06.05.1999



Interview mit Hans-Christian Ströbele

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*   "Ich werde niemanden den Gefallen tun, die Fraktion und die Partei zu verlassen"
Von Pascal Beucker

In der grünen Bundestagsfraktion sieht sich der Kriegsgegner Hans-Christian Ströbele mit seiner Position an den Rand gedrängt. Doch auf dem Sonderparteitag am 13. Mai in Bielefeld hofft Ströbele auf eine Mehrheit.

Herr Ströbele, sind Sie auch, wie viele Ihrer Parteifreunde, innerlich so zerrissen?

Hans-Christian Ströbele: Natürlich bin ich wegen des Krieges gegen Jugoslawien sehr aufgewühlt. Aber von Anfang an war mein Standpunkt zu diesem Krieg klar. Ich habe gleich zu Beginn gesagt: Ich fürchte, daß man die humanitäre Katastrophe mit Krieg nicht verhindert. Darin bin ich fürchterlich bestätigt worden, wie ich jetzt nach sechs Wochen Krieg feststellen muß. Ich sehe schon ein, daß es grundsätzlich ein Problem ist, ob man so etwas, wie in Bosnien, einfach hinnimmt, wo Vertreter der Völkergemeinschaft dabeistanden und nicht verhindern konnten, daß Menschen in großer Zahl ermordet worden sind. Nur diese Grundfrage stellt sich für mich hier gar nicht. Ich weiß nicht, wie ich mich im einzelnen entschieden hätte, aber wenn ich sicher gewesen wäre, daß durch Kriegseinsätze Mord und Vertreibung von Kosovaren hätten tatsächlich verhindert werden können, dann wäre die Diskussion für mich eine andere gewesen. Doch diese Alternative hat sich überhaupt nicht gestellt. Es wird immer gesagt: Wenn ihr den sofortigen Stop des Luftkrieges fordert, dann riskiert ihr sehenden Auges, daß weiter Menschen im Kosovo vertrieben und umgebracht, Dörfer zerstört werden. Ich kann nur sagen: Genau das passiert, wenn der Krieg fortgeführt wird. Man redet hier über ein völlig ungeeignetes Mittel, um solche Verbrechen, die möglicherweise weiter stattfinden, verhindern zu können. Wir müssen feststellen, daß der Haß, der durch die Bombardements geschürt wurde, die Vertreibung und auch das Töten im Kosovo eher verschärft hat.

Mit Ihrer Haltung zum Krieg sind Sie in der grünen Bundestagsfraktion in einer eindeutigen Minderheit. Auf dem Hearing der Fraktion am Sonntag zu den Ursachen und Folgen des Kosovo-Krieges war Ihre Position nicht einmal vertreten.

Hans-Christian Ströbele: Auf diesem Hearing durfte ich zwar an der Befragerrunde teilnehmen, wurde aber mehrfach gestoppt, wenn ich etwas ausführlichere Fragen stellen und sie mit einem Statement verbinden wollte. In der Abschlußrunde war dann meine Position und die der anderen "dissidierenden" Abgeordneten auf dem Podium erst gar nicht vertreten. Ich mußte vom ersten Tag des Krieges an in der Bundestagsfraktion dafür kämpfen, daß die Position der Kriegsgegner überhaupt zu Wort kommt. Ich bin häufig wütend darüber, daß es nicht mehr möglich sein soll, diese Position angemessen zu vertreten. Die ist ja nicht völlig absurd und stellt noch immer die des Programms der Grünen dar, für das wir Wahlkampf gemacht haben und für das wir alle gewählt worden sind.

Wie kommt es, daß sich der Streit innerhalb der Grünen recht eng an den alten Flügelgrenzen abspielt, während in der SPD Gegner des Krieges gegen Jugoslawien auf allen Parteiflügeln zu finden sind. Das reicht von dem "linken" Oskar Lafontaine bis zum "rechten" Henning Voscherau. Prominente "Realos" gegen den Krieg gibt es hingegen nicht.

Hans-Christian Ströbele: Na ja, man muß bei Oskar Lafontaine bis Henning Voscherau sehen, daß das beides SPD-Politiker sind, die nicht in einem verantwortlichen Mandat stehen. Ich glaube - und das habe ich zum Ärger einiger meiner Fraktionskollegen mehrfach gesagt -, wenn wir heute noch in der Opposition wären, hätte sich so mancher in der grünen Fraktion in dieser Frage öffentlich anders positioniert. Innerhalb der grünen Bundestagsfraktion sind die Linien - insofern haben Sie nicht recht - völlig andere als noch vor dem Krieg. Die parlamentarische Linke, zu der ich mich rechne, ist gerade in der Frage Krieg oder Frieden gespalten. Ein Problem auf dem Parteitag wird sein, inwieweit man die gesamte Linke und die Pazifisten gemeinsam zu einer Mehrheit führen kann.

Was werden Sie auf dem Parteitag am 13. Mai fordern?

Hans-Christian Ströbele: Ich arbeite zur Zeit mit anderen, gerade aus Nordrhein-Westfalen, an einem Antrag für die Bundesdelegiertenkonferenz, von dem wir hoffen, ihn bis zum Ende der Woche vorlegen zu können. Der wird sich von dem des Bundesvorstandes, so wie er bisher bekannt ist, darin unterscheiden, daß wir ganz klar sagen: Der Luftkrieg muß sofort beendet werden, es darf keine Bodentruppen geben - und die Mandatsträger der Grünen, also Bundesvorstand, Fraktion und andere - müssen sich dafür einsetzen, daß diese Position umgesetzt wird.

Welche Konsequenzen hätte es, wenn sich diese Mandatsträger nicht dafür einsetzen?

Hans-Christian Ströbele: Zunächst muß ich darauf hinweisen, daß die Frage, ob der Krieg heute, morgen oder nächste Woche beendet wird, nicht allein vom Beschluß des Parteitages der Grünen abhängt. Auch wenn die Grünen Regierungspartei sind, wird nicht mal die Position der Regierung durch diesen Parteitag festgelegt. Es kommt vielmehr jetzt darauf an, daß die Grünen, gerade auch vor den in diesem Jahr anstehenden Europa- und Landtagswahlen, klar sagen, wo sie in der Friedenspolitik stehen. Die Wählerinnen und Wähler müssen wissen, was für eine Position in der zentralen Frage Krieg oder Frieden sie wählen, wenn sie sich für die Grünen entscheiden. Darüber hinaus kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, daß eine Mehrheit in der Fraktion sagt: Was schert uns der Beschluß des Parteitages? Aber das werden wir dann sehen. Bisher gehen wir davon aus, daß jede Abgeordnete und jeder Mandatsträger zwar nicht sklavisch die Beschlüsse der Partei ausführt, das ist ja auch in anderen Parteien nicht so, aber generell sich einem konkreten aktuellem Votum nicht verschließen wird.

Wieso können Sie sich nicht vorstellen, daß die Mehrheit Ihrer Fraktion einen ihr nicht genehmen Parteibeschluß einfach ignoriert? Das hat sie doch bisher auch schon so praktiziert. Hätte das Bundestagswahlprogramm das Handeln der Fraktion bestimmt, hätte sie gegen den Krieg stimmen müssen.

Hans-Christian Ströbele: Die Argumentation derjenigen in der Fraktion, die von den im Wahlprogramm getroffenen Aussagen abweichen, ist, daß die Situation sich seit dem Beschluß des Parteitags im vergangenen Jahr geändert hat. Insofern gibt es da schon einen Unterschied. Aber ich mache keinen Hehl daraus, ich hätte mir gewünscht, daß sich diese Kollegen und Kolleginnen an der Beschlußlage der Grünen in dieser zentralen Frage orientiert hätten.

Für den Fall, daß Sie mit Ihrer Position unterliegen: Was für Konsequenzen hätte das für Sie persönlich?

Hans-Christian Ströbele: Ich bin ja schon öffentlich aufgefordert worden, die Fraktion zu verlassen, möglicherweise auch die Partei. Dazu kann ich immer nur wiederholen: Ich werde niemandem diesen Gefallen tun. Ich werde weiter in der Partei für meine Position kämpfen. Ich halte nichts von Spaltung und auch nichts von Austritten. In den letzten sechs Wochen habe ich unendlich viele Gespräche geführt mit Mitgliedern und auch Funktionsträgern, die hinwerfen wollten, die aus der Partei austreten und sich ins Privatleben zurückziehen wollten. Ich habe sie dringend angefleht: Bleibt drin in der Partei! Meines Erachtens besteht auch weiterhin in den Grünen die Möglichkeit, unseren friedenspolitischen und auch anderen linken Positionen zu Mehrheiten zu verhelfen. Deshalb werde ich, eagl wie der Parteitag beschließen wird, nicht austreten und nicht spalten.

Sehen Sie sich denn nicht langsam als ein Karl-Heinz Hansen der Grünen - zwar aufrecht, aber einflußlos?

Hans-Christian Ströbele: So sehe ich mich überhaupt nicht. Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit über die Mehrheitsverhältnisse in den Grünen stimmt nicht mit der Realität überein. Ich bin zwar in der Fraktion und hier in dem Bonner Klüngel sicherlich ein Außenseiter mit meiner Position. Aber auf Veranstaltungen und in den Gremien der Partei, wenn es nicht die auf Bundesebene sind, habe ich eher den Eindruck, daß ich von der Mehrheit getragen werde. Ich habe weit über tausend Briefe bekommen in diesen sechs Wochen Krieg und unzählige Anrufe, die mich unterstützen. Das gibt mir die Kraft, weiter zu machen. Außerdem will ich auch darauf hinweisen, daß ich nach meinem Auftritt im Bundestag am ersten Kriegstag und auch später sogar von Kollegen aus anderen Fraktionen, aus der SPD, aus der FDP und ebenso der CDU, zu meiner Position beglückwünscht worden bin. Auf dem dunklen Flur, wenn keiner zugeguckt und zugehört hat, haben sie mir erklärt, daß sie meine Position teilen würden, aber man könne das ja leider nicht öffentlich äußern. Ich führe eine Liste dieser Kolleginnen und Kollegen, die ich aber auch nicht der taz ruhr nicht zur Verfügung stellen werde. Ich ziehe daraus den Schluß, daß ich auch in dem Bonner Klüngel nicht ganz so alleine bin, wie es aussieht.


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