06.09.2001



Interview mit Jörg Fischer

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*   "Die Gewaltbereitschaft wird erheblich zunehmen"
Von Pascal Beucker

Jörg Fischer war selber neun Jahre lang ein einflussreicher Neo-Nazi. 1991 stieg er aus. Heute ist er ein gefragter Referent. Im EL-DE-Haus stellte er sein neues Buch "Das NPD-Verbot" vor. Im taz-Interview erklärt Fischer, warum das Verbot nicht ausreicht, um den Rechtsextremismus einzudämmen.

Herr Fischer, Sie schreiben in der Einleitung zu ihrem neuen Buch, die seit rund einem Jahr geführte öffentliche Diskussion über Rechtsextremismus in der Bundesrepublik sei "nicht nur oberflächlich, sondern teilweise sogar kontraproduktiv". Was kritisieren Sie konkret?

Jörg Fischer: Gerade von offizieller Seite wird häufig so getan, als ob Rechtsextremismus und rassistische Gewalt vor einem Jahr vom Himmel gefallen wären. Mit fast schon blindem Aktionismus wird seitdem jahre- und jahrzehntelange Untätigkeit überspielt. Es soll von der realen Rechtsentwicklung in der Gesellschaft und der jahrzehntelangen Duldung und Unterstützung neonazistischer Bestrebungen auch von staatlicher Seite abgelenkt werden. Nun wird so getan, als sei schon mit einem Verbot der NPD das Problem aus der Welt. Das halte ich für fatal.

Sie kritisieren die Verbotsanträge gegen die NPD?

Jörg Fischer: Ich unterstütze vehement ein Verbot der NPD. Aber ich frage mich: Warum soll die Partei erst jetzt verboten werden? Die NPD gibt es seit 36 Jahren. Die hätte doch längst verboten sein können - und auch müssen. Nun hat sie das Pech gehabt, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort demonstriert zu haben. Aufmärsche am Brandenburger Tor, uniformähnliche Kleidung und schwarz-weiß-rote Fahnen sind in der ausländischen Presse nicht so gut gekommen. DVU-Kundgebungen in der Passauer Nibelungenhalle sind da nicht so Image schädigend. Diese ganze Diskussion hat doch angefangen mit Aussagen von Arbeitgeberfunktionären, dass rechtsextreme Gewalt schädlich sei für den Standort. Die NPD ist also letztendlich ein Bauernopfer für die Imagewerbung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Man tut nun so, als ob außerhalb der Partei das Problem nicht existent wäre. Mit einer konsequenten Bekämpfung des Rechtsextremismus hat das nichts zu tun.

Ist das nicht ohnehin nur ein Hase-und-Igel-Spiel? Wird eine Organisation verboten, sind deren Mitglieder doch schon in der nächsten.

Jörg Fischer: Zum einen bin ich hier ganz pragmatisch: Im Falle ihres Verbotes bekommt die NPD keine zwei Millionen Wahlkampfkostenerstattung mehr im Jahr. Außerdem würden die Immobilien der Partei eingezogen, sie könnte unter dem Schutz des Parteiengesetzes keine Aufmärsche mehr machen, Spenden wären nicht mehr steuerabzugsfähig und bei Wahlen gäbe es zumindest keine Agitationsmöglichkeit per Fernsehen mehr. Zum anderen: Wichtig ist natürlich, dass ein Verbot konsequent durchgesetzt wird. Das beinhaltet dann auch das Verbot von Nachfolge- und Ersatzorganisationen. Die NPD hat im Moment sechseinhalb Tausend Mitglieder, die Befürchtung, das die alle kollektiv in den Untergrund gehen, ist irreal. Geschehen ist etwas ganz anderes: Ich fand es sehr interessant, die Rede des Parteivorsitzenden Udo Voigt auf dem diesjährigen NPD-Bundesparteitag zu lesen, in der er von "reaktionären Elementen" innerhalb der Partei spricht. Das ist ein deutliches Indiz dafür, dass dort im Moment die Fetzen fliegen. Das wird sich natürlich nach einem Verbot noch verstärken, weil sich innerhalb der Rechten unglaublich viele berufen fühlen, Führer zu sein. Es wird also eine Zersplitterung geben, die das Spektrum schwächt. Einige werden sich ins Private zurück ziehen, andere werden versuchen, Ersatzorganisationen zu gründen und ein weiterer Teil wird schauen, bei anderen Gruppen Unterschlupf zu finden. Wieder andere werden sich den "Freien Kameradschaften" anschließen.

Liegt darin nicht eine große Gefahr?

Jörg Fischer: Natürlich ist es eine nicht zu unterschätzende Gefahr, dass viele in Richtung der "Kameradschaften" wandern. Damit werden Militanz und Gewaltbereitschaft erheblich zunehmen. Zur Zeit halten sich viele wegen des laufenden NPD-Verbotsverfahren aus taktischen Überlegungen zurück. Wenn das Verbot da ist, werden sie ihre Zurückhaltung aufgeben. Das Problem ist: Die "Freien Kameradschaften" kann man nicht verbieten. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wem sollte die Verbotsverfügung zugestellt werden? Die haben keinen Vorsitzenden, keine festen Strukturen. Was es offiziell gar nicht gibt, kann schlecht verboten werden. Ich kann ja auch nicht den Stammtisch in irgendeiner Eckkneipe verbieten. Ein Verbot ist nur ein Mittel, das begrenzt einsetzbar ist.

Spricht das nicht gegen ein NPD-Verbot?

Jörg Fischer: Es spricht nicht generell gegen ein Verbot, sondern zeigt nur, dass es dabei nicht alleine bleiben kann. Man kann nicht sagen, dass etwas nicht getan wird, nur damit die Leute nicht noch militanter werden. In dem Moment begäbe man sich auf eine Ebene, auf der die Nazis diktieren können, was die Gesellschaft und was der Staat macht.

Sollte es dann nicht noch mehr Verbote geben?

Jörg Fischer: Allerdings. Dringend notwendig wäre ein Verbot der "Hilfsgemeinschaft für politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG). Das ist eine "Gefangenen-Hilfsorganisation" für neonazistische Straftäter. Die HNG ist strömungsübergreifend innerhalb des neo-nazistischen Spektrums und betreut "Kameraden", wie zum Beispiel Kai Diesner, die in Justizvollzugsanstalten sitzen. Und sie kümmert sich auch um die Leute, wenn sie aus dem Gefängnis entlassen werden, betreibt also eine Art "Resozialisierungsarbeit" von rechts. Dabei verbreitet die HNG ganz offen und ungeniert nationalsozialistisches Gedankengut. Auch ein DVU-Verbot wäre sinnvoll und notwendig. Das könnte man ebenfalls relativ schnell machen, weil die DVU - und ich denke, da gelingt mir in meinem Buch auch der Nachweis - nicht die Kriterien des Parteiengesetzes erfüllt. Sie wäre nach dem Vereinsrecht zu verbieten.

Was für Auswirkungen hätte ein NPD-Verbot für Köln? Könnte davon "pro Köln" oder die Nazi-Truppe von Axel Reitz profitieren?

Jörg Fischer: Das wird überschaubar bleiben, die NPD ist ja hier in Köln nicht gerade eine Massenbewegung. Vielleicht geht der eine oder andere zu Reitz & Co. "pro Köln" wird es allerdings nicht allzu viel bringen - auch wenn die das wahrscheinlich ganz gerne hätten, damit sie nicht immer aus halb Nordrhein-Westfalen die Leute für ihre Kundgebungen zusammen karren müssen. Doch "pro Köln"-Kopf Manfred Rouhs, den ich ja aus früheren Tagen ebenso wie seinen "Kameraden" Markus Beisicht noch persönlich kenne, ist nicht besonders populär in diesen Kreisen. Dafür ist er viel zu bieder im Auftreten. Die Masse der Nazi-Skinheads nimmt zwar das Angebot seines "Europa vorn"-Verlages und des "Signal"-Vertriebsdienstes an. Aber ich schätze, dass mindestens 98 Prozent der Leute nie auf die Idee käme, seine Zeitschrift Signal zu abonnieren oder auch nur einen einzigen Artikel darin zu lesen. Spätestens nach dem zweiten Satz bräuchten sie ein Fremdwörterbuch. Das ist natürlich alles auf einer sehr profanen Ebene, aber das Leben ist profan.


Jörg Fischerz u r  p e r s o n

Jörg Fischer
Ex-Nazi, Sozialarbeiter und Autor

Der 32-jährige Kölner Jörg Fischer, Sozialarbeiter und Ex-Neo-Nazi, wurde 1982 als Dreizehnjähriger von einem NPD-Funktionär angeworben und machte in den folgenden neun Jahren als Rechtsextremist Karriere. Er war Funktionär der NPD, nahm an der Gründung der DVU als Partei teil, arbeitete in Gerhard Freys Partei- und Medienzentrale und organisierte zuletzt die "Deutsche Liga für Volk und Heimat", der Vorläuferorganisation von "pro Köln".1991 stieg Fischer aus der Szene aus. Heute arbeitet er als freier Journalist und ist ein gefragter Bildungsreferent für Lehrer, Sozialarbeiter und Jugendliche zum Thema Rechtsextremismus. Am Montag stellte er im EL-DE-Haus sein neues Buch "Das NPD-Verbot" (Espresso Verlag, 192 Seiten, 29,90 DM) vor.


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