Johannes
Remmel, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Landtag,
warnt seine Partei vor Selbstgenügsamkeit. Für den grünen
Landesvorsitz will er im Februar aber nicht kandidieren.
taz:
Herr Remmel, im Februar kommenden Jahres wählen die nordrhein-westfälischen
Grünen ihre neue Parteispitze. Seit Wochen kokettieren Sie damit,
eventuell hierfür antreten zu wollen. Haben Sie sich jetzt
entschieden?
Johannes
Remmel: Ich habe damit bestimmt nicht kokettiert, sondern mir
vielmehr ernsthafte Gedanken gemacht, vor welchen Herausforderungen
der grüne Landesverband jetzt steht und welchen Beitrag ich zu ihrer
Bewältigung leisten könnte. Dass das manche aufgeschreckt hat, ist
dabei durchaus positiv. Denn wir können zur Zeit nichts weniger
brauchen als lähmende Ruhe und Selbstgenügsamkeit.
Bedeutet
das, dass Sie nicht kandidieren werden?
Johannes
Remmel: Ja, so ist es. Es geht mir darum, eine Diskussion über
unsere kommenden Aufgaben anzustoßen. Ich hoffe, dass sich die Partei
darauf konzentriert, anstatt nur über Köpfe zu reden. Denn ich sehe
innerhalb der Grünen die Gefahr, viel zu viel über Personen zu
diskutieren und viel zu wenig über die anstehenden Herausforderungen.
Was
meinen Sie konkret?
Johannes
Remmel: Mir ist zu wenig Unruhe in der Partei. Es gibt nicht
wenige, die meinen, wir haben unsere Oppositionsrolle schon gefunden.
Ich glaube das nicht. Wir haben uns die Regierungsfähigkeit in den
letzten zehn Jahren in NRW hart erarbeiten müssen. Nun müssen wir
uns die Fähigkeit zu einer schlagkräftigen Oppositionspolitik erst
mal wieder erarbeiten - gerade auch vor dem Hintergrund, dass die SPD
jetzt durch die Große Koalition im Bund gebunden ist und somit die Grünen
de facto die einzig verbliebene Oppositionskraft im Land sind. Das ist
eine große Chance. Aber es ergeben sich daraus auch enorme
Anforderungen.
Welche
Probleme sehen Sie hier?
Johannes
Remmel: Wir müssen uns auf die neuen Gegebenheiten erst noch
einstellen. Sowohl die Partei als auch die gesellschaftlichen
Bedingungen haben sich seit unserem Regierungseintritt stark verändert.
Wir können nicht einfach da weitermachen, wo wir 1995 aufgehört
haben. Denn die Problemlagen haben sich in vielen Bereichen
zugespitzt: Gestaltung der Wissensgesellschaft, demografische
Entwicklung, der verschärfte Klimawandel oder die soziale Frage. Da
haben wir zwar bereits die richtige Richtung, aber bisweilen,
beispielsweise bei der Frage nach der Gestaltung von sozialer
Gerechtigkeit, noch nicht die Konzepte, die auch tatsächlich zünden.
Ich glaube, dass wir konzeptionell unsere Positionen anschärfen müssen.
Heißt
das, die Partei soll wieder stärker nach links rücken?
Johannes
Remmel: Diese Richtungsgeschichten halte ich für überholt. Aber
es ist durch die letzten Wahlen doch deutlich geworden, dass die
Menschen glauben, dass es eine soziale Schieflage gibt. Wir müssen
deutlicher machen, wo und wie es in eine andere Richtung gehen soll,
wo und wie wir etwas anders machen wollen als Schwarz-Gelb oder
Schwarz-Rot. Da geht es auch darum, zuzuspitzen und ein Stück weit zu
polarisieren. Es muss klarer erkennbar sein: Dafür stehen die Grünen.
Was
folgt daraus für den grünen Landesverband?
Johannes
Remmel: Die Partei hat den Auftrag, die kommende Zeit zu nutzen,
um sich neu zu organisieren und aufzustellen. Unsere Schwächen sind
doch unübersehbar. So ist unsere Basis an aktiven Mitgliedern einfach
viel zu dünn. Das ist ein gravierendes strukturelles Problem. Es gibt
immer noch viele weiße Flecken auf der grünen Landkarte. Gerade im ländlichen
Raum hängen Strukturen an ganz wenigen Leuten, und das schon seit
Jahren. Es ist jedoch enorm wichtig, vor Ort präsent zu sein und so
die Menschen direkt erreichen zu können. Außerdem haben wir Probleme
mit unserer Kampagnenfähigkeit. Die Grünen müssen für die Menschen
wieder interessanter werden. Dazu gehört auch, dass in der Partei
wieder mehr und auch nach außen wahrnehmbar inhaltlich diskutiert
wird. Das zu organisieren, wird eine zentrale Aufgabe für den neuen
Landesvorstand sein. Diskussionen über irgendwelche
Koalitionsvarianten halte ich demgegenüber zum gegenwärtigen
Zeitpunkt für verfehlt. Das macht überhaupt keinen Sinn und würde
nur von den jetzt tatsächlich anstehenden Aufgaben ablenken.
z u r p e r s
o n
JOHANNES
REMMEL, 43, kommt aus Siegen, gehört seit 1995 der grünen
Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen an und ist seit 2000 deren
parlamentarischer Geschäftsführer.
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