ich nenne nur mal die
Altautoverordnung. Dass ein Autokonzern über ein
Gespräch beim Kanzler die EU-Politik bestimmen kann, ist
ein Unding. Das darf nicht passieren.
In zweieinhalb
Wochen stellen die NRW-Grünen ihre Liste für die
Landtagswahl im Mai nächsten Jahres auf. Laut einem Focus-Bericht
sind alle aussichtsreichen Plätze schon vergeben.
Querdenker und Regierungskritiker, wie Daniel Kreutz,
sollen demnach keinen Platz mehr bekommen.
Bärbel Höhn:
Diesen
Focus-Artikel habe ich nur amüsiert gelesen.
Ich halte ihn für Unsinn und für eine Wunschvorstellung
des Autors. Er kann schon alleine deswegen nicht stimmen,
weil es noch nie funktioniert hat, dass jemand im
Landesverband Nordrhein-Westfalen erfolgreich
irgendwelche Listen ausgekungelt und vorbestimmt hat. Da
steht schon die Partei gegen, zum Glück.
Sie werden
wahrscheinlich die grüne Landesliste anführen. Können
Sie sich denn vorstellen, nach den Wahlen in der neuen
Fraktion zusammen mit Daniel Kreutz zu sitzen?
Bärbel Höhn:
Ich
habe jetzt seit zehn Jahren gut mit Daniel Kreutz
zusammengearbeitet. Wir haben uns immer respektiert. Von
daher hätte ich damit keine Schwierigkeiten. Ich halte
ihn für einen klaren, analytischen Kopf, der allerdings
mittlerweile das Problem bekommen hat, dass oftmals aus
seinem Agieren der persönliche Frust spricht. Aber das
muss er mit sich selbst klären. Für mich gibt es keinen
Grund, ihn auszugrenzen.
Wie soll Rot-Grün
in Nordrhein-Westfalen den Mai nächsten Jahres
überleben?
Bärbel Höhn:
Wir
werden keinen rot-grünen, sondern einen grünen
Landtagswahlkampf führen. Wir verfolgen langfristige
Ziele, die wir noch nicht erreichen konnten. Denn wir
haben bisher mit der Umstrukturierung in NRW angefangen,
aber sie ist noch nicht unumkehrbar. Damit meine ich
unter anderem eine andere Verkehrspolitik, mehr
Selbstbestimmung und Niveau in den Schulen und eine
konsequente Verbraucherschutzpolitik. Das wollen wir in
der nächsten Legislaturperiode schaffen.
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